3 Die Kieler Drogenhändlerbande um Mathias Lohse, alias Drogenmatti, wurde observiert und konnte letztendlich – dank Ihres gemeinsamen Einsatzes – mit einem Schlag dingfest gemacht werden. Auch gemessen am beachtlichen Drogen-, Geld und Waffenfund war es ein riesiger Erfolg, für den ich Ihnen allen auch im Namen unseres Innenministers sowie des Polizeipräsidenten verbindlichen Dank und Anerkennung aussprechen darf. Besonderen Dank an unseren geschätzten Leiter des Drogendezernats, Hauptkommissar Dr. Walter Mohr. Vorbildliche Arbeit, Waldi!
4 Dabei ging uns zufällig einer der meistgesuchten kolumbianischen Logistiker und Spiritus Rektor des europäischen Kokainhandels ins Netz, der Interpol bis dato immer wieder entwischen konnte: Francisco José Villegas, alias Paco-Pepe oder auch El Genio. Dieses spukende Phantom weigerte sich zunächst eisern, uns seinen echten Namen zu nennen, den wir schließlich mit Hilfe der spanischen Kollegen erfuhren. Zudem aber gebührt unserem Sprachgenie, Frau Masal, ein besonderes Lob, diesen Kerl mit viel Geschick letztendlich zum ausführlichen Geständnis in seiner eigenen spanischen Sprache gebracht zu haben. Sehr gute Arbeit, Frau Kriminaloberkommissarin!
5 Schließlich, aber dennoch besonders bedeutend: Der tragische Tod durch eine Überdosis reinen Kokains, welcher der junge Ralph Westphal zum Opfer fiel, konnte ebenfalls rein zufällig in Zusammenhang mit einer der bereits oben geschilderten Festnahmen geklärt werden. Wir standen vor dem Dilemma: War dieser Tod durch Eigenverschulden des Verstorbenen eingetreten oder hatte jemand im Hintergrund daran ‚gedreht‘? Durch ein umfassendes Geständnis der festgenommenen und noch jugendlichen Illegalen Habiba Massud aus Ramallah, das wir ebenfalls sowohl dem sprachlichen Geschick als auch dem Einfühlungsvermögen unserer geschätzten Kollegin Frau Masal zu verdanken haben, erfuhren wir die wahren Gründe dieser Tragödie. Ich habe mich beim hiesigen Rabbiner Dr. Mendel informiert und erfuhr von ihm den hierfür angebrachten Satz: ‚Kol Hakavot, giveret Masal.‘6 Als Auftraggeber des Mordes konnte durch die Aussage der unwissenden und unfreiwilligen Täterin Habiba eindeutig Mathias Lohse ausgemacht werden, der sich nun zusätzlich vor dem Schwurgericht wegen heimtückischen Mordes aus niederen Motiven zu verantworten hat. Für ihn bedeutet das sehr wahrscheinlich lebenslänglich mit einer besonderen Schwere der Schuld.“
Nachdem Hinrich Harmsen die Versammlung beendet hatte, lud er uns noch zu einem Glas Sekt ein und zu einigen Appetithäppchen, die – wie konnte es hier auch anders sein – mit Kieler Sprotten belegt waren. Bevor wir uns auf den Nachhauseweg machten, bat er mich kurz in sein Arbeitszimmer und fragte, was ich denn Besonderes auf dem Herzen habe. Ich erzählte, dass ich Habiba versprochen hatte, ihr bei der Gerichtsverhandlung beizustehen und ihre Aussage zu übersetzen. Und fragte ihn, ob er sich für sie verwenden könne, damit sie nicht abgeschoben werde. Harmsen wollte das Erste auf Zulässigkeit bei Gericht prüfen. „Machen Sie sich aber bitte keine größere Hoffnung auf ein Bleiberecht. Bis zur Gerichtsverhandlung besitzt sie selbstverständlich Zeugenschutz. Wegen ihrer willigen Kooperation und Aussage werde ich als Ankläger dem Gericht vorschlagen, gegen sie nur ein mildes Urteil wegen Drogenhandels zu verhängen, da sie offensichtlich dazu gezwungen wurde. Ernster sieht es natürlich im Falle des Totschlags an Ralph Westphal aus. Ich kann für sie nur hoffen, dass sie einen geschickten Verteidiger bekommt, der das Gericht milde stimmt. Ich persönlich hätte nichts dagegen. Aber ob ihr nach Verbüßung ihrer eventuellen Haftstrafe hier eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden kann, halte ich für äußerst fraglich. Selbst wenn, was soll hier aus ihr werden, ohne Ausbildung und Verwandte? Machen wir uns nichts vor: Wenn sie wieder frei herumläuft, geht sie sicherlich den Übeltätern erneut ins Netz!“
„Ich hätte da eine Idee, Herr Oberstaatsanwalt: Meine Mutter bewirtschaftet in Oldenmoor einen größeren Geflügelhof und könnte sehr gut eine Helferin gebrauchen. Auch sie spricht perfekt Iwrith. Wir könnten sie als Bewährungshelferin gewinnen. Und meine Oma, obwohl schon 96 Jahre alt, war Lehrerin und würde Habiba sicherlich gern die deutsche Sprache beibringen, wenn ich sie darum bitte.“
Er könne mir jetzt nichts versprechen, man müsse zunächst einmal das Ergebnis der Gerichtsverhandlung abwarten. Jedenfalls hielt er meine Vorschläge für akzeptabel, man werde sehen. Auch er habe noch ein besonderes Anliegen an mich, er käme aber erst in Kürze darauf zurück, sobald es spruchreif sei. Um was es sich dabei genau handelt, wollte er mir jetzt noch nicht verraten. Danach fuhr ich nicht mit meinen Kollegen zurück nach Oldenmoor, sondern ließ mich vor Melanie Westphals Haus absetzen und konnte ihr und ihren Eltern alles umfassend berichten.
