Raue Februarwinde über den Elbmarschen. Manfred Eisner

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Название Raue Februarwinde über den Elbmarschen
Автор произведения Manfred Eisner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783961450220



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bis Nili eine Idee hat und zu Hauke gewandt sagt: »Ich biete euch einen kostenlosen Brunch gegen eine Kopie deines Berichts!« Als dieser grinsend nickt, greift sie zu ihrem Handy. »Moin, Onkel Oliver, ich bin’s, Nili. Sagst du bitte Tante Madde Bescheid, dass außer Waldi und mir noch zwei weitere hungrige Mäuler auf dem Weg zu euch sind! Also dann bis gleich, Tschüss!«

      »Das geht doch nicht, Hauke!«, protestiert Dörte halbherzig. »Wir müssen sofort zurück ins Präsidium!«

      »Ach was!«, kontert Nili. »Schließlich ist gleich Mittagszeit, zudem ist auch noch Heiliger Sonntag. Und nach dieser Strapaze haben wir uns wohl alle ein kleines Labsal ehrlich verdient. Euer geschätzter Vorgesetzter ›Hein Gröhl‹ kann sich gern einmal gedulden!« Sie grinst und tippt Dörte auf die Schulter. »Noch etwa einen Kilometer, dann von der Hauptstraße links auf die Hofauffahrt einbiegen!«

       2. »Heiliger Sonntag«

      »Herzlich willkommen auf unserem Holstenhof!« Nilis Vetter Hans-Peter öffnet den Gästen die Haustür. Er geht auf Nili zu und umarmt sie, dann schüttelt er Waldi die Hand. Schließlich sagt er: »Hallo, Hauke, lange nicht gesehen!«

      »Und doch wiedererkannt!«, erwidert dieser. »Entschuldigt unseren Überfall, aber Nili hat uns hierzu verdonnert. Ich darf dir meine Kollegin KOK Dörte Westermann vorstellen!«

      »Zieht euch doch eure nassen Sachen aus, ihr müsst halb erfroren sein!«, bemerkt Hans-Peter, während er und Dörte sich die Hand geben.

      Sie legen ihre durchnässten Jacken ab und hängen diese an die große Wandgarderobe.

      »Und zieht bitte auch eure Schuhe aus!«, fügt Nili an. »Dort hinter der Garderobentür findet ihr genügend Puschen zur Auswahl!«

      Hans-Peter führt die Gäste in die warme und gemütliche Wohnküche, in der Platz für alle ist. Die gesamte Truppe wird von den Familienmitgliedern mit großem Hallo empfangen. Hausherr Oliver umarmt zunächst seine Nichte Nili, dann verkündet er unwillkürlich auf Spanisch: »Bienvenidos en ésta su casa!«

      »Aber Onkel Oliver, meine Freunde verstehen doch kein Spanisch!« Nili lacht und wendet sich Hauke und Dörte zu. »Was er euch sagen wollte, ist: ›Willkommen in diesem, eurem Hause!‹ Es handelt sich um eine im spanischen Sprachbereich weitverbreitete Begrüßung. Meine Großeltern haben zusammen mit ihren Kindern, also mit Oma Clarissa, Onkel Oliver und meiner Ima Lissy, die Nazizeit im bolivianischen Exil verbracht und kommunizieren auch heute noch in dieser Sprache. Für mich ein großes Plus, denn schon aus dem Grund bin auch ich mit dieser Sprache aufgewachsen.«

      Nachdem sich die beiden Gäste des Hauses mit der Familie bekannt gemacht haben, lässt Hauke es sich nicht nehmen, Nilis inzwischen sechsundneunzig Jahre alte Großmutter ganz besonders herzlich zu begrüßen. »Ich freue mich, sehr geehrte Frau Keller, Sie nach so langer Zeit mal wieder zu treffen. Ich muss Ihnen ein Kompliment aussprechen, gnädige Frau: Sie sehen immer noch fantastisch aus, alle Achtung!« Ehrerbietig verbeugt er sich vor der alten Dame und deutet galant einen Handkuss an.

      Oma Clarissa, der die Sache zunächst ein wenig unangenehm zu sein scheint, greift nach Haukes Hand und fragt mit einem Augenzwinkern: »Sag mal, Nili, war dein Kollege immer so ein Charmeur?« Dann, an diesen gerichtet: »Danke, lieber Hauke, das war sehr lieb von dir! Aber woher hast du diese vornehme Art? Jedenfalls tut es einer alten Frau wie mir gut, ab und zu einmal so richtig hofiert zu werden!«

      Ihren Worten folgt allgemeines, sehr vergnügtes Gelächter.

      Nili ist von Haukes Auftritt sehr berührt, geht auf ihn zu und umarmt ihn. »Genug geklönt, Leute! Greift zu, die Spiegeleier und die Würstchen werden nicht heißer!« Onkel Oliver geht mit gutem Beispiel voran und bedient sich. »Wo hast du denn deine beiden Kollegen getroffen?«, erkundigt sich Lissy.

