Das Lied der Eibe. Duke Meyer

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Название Das Lied der Eibe
Автор произведения Duke Meyer
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783964260109



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Rezeption ermöglicht, die ich auch unerfahrenen Neugierigen bedenkenlos empfehlen kann. (Selbst die besseren und anspruchsvolleren Runenschmöker empfehlen zum Beispiel fast ausnahmslos „Runen-Yoga“, das Nachstellen von Runenformen mit dem eigenen Körper, ohne die rassistische Intention und ausschließlich militaristischen Quellen solcher Übungen auch nur zu erwähnen, geschweige denn zu erklären. So machen sie sich gerade für Neulinge unüberprüfbar und werden zu Denkfallen-Trägern – und für spirituelle Sinnsuche und Lebensbewältigung sogar zu heimlichen Giftquellen. Warum ist so etwas Gift? Weil das Tun seiner Quelle Energie zuführt und aus ihr überträgt, und das Runenstellen hat nun mal nur eine einzige: die Intention, rassistischen Ansichten mittels obskuren Turnereien einen okkulten Anstrich zu verleihen.) Als ich 1984 zum ersten Mal auf Runen stieß – in einem denkbar miserablen Eso-Machwerk, das mir ein Kumpel unversehens in die Hand gedrückt hatte –, war ich noch bekennender Atheist. So sehr mich die Runen auf Anhieb faszinierten, so vehement stieß mich das menschen- und insbesondere frauenfeindliche Gegeifer ab, das als „Erklärung“ aus dem ariosophischen Ideologiekonstrukt quoll wie Eiter aus schwärenden Wunden. Igitt, jawoll. Was Ariosophie bedeutet und wie diese esoterische „Rassenlehre“ bis heute in fast jedem esoterischen Sehnsuchtswinkel (insbesondere magischer Runenkundlerei) zumindest in Spurenelementen vor sich hingiftelt, erfuhr ich erst viel später. Fortgeschrittene erkennen solche Fallen oft nur schwer – für Unkundige ist es fast unmöglich.

      Was ich ebenfalls erst in allmählicher, jahrelanger Sichtung erfasste, war die tatsächliche Quellenlage, die sich als verstreuter Scherbenhaufen quer durch die Geschichte erstreckt. Ich sammelte die brauchbaren Stücke, reinigte sie und baute ein Haus daraus. Als Mörtel nahm ich meine Anschauungen. Einige Steine, die noch fehlten, meißelte ich selbst. Das Ergebnis mag darum nicht „germanisch“ genannt werden können – in dem Sinne, dass Angehörige derjenigen Sprachkulturen, die wir heute „germanisch“ nennen, je so gelebt hätten. Ich bin allerdings der Meinung, dass es dazu passt. Nicht nur, weil ich selbst Ásatrú bin und deswegen all mein Tun und Lassen als „germanisch“ bezeichne. Ich empfehle es auch jenen, die auf derlei Bezeichnungen weniger Wert legen – und unabhängig davon, welche Götter sie im Herzen tragen oder ob.

      Bragishof, im Blütenmond (Juli) 2014

      Bildstein auf Gotland, Schweden

       KAPITEL I

       Herkunft der Runen, germanische Kultur und deren teilweise problematische Rezeption von außen, vom Umgang mit spirituellen Aspekten und vom Wert der Menschenrechte

       MYTHEN, GÖTTER, MENSCHENWEGE

      Ein großer Teil dessen, was ich aus den 24 Sinnzeichen des ältesten germanischen Runensystems herauslese, mag wissenschaftlich nicht belegbar sein. Gesichert ist dies: Nur etwas mehr als ein Fünftel aller historischen Runeninschriften lässt sich dem Älteren Futhark zuordnen – dass es sich dabei überhaupt um ein System handelt, ist gerade mal durch eine Handvoll Funde belegt. Nur diese wenigen zeigen ein jeweils komplettes Älteres Futhark: mal mit der Rune Othala, mal mit Dagaz am Ende. Die ansonsten feste Reihenfolge der Zeichen muss (unter Runenkundigen) verbindlich gewesen sein, denn an ihr orientiert sich eine bestimmte Art von Runenverschlüsselung aus derselben Ära, die sich nur über die entsprechende Kenntnis entziffern lässt.

      Ideenstiftend für die Runen waren höchstwahrscheinlich italische, etruskische sowie phönizische Alphabete. Unbekannt ist, wie sie aus dem mediterranen in den skandinavischen Raum gelangten. Wahrscheinlich waren Reisende aus dem Norden einfach davon begeistert, dass die Leute im Süden miteinander sprechen konnten, ohne dabei selbst anwesend sein zu müssen – Zauber der Schrift! Die Reihenfolge der nordischen Adaption wurde eine eigenständige, nur die Benennung erfolgte wie beim Alphabet, dem ABC, nach der Anlautfolge der jeweiligen Eingangszeichen. Bei Runensystemen: F-U-TH-A-R-K (Fehu, Uruz, Thurisaz, Ansuz, Raidho und Kenaz). Deswegen heißen typische Runensysteme „Futhark“.

