Singapur – oder tödliche Tropen. Volker Schult

Читать онлайн.
Название Singapur – oder tödliche Tropen
Автор произведения Volker Schult
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783961450244



Скачать книгу

hat, den Rotlichtdistrikt von Georgetown. Das Verhältnis von Mann und Frau in der chinesischen Gemeinde, so hat Kurz von Jenkins erfahren, beträgt ungefähr zwei zu eins. Penang ist voll von jüngeren, unverheirateten Chinesen, die hier ihr Heil suchen. Die meisten von ihnen stammen aus ärmeren Familien in China und hoffen in ihrer Verzweiflung, ihr Glück in Übersee zu finden. Andere werden aus schierer wirtschaftlicher Not von ihren Familien einfach verkauft, so auch Frauen. Kaum einer von ihnen schafft es, sich in höhere Schichten emporzuarbeiten. So sind die Campbell Street und die Cintra Street voll von Prostituierten. Alleine in der Campbell Street sollen an die achthundert von ihnen leben und arbeiten. Fürchterlich, denkt Kurz. Nein, das, obwohl unverheiratet, ist nichts für ihn. Alleine der Gedanke an diese dreckigen Spelunken und stinkenden Absteigen voller Unrat und Ratten und den damit verbundenen Gefahren lassen ihn erschaudern.

      Als er das auf ihn wartende Beiboot besteigt, das ihn zu seinem Schiff bringt, redet sich Wilhelm Kurz gedanklich noch einmal kurz in Rage. Sein Gesicht verzieht sich ein Stück. Diese verdammten Engländer haben aber auch einfach alle strategisch wichtigen Gegenden schon lange besetzt. Und sein Vaterland steht mit leeren Händen dar. Das hat er erst jetzt wieder in den letzten Wochen erlebt. Aber vielleicht kann er zumindest etwas Abhilfe schaffen, beruhigt er sich selber.

      2. KAPITEL

      INSEL PENANG. DER GEHEIMAUFTRAG

      Wegen der auch noch nachts vorherrschenden ungewohnten tropischen Hitze hat Kapitänleutnant Wilhelm Kurz einige unkonventionelle Befehle erteilt. So ist es der Mannschaft erlaubt, ihre Hängematten auf Deck unter Sonnensegel anzubringen. Jedoch schützen diese die Männer nur teilweise gegen die starken tropischen Regenschauer, die häufig niedergehen. In Penang geschieht es um diese Jahreszeit zahlreicher und heftiger als anderswo, so ist jedenfalls Kurz Eindruck. Allerdings ist das noch tausendmal besser als nach Vorschrift unter Deck ruhen zu müssen. Manche Matrosen schlafen in ihrer Unterwäsche, andere vollkommen nackt. Jedoch schwirren die Moskitos des Nachts im Hafen nur so herum. Deshalb müssen sich die Männer durch Moskitonetze vor den Stichen und der daraus resultierenden allzu häufig tödlichen Malaria schützen. Ein Gutteil der gewünschten Luftzirkulation wird so jedoch wieder herabgesetzt.

      Auch hat Wilhelm Kurz angeordnet, dass die Wachzeiten reduziert werden, was aber bedeutet, dass mehr Männer innerhalb eines kürzeren Zeitraums Wache schieben müssen. Es ist also alles nicht so einfach. Doch dafür ist man nun einmal in der kaiserlich-deutschen Marine.

      Nach einer heißen, fast durchwachten Tropennacht an Bord des Kanonenboots Iltis bricht Wilhelm Kurz am Morgen wieder gen Georgetown auf. Im luxuriösen Kolonialhotel Eastern & Oriental will er sich mit dem deutschen Leiter der Niederlassung von Behn, Meyer & Co., Heinrich Adler, treffen, um aktuelle Informationen über sein Geheimziel zu erhalten.

      Diese Geheimoperation wird von Seiten der Reichsmarine sehr hoch gehängt. Das wurde Kapitänleutnant Kurz deutlich, als er kurz vor seiner Abreise nach Berlin zu einer persönlichen Unterredung mit dem einflussreichen Staatssekretär des Reichsmarineamts, Konteradmiral Alfred Tirpitz, gerufen wurde. Er soll das Ohr des Kaisers Höchstselbst haben, heißt es.

      Immer noch hat Wilhelm Kurz die schnarrende entschlossene Stimme des Admirals im Ohr.

      „Kapitänleutnant, ich muss Ihnen nicht noch einmal die Bedeutung Ihres Auftrags für die Zukunft unseres Vaterlandes ins Gedächtnis rufen. Die Operation unterliegt allergrößter Geheimhaltung. Besonders der Engländer darf davon keinen Wind bekommen. Wir müssen im Fall der Fälle schnellstens handeln. Die Firma Behn, Meyer & Co. hat schon auf eigene Rechnung die Vorverhandlungen für den Erwerb einer Kohlenstation auf der Insel Langkawi diskret durchgeführt. Auch gegenüber den lokalen Vertretern der Firma bleibt es dabei, dass Sie nur begutachten, ob dieser Landstreifen für die Marine geeignet ist oder nicht.