      »Waldi und ich waren auf unserer üblichen Joggingstrecke, als Hauke und Dörte zufällig vorbeifuhren. Da es gerade heftig zu schneien begann, haben sie uns einfach in ihrem Wagen mitgenommen!«

      Hauke nickt: »Wir fuhren zu einem Einsatz – macht doch nichts, Dörte, sie erfahren es sowieso morgen aus der Presse und im Radio – in dem neuen Windpark am Nordrand von Oldenmoor. Man hat dort eine unbekannte Leiche gefunden, und da hilft weder Zähnefletschen noch Müdesein, auch nicht an diesem Sonntag, wo so ein hundsmiserables Wetter ist. Also mussten wir wohl oder übel dorthin.«

      Dörte, die kurz davor gewesen war, Hauke zu unterbrechen, nahm schweigend etwas von dem Rührei, das Oliver ihr reichte.

      »Wisst ihr schon, wer der Tote ist?«, fragt Oskar, der jüngste von Nilis Cousins.

      »Nein, leider nicht. Bei dem Wetter konnte weder die Polizei noch der Kriminaltechnische Dienst groß etwas an der Fundstelle ausrichten. Wir mussten deshalb kurzerhand den Einsatz abbrechen.«

      Ein wenig verwundert sieht Nili ihren Waldi an, der mit seiner Erklärung offenbar versuchen wollte, von dem leidigen Thema abzulenken. Dann eilt sie ihm zu Hilfe: »Hast recht, Waldi, lasst uns lieber von etwas Angenehmerem reden!«

      Als Dörte und Hauke sich etwas später verabschieden, hat es zwar aufgehört zu schneien, doch die gesamte Landschaft ist nun von einer dicken weißen Schneeschicht bedeckt, die von starken östlichen Windböen verweht wird und sich an manchen Stellen bereits meterhoch auftürmt.

      Waldi und Nili begleiten die beiden hinaus: »Fahrt vorsichtig, Freunde! Wenn Petrus so weitermacht, geht hier bald auf den Straßen nichts mehr«, orakelt Nili.

      Bevor Hauke in den Wagen steigt, fragt er: »Sagt mal, liebe Kollegen, würdet ihr uns bei diesem Fall eine Hand reichen? Mir schwant, dass wir allein nicht weiterkommen werden. Es hat wegen der Windräder in letzter Zeit einen ziemlichen Aufruhr in der Bevölkerung gegeben. Wenn dieser Fall irgendwie damit zu tun haben sollte, na denn Mahlzeit!«

      »Im Prinzip sehr gerne, nicht wahr, Waldi?«, sagt Nili. »Aber ehrlich gesagt glaube ich kaum, dass euer Boss, der ehrenwürdige Herr Kriminaloberrat Stöver, so etwas zulassen würde. ›Hein Gröhl‹ ist doch berühmtberüchtigt wegen seiner Abneigung gegen jede ›Einmischung‹ von außen, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern!«

      »Versucht doch erst einmal die Leiche zu identifizieren«, beschwichtigt Waldi. »Wenn ihr wisst, um wen es sich handelt, und dann tatsächlich Hilfe benötigt, gebt uns Bescheid! Dann ergibt sich vielleicht eine passende Gelegenheit. Und nun ab mit euch, bevor es wieder schneit. ’ne gute Fahrt und tschüss!«

       *

      Kranführer Wilfried Beuck parkt sein Audi Q5 vor dem Eingangstor des Barghus. »Komm schon, Sigfried, wir müssen dem Chef Bericht erstatten.«

      Monteur Förster steigt ebenfalls aus. Beide betreten die geräumige Diele des ehemaligen Bauernhauses, in dem der Sitzungssaal der Genossenschaft eingerichtet wurde. Sie gehen weiter bis zu einer Tür, an der ein Schild mit der Aufschrift »Technischer Leiter« und dem Namen des Diplomingenieurs – Wolfgang Schneider – angebracht ist.

      »Herein!«, ertönt es von innen, nachdem Beuck angeklopft hat. Schneider begrüßt die beiden, überrascht über ihr unerwartetes Erscheinen.

      Der Kranführer berichtet kurz von der Anordnung des Montageleiters Klages, die sie zur Inspektion der Gerätschaften an die Baustelle geführt hatte, und von dem dabei erfolgten grausamen Fund.

      »Oh weh, das ist ja fürchterlich! So etwas hat uns gerade noch gefehlt! Verdammt noch mal, womit haben wir nur dieses Schlamassel verdient? Wer uns das wohl eingebrockt hat!« Schneider lässt die beiden ausführlich berichten. »Habt ihr sonst irgendjemandem von dem Leichenfund erzählt?« Als Wilfried Beuck und Sigfried Förster verneinend die Köpfe schütteln, greift Wolfgang Schneider zum Telefon. »Dann macht jetzt mal Feierabend, Jungs. Ich kümmere mich darum. Seid so nett und haltet die Schnauze über diesen Vorfall. Wir müssen ja nicht unbedingt alle Hunde wecken. Das werden mit Sicherheit andere zur Genüge tun, vor allem die feindseligen Medien!«

      Die Angesprochenen murmeln nur noch ihr »Auf Wiedersehen,