      Obwohl es sich nicht belegen lässt, ist es wahrscheinlich, dass Runen zunächst in Holz geritzt wurden: So erklärt sich die Abwesenheit waagrechter Striche. Gegen die Maserung geritzt, werden senkrechte und schräge am besten sichtbar: Ausschließlich aus solchen besteht das Ältere Futhark. Die ältesten Funde zeigen allerdings nur wenige Zeichen, die obendrein sehr krakelig ausgeführt sind – so sehr, dass bei manchen noch strittig ist, ob es sich dabei überhaupt schon um Runen handelt, also um Zeichen eines bereits bestehenden Älteren Futhark, oder nur um ungelenke Einkerbungen, deren mögliche Bedeutung dann noch viel unklarer wäre.

      Das Ältere Futhark war vom zweiten bis zum achten Jh. in Gebrauch – das ist die Zeit, aus der es entsprechende Funde belegen. Die gemeingermanischen Namen seiner 24 Zeichen sind uns aus erst viel später entstandenen Liedtexten bekannt, von denen sich nur Abschriften aus bereits mittelalterlicher Zeit erhielten, die schon lang keine heidnische mehr war. Dennoch ergibt sich auch bei kritischer Lesart ein erstaunlich harmonisches, in sich sehr stimmiges Bild. Dieses musste allerdings erst von weltanschaulich beeinflussten Interpretationen deutscher Runenforschung bereinigt werden, die ihre nationalromantischen Wurzeln nicht verleugnen kann (und damit meine ich noch keineswegs die Auswüchse gezielten Missbrauchs durch die Nazis, deren Vordenker wie heutige Nachbeter. Davon sei später die Rede).

      Umso interessanter jedoch, was uns gerade das Ältere Futhark eröffnet. Ob es tatsächlich ein raffinierter Algorithmus war, der alle wichtigen Parameter für ein harmonisches Miteinander überschaubarer Sozialgemeinschaften enthält, sei dahingestellt. Das muss keineswegs so gewesen sein – aber es lässt sich so anwenden. In dieser Hinsicht erscheint es mir nahezu einzigartig. (Aber dies mag meiner Begeisterung darüber geschuldet sein. Ich bin da sicher befangen – und erhebe weder Anspruch auf Deutungshoheit noch auf die Verallgemeinerung meiner Ansichten. Im Gegenteil: Zu Diskurs will ich anregen.)

      Historisch lässt sich von ca. 200 vor bis ca. 1100 nach Christus von germanischen Kulturen sprechen: von der ersten römischen Erwähnung germanischer Stämme – der Skiren und Bataver – über die folgenden Jh.e der Völkerwanderung und ihrer Wirren bis zur endgültigen Assimilierung letzter germanischer Stammesgemeinschaften in Königreiche, die inzwischen wesentliche Teile des römischen Rechtssystems übernommen hatten. (Der Einfluss christlicher Strömungen auf germanische Kulturen hatte bereits im frühen 4. Jh. begonnen und sich von da an zunehmend ausgebreitet: dies meist wesentlich friedlicher als in neuheidnischen Kreisen unserer Tage gern beargwöhnt und vermutet wird. Die meisten germanischen Stämme aus der Völkerwanderungszeit sind uns überhaupt nur als christlich überliefert – wenn auch vorwiegend der arianischen Glaubensrichtung angehörig, die erst später dem katholischen Alleingeltungsanspruch unterlag und verschwand.)

      Was es über germanische Kulturen zu lesen gibt, stammt nicht aus diesen selber. Sie gelten als schriftlos. Der Gebrauch von Runen war Eingeweihten vorbehalten, so genannten Erilar (Runenkundigen). Wer nicht zu diesen zählte, konnte die Zeichen höchstwahrscheinlich nicht entziffern, geschweige denn selber setzen. Neben dem Älteren Futhark und dem – deutlich später entwickelten – Jüngeren entstanden im Lauf der Zeit noch etliche weitere Runensysteme: das Friesische Futhark, das Angelsächsische Futhark und andere. Die Bedeutung einer allgemein verbreiteten Schreibschrift erlangten sie nie. Die Überlieferung innerhalb der Stämme war und blieb mündlich. Die frühesten (erhaltenen) Runen wurden auf Alltagsgegenständen wie Kämmen oder Schemeln angebracht – und bezeichnen meist nur den Gegenstand selbst. Andere, ähnlich knapp gehaltene Zeichenfolgen aus der Ära des Älteren Futhark ergeben überhaupt keinen nachvollziehbaren Sinn, was nahelegt, dass diese frühen Inschriften magisch intendiert gewesen sein mögen. Sie fanden sich auf Knochen, Waffen, Rüstungsteilen und Haushaltsgegenständen, später auch auf Münzen und Medaillen (so genannten Brakteaten) wieder.

      Erst die Wikinger hinterließen uns aus den 300 Jahren ihrer europaweiten Seefahrten, Handels- und Eroberungszüge (vom 8. bis zum