Gottes letzte Kinder. D. J. Franzen

Читать онлайн.
Название Gottes letzte Kinder
Автор произведения D. J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783943795134



Скачать книгу

verfiel Frank in ein atemloses Dankgebet an alle Heiligen, das ihm seine Mutter als Kind beigebracht hatte. Eigentlich glaubte er ja nicht an diesen Hokuspokus, aber schaden konnte es ja auch nicht. Er dankte ihnen allen für die frühzeitige Vision, die ihn dazu veranlasst hatte, sein Haus rechtzeitig zu einer kleinen Festung auszubauen und sich ordentlich Vorräte anzulegen. Wenn er sich nur tief genug in sein Schneckenhäuschen zurückzog, würde der da oben ihn bestimmt übersehen, und dann hätte er gute Chancen, Armageddon unbeschadet zu überstehen.

      Er war kurz vor dem Amen und bei den letzten Schaufeln Erde für Tante Marthas definitiv letzte Ruhestätte angekommen, als der Strom aus seiner Solaranlage ausfiel.

      Letzten Endes sah Gott eben doch alles.

      Auch U-Boot Batterien, die in einem zweigeschossigen Keller lagerten.

      *

      T-Minus 0 Tage …

      Sechs Tage brauchte der Herr, um die Erde, den Himmel, die Menschheit und alles Getier zu erschaffen. Am siebten Tag ruhte er, und der Mensch machte sich in seinem Größenwahn Gottes Werk zu eigen. Jetzt ist Gott von seinem freien Tag zurückgekehrt. Und jetzt ist der achte Tag seiner Schöpfung angebrochen. Die Apokalypse.

      (Graffiti auf einer Kirchenmauer in Köln)

      Frank saß in seinem Auto und lauschte den Klängen des Lieds Bittersweet Symphony von The Verve. Die Streicher des Orchesters webten einen Klangteppich, auf dem die Stimme des Sängers in melancholischer Gleichmütigkeit in das Halbdunkel der Garage schwebte. Durch eine Reihe schmaler Fenster fielen Lichtstreifen in die staubige Luft. Metallplatten lehnten an den Wänden. Neben einer Treppe, die zum Wohnhaus führte, stand ein Rollwagen mit ölverschmiertem Werkzeug, direkt daneben drei Druckgasflaschen und ein dazugehöriges Schweißgerät.

      Frank hatte seinen Wagen so gut es ging gepanzert. Dach, Außenseiten und Motorhaube schützen Metallplatten, vor jeder Scheibe hatte er Drahtgitter angebracht und ein gewaltiger Rammschutz thronte vor dem Kühlergrill. Am vorderen Ende der Kühlerhaube glitzerte der metallische Stern des Wagens wie das Zielkreuz eines Jagdbombers aus dem Zweiten Weltkrieg.

      Frank hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn abzumontieren. Das Lenkrad wurde von schwarzem Leder überzogen, in das Armaturenbrett war dunkles Nussholz eingelegt, das Furnier glänzte im Licht der Innenraumbeleuchtung. In der Mittelkonsole gab es keinen Schaltknüppel. Eine CD-Anlage mit einem Bildschirm und ein elektronischer Ziffernblock nahmen diesen Platz ein. Auf dem Beifahrersitz lagen eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, eine Pistole und einige Magazine für beide Waffen.

      Frank atmete tief durch. Er trug einen Helm und darunter eine feuerfeste Rennfahrerschutzmaske. Ein Overall mit zahlreichen Sponsorennamen und Firmenlogos bedeckte seinen Körper bis zum Hals, sodass außer seinen Händen sein gesamter Körper geschützt war. Er sah sich noch einmal um, zögerte den Moment hinaus, in dem er das Garagentor öffnen würde. Die Tür zum Haupthaus war verriegelt und mit zahlreichen Querbalken gesichert. Eine weitere Tür aus dichtem Drahtgitter schützte sie zusätzlich.

      Ein Seufzen erklang unter dem Helm. Es gab kein Zurück mehr. Er musste erneut sein Haus verlassen. Frank zog sich ein paar Rennfahrerhandschuhe an, gewissenhaft darauf achtend, dass kein Stück Haut frei blieb. Dann tippte er einen Code in das Zahlenfeld auf der Mittelkonsole des Wagens, drückte einen Knopf und der Motor sprang mit einem dumpfen Grollen an. Auf einen weiteren Knopfdruck öffnete sich langsam das Garagentor und gab den Blick auf eine Gruppe Reanimierter frei, die dumpf in Franks Richtung blickten.

