Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele. Reinhold Ruthe

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Название Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele
Автор произведения Reinhold Ruthe
Жанр Общая психология
Серия
Издательство Общая психология
Год выпуска 0
isbn 9783865064530



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      »Und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Tun? Was will der Traum Ihnen sagen?«, frage ich.

      Der Mann reagiert ganz anders, als die Frau es erwartet hat. Er verteidigt sich nicht und geht auch nicht zum Gegenangriff über. Er sagt: »Du hast mich in die Beratung geschickt, weil du unglücklich bist. Bisher wollte ich das nicht einsehen. Aber ich spüre, auch die Kinder ziehen sich von mir zurück. Ich fühle mich in meiner Forschungsarbeit wohl, da besteht kein Zweifel. Aber ich bin auch einsam. Manchmal sogar sehr einsam. Und ich will da raus. Der Traum hat mir klargemacht, ich bin nicht nur ein Querdenker, ich bin auch ein Querschläger.«

      Der Traum wird der Einstieg für eine Reihe von Ehegesprächen zu dritt.

      Wahrscheinlich ist der geschilderte Traum kein typisches Beispiel für Nacktträume, aber ein Hinweis, wie gründlich wir unsere Blöße oder unsere Schwächen preisgeben. Auch die Schuld wird vom Träumer so gründlich uminterpretiert, dass sein Lebensstil das Handeln rechtfertigt. Der Lebensstil dieses Mannes bedeutet aber eine verzerrte Wahrnehmung; er spiegelt ein unpartnerschaftliches Denken wider und rechtfertigt die »Ich-gehör-da-nicht-hin-Haltung«. Die therapeutische Seelsorge hat die Aufgabe, die Lebenslügen aufzudecken.

      Ein Traum, der deutlich Beziehungsprobleme zur Sprache bringt, sieht zum Beispiel so aus:

      »Meine Freundin hatte zur Geburtstagsfeier eingeladen. Es kamen viele Freunde, die ich gut kannte. Mein Mann forderte die Gesellschaft auf, sich zu erheben und mit Sekt auf das Geburtstagskind anzustoßen. Und da passierte etwas Unangenehmes. Indem mein Mann das Glas anhob, rutschte ihm die Hose weg. Ich stand etwas im Hintergrund und kriegte das genau mit. Keiner der Anwesenden sah das aber, denn alle starrten auf das Geburtstagskind. Plötzlich drehten sich alle zu mir hin. Ich schaute betroffen an mir herunter und entdeckte, dass ich splitternackt war. Ich wäre am liebsten gestorben.«

      Wie verstehen wir diesen Traum? Dazu einige Anmerkungen:

       a) Traum und Problem gehören zusammen

      Die Frau, die diesen Traum in die dritte Beratungsstunde mitbrachte, war ursprünglich gekommen, um Eheprobleme zu besprechen. Sie war mit ihrem Mann unzufrieden und hatte viele Punkte an ihm auszusetzen. Ich hatte mir an den Rand der Notizen aus der ersten Stunde geschrieben: »Sieht nur die Probleme beim andern!« Von ihren Schwächen und Anteilen war überhaupt nicht die Rede gewesen.

       b) Wer kommt zur Party?

      Eingeladen hatte die Freundin der Frau. Die Teilnehmer sind also in erster Linie der Familie und der Frau bekannt. Die Frau betont darum auch, dass sie selbst die Gäste gut kennt.

       c) Die Unterhose des Mannes bemerkt keiner

      »Haben Sie dafür eine Erklärung?«, frage ich die Frau. Sie selbst hat im Traum ihren Mann entblößt – um nicht zu sagen »ausgezogen«. Die Ratsuchende sagt: »Vielleicht kümmert sich darum keiner um die Unvollkommenheit meines Mannes, weil nur ich ihn in- und auswendig kenne.«

       »Und woher?«

      Die Ratsuchende lächelt und erzählt eingehend, wie oft sie sich im »Damenkränzchen« treffen und eingehend über ihre Männer »herziehen«. Die Frau bekennt, dass sie eine schlimme Kritikerin ist, die häufig vom Leder zieht und den Partner »entblößt«.

       d) Plötzlich steht die Frau im Mittelpunkt des Interesses

      »Wie verstehen Sie diesen Traumabschnitt? Alle wenden sich Ihnen zu?«

      Die Träumerin schüttelt den Kopf, damit könne sie nichts anfangen. Sie sehe auch keinen Sinn in dem Ganzen. »Und warum wären Sie am liebsten gestorben?« Sie sagt: »Weil ich ganz nackt dastand. Das ist doch ein entsetzliches Gefühl.«

