Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Название Gesang der Lerchen
Автор произведения Otto Sindram
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783927708464



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       Epilog

       Der Autor

       Im Text verwendete Abkürzungen

      Für Margret, meine Frau seit 50 Jahren

      Es ist sicher, dass es jenseits des sozialen Daseins, des Familienlebens eines Menschen, jenseits der Gebärden, zu denen ihn seine Umwelt, sein Beruf, seine Ideen oder sein Glaube zwingen, ein geheimeres Leben gibt: Oft liegt auf dem Grunde dieses Bodensatzes, allen Augen verborgen, der Schlüssel, der uns dieses geheime Leben endlich erschließt.

      FranÇois Moriac

      Prolog

      Endlich wird die Beatmungsmaschine abgeschaltet. Philipp muss sich darauf konzentrieren, wieder selbstständig und gleichmäßig zu atmen. Aus weiter Ferne hört er die Stimme des Professors.

      »Wir haben Ihnen drei Bypässe gelegt, Herr Siebert; alles in Ordnung. Ab jetzt können Sie Ihre Rente noch einige Jahre genießen. Denken Sie nicht an das Atmen, das muss von ganz alleine gehen. Denken Sie an irgendetwas, nur nicht ans Atmen.«

      Einatmen – ausatmen – einatmen. Ich muss an irgendwas denken, ausatmen – einatmen ...

      »Du bist aus der britischen Zone?«, fragt das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen Philipp.

      »Ja, aus dem Ruhrgebiet.«

      »Aus dem Ruhrgebiet auch noch!«

      Philipp kann sich nicht erklären, was so besonders daran sein soll, und fragt zurück.

      »Und woher bist du?«

      »Jetzt hier aus Berlin, aus Weißensee, aber ich habe lange in der Sowjetunion gelebt. Ich war noch nie in Westdeutschland. – Sophie«, sagt das Mädchen, sich vorstellend, und gibt Philipp die Hand.

      Der erste Unterrichtstag wird mit organisatorischen Fragen vertan. Zum Schluss bekommen die Schüler eine Wassersuppe, die als Schulspeisung von den Sowjets kommt und nach dem sowjetischen Stadtkommandanten von Ostberlin Kotikow-Süppchen genannt wird. Am nächsten Tag, noch ehe der Unterricht beginnt, spricht Christian Philipp an.

      »Setz dich zu mir, die anderen sind mir alle zu blöd.«

      »Ich habe aber schon einen Platz neben der Sophie.«

      Philipp kennt Christian von der Aufnahmeprüfung, ihm ist seine harte Aussprache aufgefallen.

      »Was willst du mit der, die hat ja nichts in der Bluse. Einen Arsch hat sie wohl auch nicht«, sagt Christian und zieht Philipp auf den leeren Platz neben sich.

      Draußen wird es Herbst. Mehr als drei Jahre ist der Krieg nun schon vorbei. Der Unterricht beginnt.

      Erster Teil

       Liebe, Liebe

      1

      Philipp Siebert war ratlos. Der Mann in der Berufsberatung hatte ihm eindringlich geraten, Bergarbeiter zu werden.

      »Der Führer braucht Kohle für den Endsieg. Du siehst doch selber, wie diese Mörderbande das Ruhrrevier bombardiert hat. Wir müssen sie bald besiegen.« Also müsse Philipp unbedingt Bergarbeiter werden. Der Vater sei doch auch Bergarbeiter? »Na siehst du! Und außerdem gehört dort das Abzeichen der Hitlerjugend hin.«

      Der Mann stieß mit seinem Zeigefinger energisch gegen Philipps Brust. Dieser trug noch immer den Bleyle-Anzug aus dunkelblauer Wolle von seiner Kommunionsfeier, mit kurzen Hosen und einer Jacke mit langem Revers; jetzt zwar ohne weißen Kragen, den hatte er inzwischen abgeknöpft, aber eben auch ohne das Abzeichen der Hitlerjugend. Philipp fühlte sich schuldig und hätte dem Mann am liebsten sofort seine Begeisterung für den Beruf des Bergarbeiters mitgeteilt.