      In der Wange einer älteren Frau, die einen Kittel trug, klaffte ein ausgefranstes Loch. Ihre Backenzähne waren weiße Felsen im fauligen Meer ihres Mundes. Die Beine der Frau steckten in knielangen Nylonstrümpfen, die mehrere lange Laufmaschen hatten. Ihrem Nebenmann, der in einem halb offenen Morgenmantel vor der Garage stand, fehlte ein großes Stück Fleisch im Nacken- und Schulterbereich. Er hielt eine Kaffeetasse und eine zusammengerollte Tageszeitung in den Händen. Der Untote wedelte unbeholfen mit der Zeitung und es sah aus, als wolle er einen Hund zurechtweisen, der auf den teuren Teppich gepieselt hatte. Ein anderer Mann trug einen Blaumann mit dem Emblem der Stadtwerke Köln auf der Brust. Knapp unter seiner Brusttasche klaffte ein blutiges Loch in seinem Bauch. Seine Därme hingen wie dicke, graue Bratwürste heraus. Ein weiblicher Zombie in einem blutverschmierten Hochzeitskleid wollte sich in die erste Reihe der Menge drängeln, als ginge es um den besten Platz an einem gerade eröffneten kalten Buffet.

      Dantes Kreaturen der Hölle hatten sich vor Franks Haus zu einem spontanen Happening versammelt. Er schluckte trocken, nahm den Fuß von der Bremse und der Wagen raste durch die Menge. Dumpf prallten die Körper auf das Metall des Wagens. Torkelnd wandte sich die Menge um, Hände streckten sich in verzweifelt wirkenden Gesten nach dem Wagen. Ein Mann in einem dunklen Geschäftsanzug griff im Fallen mit einer Hand nach der hinteren Stoßstange. Der Wagen schleifte ihn über den Asphalt, bis einer seiner Füße, die in teuren Kalbslederschuhen steckten, an einem Kanaldeckel hängen blieb. Ein schmatzender Laut, dann hing der Ärmel des Jacketts wie ein dunkles Segel bei Windstille auf den Boden herab. Verblüfft blickte der Geschäftsmann seinem nackten Arm hinterher, der immer noch an der Stoßstange hing. Unbeholfen versuchte er sich mit dem verbliebenen Arm aufzurichten, ohne dabei seine Aktentasche loszulassen. Ein letztes Souvenir, aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Ächzend und stöhnend wandte sich die restliche Meute um und folgte schlurfend dem Auto, das um eine Ecke bog.

      Frank ging auf Einkaufsbummel im entvölkerten Köln und die Toten wankten hinter seinem Wagen her.

      Nach einer rasanten Fahrt durch menschenleere Straßen voller Autowracks und Müll kam Frank an die Auffahrt der Severinsbrücke. Er bremste den Wagen ab, schaltete erst die Musik aus, dann den Motor. Vor ihm schlängelte sich eine erstarrte Lawine aus Blech die Brücke entlang. In Richtung Außenbezirke war der Stau zwar größer und dichter, aber auch in Richtung Innenstadt hatten sich während der großen Panik einige Flüchtlinge verirrt. Eine Straßenbahn der Linie 4 stand mitten auf der Brücke. Frank sah Schemen hinter den staubigen Scheiben. Auf beiden Fahrbahnseiten der Brücke gab es reichlich Versteckmöglichkeiten für die Reanimierten.

      Oder Ghoule?

      Oder Zombies?

      Der abkühlende Motor tickte leise, während Frank den vor ihm liegenden Weg ausspähte. In dem Mercedes, der direkt am Stauende der Brückenauffahrt stand, regte sich was. Das war Heinrich, wie Frank ihn bei einem seiner letzten Erkundungsausflüge getauft hatte. Zu Lebzeiten schon ein Hut- und Mantelfahrer, der seinen auf Hochglanz polierten und scheckheftgepflegten Wagen nur bei Sonnenschein ausführte, war Heinrich jetzt dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit in seinem Liebling auszuharren.

      Frank hatte während seiner Expeditionen allmählich erkannt, dass die Reanimierten zwar gefährlich, aber nicht sonderlich schnell oder helle im Kopf waren. Durch ihren Tod hatten sie offenbar viele Erinnerungen und einen großen Teil ihrer Feinmotorik eingebüßt. Gefährlich wurden sie, wenn man leichtsinnig wurde, oder sie in Scharen auftraten. Heinrich drehte sich in seinem Sitz so weit herum, dass er durch die Heckscheibe Frank in seinem Wagen sehen konnte. Heinrichs Mund öffnete sich, seine linke Hand griff verzweifelt nach dem frischen Stück Fleisch, das so nah, und doch unerreichbar fern für ihn war. Der obligatorische Wackeldackel, der sich den Platz auf der Hutablage mit einer umhäkelten Klopapierrolle teilte, nickte Frank versonnen zu.

      Ja, das Leben konnte selbst nach dem Tod noch grausam sein. Man bekam eben nie das, was man verdiente oder sich sehnlichst wünschte.

      Frank sah genauer hin. Heinrichs Hut hing sehr tief in dem eingefallenen Gesicht, dessen Haut wie altes Pergament über erschlafften Muskeln herabhing. Beim letzten Mal hatte er … irgendwie frischer gewirkt.

       Verwesten die Viecher am Ende doch?

      Wenn ja, so dauerte es aber länger, als Frank es für möglich gehalten hätte. Dreißig Tage dauerte der Kampf gegen die Grippe bereits an, als die ersten wandelnden Leichen gesichtet worden waren. Das war fast zwei Monate her. Wie lange brauchte eine Leiche, bis sie nur noch Matsch war? Oder würden