Tage später findet in aller Stille die Beisetzung von Ralph Westphals sterblichen Resten auf dem Urnenfriedhof am Eichhof statt. Außer den engsten Familienmitgliedern sind nur Nili und Walter Mohr anwesend. Nachdem die Urne in der Erde versenkt wurde und die Trauernden den Eltern und der Schwester noch einmal die Hände gedrückt haben, gehen sie gemächlich auseinander. Auf ein Trauermahl hat man absichtlich verzichtet.
Als Nili gedankenversunken neben Waldi zum Auto geht, fasst er sie plötzlich an der Hand und zeigt mit dem Kopf in Richtung einer nahe gelegenen, dichten Hecke. Schemenhaft dahinter verborgen kann sie Habiba Massud ausmachen, die zwischen zwei Justizbeamten in Zivil schluchzend das verweinte Gesicht mit ihren Händen bedeckt, die beidseitig an ihre Bewacher gefesselt sind.
5. Strukturreform
Nach den vorangegangenen sehr turbulenten und ereignisreichen Wochen ist im meist verträumten Idyll Oldenmoors wieder jene an Langeweile grenzende Ruhe eingekehrt, die den kleineren Städten im norddeutschen Flachland so eigen ist, diese aber deswegen nicht weniger liebenswert und charmant macht. Die braven Leute gehen ihrem gemütlichen, gewohnten Alltag nach. Auch die kriminellen Handlungen befinden sich wieder auf einem niedrigen Niveau. Hier mal ein gestohlenes Fahrrad, dort der Einbruch im Casino des Sportvereins, bei dem einem der Täter das Portmonee mit seinem Führerschein aus der Tasche fiel, sodass beide Ganoven schon am nächsten Tag dingfest gemacht werden konnten. Hüben eine Prügelei zwischen zwei angetrunkenen Zechern in einer der Dorfkneipen, drüben ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht, bei dem der drogensüchtige Verursacher noch am selben Abend in seinem Bett verhaftet werden konnte. Viel Schwerwiegenderes jedoch verursacht seit zwei Monaten Unruhe und böse Ahnungen beim Dienststellenleiter Kriminaloberkommissar Boie Hansen. Aufgeschreckt von den vom Bundestag und der Bundesregierung in Berlin ausgesprochenen Mahnungen zum Sparen und zur Schuldenminderung in der Haushaltsführung, machen nun auch das Landesparlament und der Rechnungshof gemeinsam Druck auf die Regierenden in Kiel, ihren Haushalt endlich auszugleichen, also so bald wie möglich das zu tun, was übrigens ebenso für jeden braven Bürger gilt, nämlich nicht mehr auszugeben, als sie voraussichtlich einnehmen werden. Also müssen alle Mitglieder des Kabinetts – so auch der Innenminister – sich darauf einstellen, in den nächsten Jahren mit erheblichen Etatkürzungen zu leben, aber trotzdem funktionieren zu müssen. Dies betrifft schmerzlich alle öffentlichen Einrichtungen und Dienststellen, so auch die Landespolizei, die jetzt vom Innenminister eine Strukturreform verordnet bekommen hat.
„So’n Shiet aber ock! Bedüht toon End, mannig mehr Arbeit för weniger Lüüt!“, stöhnt Hansen laut vor sich hin beim Lesen dessen, was ihm heute die interne Post aus dem Ministerium auf dem Dienstwege beschert. Polizeimeister Willi Seifert sitzt am Schreibtisch der Telefonzentrale. Im Hintergrund ist ganz leise gelegentlich der monotone Wortwechsel des Polizeifunks zu hören. „Wat is’n los, Chef?“
„Mannomannomann! Is tom rammdösig warn, all dat, wat heer unser Dienstherr mit sien pupsigen Strukturreform uns da verklamüstern deit!“
„Ach so, Chef, ich habe auch schon etwas darüber in der Zeitung gelesen, aber ist es denn so schlimm?“
Wortlos reicht Hansen seinem Mitarbeiter den zehn Seiten langen Text. Dieser liest ihn sehr aufmerksam durch. „Is ja wirklich ein Katalog der Grausamkeiten, wie soll da noch ordentliche Polizeiarbeit nah am Bürger geleistet werden?“
Boie Hansen mokiert sich: „Wie heit dat noch bi uns so schoin? ‚Wer Dag för Dag sien Arbeit deit un jümmers op’n Posten steiht, un deit dat goot un deit dat geern, de dröfft sik ok mal amüseern!‘7 Wer shall sick mit soon Shiet aber ok amüseern? Ick nich!“
Nach