      »Ehe du Bergmann wirst, schlage ich dich vorher tot«, hatte zu Hause der Vater gesagt und dann ruhig weiter an seiner Tabakpfeife gesogen.

      Und nun war Philipp ratlos. Da nahm die Mutter ihn an die Hand und sie gingen zur Eisenhütte. Philipp wurde Schlosserlehrling, aber mit einem unguten Gefühl, wenn er an den Endsieg dachte.

      In der Werkstatt standen die Jungen in langen Reihen an den Schraubstöcken und lernten das Feilen, Meißeln und Bohren an vorgefertigten Metallteilen.

      Der Werkstattleiter war ein jähzorniger Mann mit einer silbernen Schädelplatte, die er nach einer Verwundung an der Front bekommen hatte. Ständig trug er einen Hut; nur wenn er mit wehenden Kittelschürzen schimpfend und Ohrfeigen verteilend durch die Werkstatt eilte und ein letztes Argument nötig zu haben glaubte, zog er den Hut und zeigte allen seinen Silberschädel.

      Philipp machte gewissenhaft seine Übungsarbeiten, lebte aber doch mit der dauernden Angst, geohrfeigt zu werden. Nach zwei Wochen, Philipp war gerade an diese Umgebung gewöhnt, kam der Meister mit der Silberplatte an seinen Schraubstock.

      »Pack deine Sachen zusammen, aus dir wird doch kein Schlosser. Melde dich drüben im Forschungsinstitut, da ist im Labor eine Stelle für einen Laborantenlehrling frei geworden.« Als er Philipps verängstigtes, ratloses Gesicht sah, wurde er ungnädig. »Hau ab! In einer halben Stunde will ich dich hier nicht mehr sehen, sonst gibt es was!«

      Der Laborleiter nahm Philipp mit zum Büro des Professors.

      »So so, du bist das also«, sagte der Professor und hielt eine Rede über Pflichterfüllung für Führer und Vaterland in einer außergewöhnlichen Zeit und dass Jungen wie Philipp nur in einer solch großen Zeit so viel Glück zuteil werden könne.

      Philipp gefiel die Rede, besonders wenn er Wendungen wie »zuteil werden« und »große Zeit« hörte. Er betrachtete respektvoll das Parteiabzeichen am Revers des Professors und das Führerbild an der Wand, fühlte sich auf einmal bedeutend und vergaß endgültig, dass er eigentlich Bergarbeiter werden sollte.

      Zum Laborleiter, der Peter Hansen hieß und den hinter dessen Rücken alle Pidder nannten, fasste Philipp bald Vertrauen. Über ihn ging das Gerücht, er sei ein Kommunist. Philipp bekam von ihm Zeitschriften und Bücher geliehen.

      »Lies das!«, sagte Pidder und legte dem Jungen immer mal wieder ein Exemplar auf den Arbeitsplatz.

      Nach Ende des Krieges dauerte es ein halbes Jahr, bis der Professor aus einem englischen Internierungslager frei kam und an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war. Es hieß, dass er als Mitläufer eingestuft worden sei. Im Institut hatte sich wenig verändert, nur an der Wand hinter dem Schreibtisch des Professors hingen jetzt die »Betenden Hände« von Dürer.

      Als Philipp seine Ausbildung abgeschlossen hatte, musste er wieder vor diesem Schreibtisch stehen und einen Vortrag anhören. Von der Erwartung war die Rede und dass er nun seine Pflicht für Firma und Vaterland ... Er habe eine gute Prüfung gemacht, sicher, aber menschlich − der Professor wiegte seinen Kopf −, menschlich habe er enttäuscht.

      »Was warst du doch ein netter, bescheidener Junge, als du bei uns anfingst! Du musst lernen