      »Und warum entwerfen Sie einen Traum, in dem Sie sich selbst splitternackt zeigen? Warum schämen Sie sich? Was ist Ihnen so peinlich?«

      Die Ratsuchende nimmt ihren Kopf in die Hände. Offensichtlich schämt sie sich. Nach einer Weile des Nachdenkens sagt sie: »Ich bin ja noch schlimmer dran als mein Mann.«

      »Was wollen Sie damit sagen?«

      »Ich habe über ihn geredet und ihn angeschwärzt. Aber Sie wissen ja gar nicht, was ich auf dem Kerbholz habe!«

      Ich warte, um sie nicht zu drängen. Und dann kommen eine Reihe ehebrecherischer Begebenheiten ans Licht.

      »Ich bin eine Heuchlerin. Ich schäme mich zu Tode. Aber ich bin froh, jetzt ist es raus!«

      Die Beichte setzt einen Gesinnungswandel in Gang. Heuchelei und raffinierte Ablenkungsmanöver haben ein Ende. Die Schuldverschiebung, ein beliebtes Versteckspiel seit Adam und Eva im Paradies, hört auf.

      Es ist schon so: Im Traum bringen wir unsere geheimsten Wünsche, unsere Schwächen und Blößen zur Sprache. Wir zeigen uns nackt, wie wir sind. Gott reißt uns nicht gewaltsam die Maske vom Gesicht. In einsichtigen Bildern hält er uns einen Spiegel vor. Wir können die Entblößung akzeptieren oder den Spiegel zerschlagen. Wir haben es in der Hand. Verständlich, dass viele Menschen darum nicht an die »nackten Tatsachen« heranwollen. Auch die Ratsuchende ist erschrocken darüber, wie sie im Traum das, was sie mir bisher zielstrebig verschwiegen hat, unverhüllt offenbart.

      Ein Pfarrer, seit zwei Jahren im Amt, träumt eines Nachts einen kurzen, aber eindrücklichen Traum:

       »Es ist Sonntag, der Gottesdienst läuft, ich stehe auf der Kanzel und verlese den Text. Ich habe mir eine glänzende Predigt zurechtgelegt. Viele Ausleger habe ich zu Hilfe genommen. Ich sehe mich gestikulieren.

       Plötzlich lacht die Gemeinde. Es wird unruhig. Keiner hört mir richtig zu. Ich bin verwirrt. Als ich an mir herunterschaue, entdecke ich, dass ich oberhalb der Kanzelbrüstung einwandfrei angezogen bin, aber darunter bin ich nackt. Der Talar geht nur bis zu den Knien. Ich gebe eine komische Figur ab. Und die Kanzel ist aus Glas. Ich rede noch und bin schweißnass und weine.«

      Was bringt der Traum zur Sprache?

       a) Der rote Faden in Traum und Problem

      Pfarrer G. ist seit zwei Jahren als Gemeindepastor im Amt und unglücklich. Er sucht die Beratung auf, um eine Bestandsaufnahme seines Lebens zu machen. Er hat lange Theologie studiert und einige Semester »verschlampt«, wie er sagt. Immer wieder hat ihn die Frage beschäftigt: »Bist du eigentlich von Gott berufen?« Er ist ein gründlicher Mann, der nicht leichtfertig Theologie studiert hat. Was er macht, will er ganz machen. Noch ist er unverheiratet, weil er auch da nicht eine x-beliebige Partnerin wählen will, sondern eine Frau, die Gott für ihn auserwählt hat.

       b) Der Anlass für den Traum

      Pfarrer G. wollte über einen Text mit dem Thema »Erwählung« predigen. Er sah sein eigenes Lebensthema mit dem Text verwoben. Schon Wochen vor der Predigt sammelte er Auslegungen, besuchte die theologische Bibliothek und schrieb Predigteindrücke auf ein Blatt Papier. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte er den besagten Traum. Sonntag sollte er die Predigt halten.

       c) Haupteindruck des Traumes

      »Ich stehe blamiert da. Ich bin ein Versager.« Der Pfarrer stellt die Blamage und das Versagen als Haupteindruck dar. Sein Lebensgefühl, von Gott nicht bestätigt zu sein, scheint der Traum auch deutlich zu machen. Das alles vermittelt mir der Ratsuchende.

       d) Die glänzende Predigt

      Pfarrer G. ist äußerst gewissenhaft. Seine Predigten werden gründlichst vorbereitet. Tagelange Arbeit investiert er in eine zwanzigminütige Ansprache.

      »Lassen Sie Ihre glänzende Predigt sprechen?« ermutige ich ihn. Und er sagt, dass