      Sie, Herr Kapitänleutnant, erhalten jetzt darüber hinaus von mir persönlich die Blankovollmacht, wenn sich das Zielobjekt als ...“

      Wilhelm Kurz weiß noch genau, wie er seinen Ohren nach den darauffolgenden Ausführungen nicht trauen wollte. Das könnte ungeahnte politische Verwicklungen bedeuten, ja bis hin zum Krieg, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Und das alles sollte auf seinen Schultern ruhen. Perplex blieb ihm nur mit einem „Jawohl, Herr Admiral“ dem Befehl zu gehorchen. Und nun befindet er sich hier vor Ort, um die Order umzusetzen. Welch eine Verantwortung!

      Behn, Meyer & Co. aus Hamburg, kurz BMC genannt, ist das größte und mächtigste Handelshaus in ganz Südostasien. Endlich einmal sind wir die Nummer eins in der Gegend, denkt Kurz mit Genugtuung. Im Volksmund wird die Firma auch Bismarck, Moltke & Co. genannt. Das ist ihrer seit langen bestehenden, exzellenten Beziehungen zur obersten politischen und militärischen Führung, zum Reichsgründer Bismarck und zum legendären preußischen Generalstabschef Moltke, geschuldet. Was sich diese Firma in den Kopf gesetzt hat, bekommt sie auch. So auch jetzt unter Admiral Tirpitz und Seiner Majestät Höchstselbst.

      Doch dann holt Wilhelm Kurz die Gegenwart wieder ein.

      Er ist fasziniert von dem Anblick des wunderschönen Eastern & Oriental Hotels, das schon eine Klasse für sich ist. Die Lage direkt an der Wasserfront und westlich von Penangs äußerem Hafen, wo die größeren Schiffe festmachen, ist hervorragend. Von der Terrasse kann man ungetrübt die Esplanade und Fort Cornwallis und die zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe betrachten. Für einen Moment bleibt Wilhelm Kurz in der Lobby des Hotels stehen. Der Adler soll ruhig noch ein bisschen warten, erst einmal wandern Wilhelm Kurz Blicke im Eingangsbereich umher.

      Er weiß noch ganz genau wie er von Reisenden in Kiel hörte, dass es eine beklagenswert geringe Anzahl von vernünftigen Unterkünften für Europäer im fernen Asien, von komfortableren Übernachtungsmöglichkeiten ganz zu schweigen, gebe. Als Gast musste man zufrieden sein, einen überteuerten Raum fernab von Schmutz und Staub der Straße, von Ratten und streunenden Hunden sowie Dieben und Bettlern zu bekommen. Moskitonetze galten als Gipfel des Luxus. Darüber hinaus erzählte man sich, dass die Zimmertüren der Hotels selten verschließbar seien und plötzlich stehe ein Diener unangemeldet im Zimmer. Manches Mal in einem unpassenden Moment. Das war’s dann auch, was die Qualität der Unterkünfte anbelangt. Das exotische Asien hatte nicht viel mehr zu bieten.

      Hier ist es anders. Schon kommt der hochgewachsene livrierte Inder Singh dienstbeflissen auf Wilhelm Kurz zu und fragt ihn in einem komischen indischen Sing-Sang Englisch:

      „Kann ich dem Herrn Offizier zu Diensten sein, Sir?“

      Wilhelm Kurz in seiner weißen Marineuniform mustert den indischen Concierge für einen kurzen Augenblick. Dann siegt seine Neugierde.

      „Ich bin sehr beeindruckt von diesem Hotel.“

      Mehr braucht Wilhelm gar nicht zu sagen, da sprudelt es auch schon aus dem Inder mit stolzgeschwellter Brust hervor, wobei sich sein Kopf hin und her bewegt, wie es bei den Indern üblich ist, wenn sie etwas Wichtiges betonen wollen.

      „Sir, wie in den Luxushotels Londons so ist auch hier das Monogramm unseres ehrwürdigen Hotels in die Bettbezüge, Kissen und Handtücher eingestickt, Sir. Dazu verzieren zierliche Porzellanfiguren die Kaminsimse. Sir, Sie werden es nicht für möglich halten, Sir, aber vierzig Zimmer verfügen über ein Badezimmer mit Badewannen und fließend heißem und kaltem Wasser, Sir. Sir, wir wissen, dass die europäischen Reisenden eine Hotellage direkt am Wasser bevorzugen, Sir. Das Hotel verfügt über dreihundert Meter Strand. Damit hat es die längste Wasserfront aller Hotels auf der Welt, Sir. Ist das nicht unglaublich, Sir?“

      Allmählich geht Wilhelm Kurz dieses stolze und selbstgefällige Gerede auf die Nerven, trotz der interessanten Informationen. Und dann dieses ewig „Sir“. „Sir“ hier „Sir“ da. Und dann das Wackeln des Kopfes von der einen zu der anderen Seite. Wir sind doch nicht an Bord eines Schiffs, denkt er sich verwundert. Der Inder nimmt keine Notiz von Kurz zunehmender Ungeduld.

      „Sir“, fährt der Inder unbeirrt fort und schiebt dabei seinen Kopf schon fast verschwörerisch nahe an Wilhelms heran, „unser ehrwürdiges Hotel wird unter Kennern nur kurz E & O genannt. Das reicht und jeder weiß Bescheid, Sir. Sir, ich darf Ihnen ehrerbietigst