Steine des Schreckens. Reinhard Kessler

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Название Steine des Schreckens
Автор произведения Reinhard Kessler
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957449658



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      „Mach es doch wie die Motorradfahrer und binde dir einen Schal vor den Mund.“

      „Der Luftwiderstand ist unglaublich. Das ist mühsam!“

      „Man kommt kaum vorwärts.“

      „Die Fehmarnsundbrücke ist jetzt sicher wieder für Gespanne mit Wohnwagen und für leere LKW gesperrt!“

      „Hoffentlich auch, sonst werden die einfach von der Brücke gepustet und weg sind sie.“

      Sie kämpften weiter tapfer gegen den Wind an. Sie stützten sich gegenseitig und kamen sich mit ihrer schrägen und breitbeinigen Gangart vor wie alte sturmerprobte Seebären auf einem schwankenden Schiff.

      Die Luft tat gut. Sauber gewaschen durch den nächtlichen Regen, der letzte Staub war nun weggeblasen vom Wind und kleinste salzhaltige Tröpfchen von Meereswasser in der Luft sorgten für den Zustand, den ein paar Personengruppen besonders schätzen. Das sind zum Beispiel alle Windmühlenbetreiber, Segler und Kitesurfer, Drachensteigenlasser und nicht zu vergessen – unsere lieben Allergiker, eine jährlich wachsende Pollen-Fangemeinde. Wer das halbe Jahr mit gequollenen Froschaugen und roter verschleimter Nase herumläuft, der schätzt diese Phasen, wo die Pollen irgendwo sind, nur nicht in der Luft, oder wenn doch, dann weit weg. Für Leute mit Heuschnupfen ist so ein Wetter ein wahrer Quell der Freude.

      Sie hatten aber beide keinen Heuschnupfen – und wieso heisst das Heuschnupfen, wenn zum Beispiel die Haselnuss schuld ist? Sie zählten auch zu keiner der anderen Gruppen. Also war der Wind zunächst mal nur eines, nämlich lästig. Aber das ist ja immer auch abhängig von der Richtung. Wenn man mit dem Wind geht, ist es ok, man wird nur etwas schneller als sonst. Das kann bis zu einer bestimmten Windstärke sogar Spass machen. Wenn man gegen den Wind geht, dann nervt es. Bei Frauen hängt das alles auch noch von der Haarlänge ab und ob frau bestimmte Bändigungstechniken beherrscht oder technische Hilfsmittel einsetzt wie Stirnband, Wollmütze, Schal.

      Radfahrer kennen noch ein ganz spezielles Wind-Phänomen nur zu gut. Wenn man gegen den Wind fährt, dann freut man sich auf die Rückfahrt mit der dann zu erwartenden Windunterstützung. Da geht dann aber die Post ab. Denkste. Erfahrene Radfahrer fallen darauf nicht rein.

      Egal wie man fährt auf der Insel, man hat immer Gegenwind. Physikalisch eigentlich unmöglich, ist es aber psychologischer Alltag. Es gibt scheinbar so etwas wie eine ‚gefühlte bevorzugte Windrichtung‘, und das heisst konkret und immer: der Wind kommt von vorne, egal in welche Richtung man fährt. Da wird dann auch der eleganteste Pedaleur schnell zum breitbeinigen Stampfer und jeder Meter muss der Strasse abgekämpft werden. Kommen noch ein paar Regentröpfchen dazu, dann machen diese Drahtesel-Freunde einen überaus glücklichen Eindruck. Am schlimmsten fand Jelato diejenigen Esel auf den Drahteseln, die bei Wind noch die Idee hatten, einen Schirm aufzuspannen. Die haben doch tatsächlich so nebenbei eine neue Sportart erfunden – Kite-Radfahren. Aber Vorsicht – das ist eine Hochrisikosportart.

      Sie blieben öfters stehen und schauten auf’s Wasser, hinaus auf das weite Meer, das heute aufgewühlt war. Ein faszinierendes Naturschauspiel. Gelegentlich schien die Sonne durch ein Wolkenloch auf‘s Meer und diese helle Stelle auf dem Wasser bewegte sich dann rasend schnell vorwärts und durch die feinen Tröpfchen in der Luft konnten sie sogar den Verlauf der Sonnenstrahlen gut sehen, wie ein Spot-Light bei einem Konzert mit durch Nebelmaschinen verpesteter Luft. Es gab ab und zu sogar so etwas wie einen Regenbogen, aber nie für lange.

      Sie genossen die Vorstellung und bemerkten, dass sie sich bei ihrer Unterhaltung fast anschreien mussten. Der Wind blies ihre Worte einfach weg. Für Fremde sah das sicher aus wie ein handfester Ehekrach. Aber wir können beruhigt sein, es war eine ganz normale Unterhaltung.

      „Kannst du dich noch an die Berichterstattung von der letzten Krise in Nordafrika erinnern?“, schrie er sie an.

      „Was meinst du genau?“

      „Da wurden doch viele Menschen mit grossen Fliegern evakuiert. Damit der Bericht authentisch wirkt, haben sie den Reporter vor so eine startbereite Maschine mit laufenden Triebwerken gestellt und dieser Dummling hat dann zwei Minuten lang seine Reportage ins Mikrofon geschrien! Man hat kaum was verstanden.“

      „Ach ja, das war eine Glanzleistung. Sie machen ja bei uns auch immer den Wetterbericht vom Dach des Senders aus und es fliegt dann ein Flieger drüber oder unten fährt ein Krankenwagen mit Alarm.“

      „Und hier ist es jetzt mit diesem Wind so ähnlich“, schrie er weiter.

      „Beim letzten grossen Sturm wäre so eine Reporterin beinahe weggespült worden wie auf der Toilette. Die hat tatsächlich gemeint, sie müsste das aufgepeitschte Wasser mit auf dem Bild haben und hat sich an die Kai-Mauer gestellt. Dann kamen auch erwartungsgemäss schöne grosse Wellen und sie hatte ein Problem.“

      Kaum hatte Jelato über die sensationslüsterne und quotengierige Journalistin abgelästert, da musste er mit einer blitzartigen Bewegung seine Kappe retten. Die war schon halb vom Kopf und wäre wohl ziemlich weit geflogen.

      „Reflexe sind noch ok.“

      „Die wär weg gewesen, die hättest du nicht mehr eingekriegt.“

      So kämpften sie sich weiter vorwärts und weil sie dabei den Kopf immer etwas nach unten gebeugt hatten, bemerkten sie erst recht spät, dass es auf ihrem Weg auf dem Deich nicht mehr weiter ging. Es war abgesperrt worden. Die Polizei hatte rot-weisses Plastikband an einem Holztor, welches Weideabschnitte auf dem Deich voneinander trennen sollte, angebracht. Das Band flatterte wie wild im Wind, die Enden hingen nicht nach unten, sondern wurden vom Wind waagerecht in der Luft gehalten und ungefähr 100 m weiter hinten auf dem Deich sahen sie zahlreiche Leute, die mit irgendwas beschäftigt waren. Sie konnten weiter nichts erkennen. Sie beschlossen daher, das Plastikband zu respektieren und nicht oben auf dem Deich weiter zu wandern, sondern den bequemen und windsicheren Radweg auf der Landseite zu benutzen.

      So ein Deich hat ja oft drei Wege. Da ist zum einen der Deichweg, das könnte gut der an der Wasserseite sein. Dann hat es den Deichverteidigungsweg, das wird wohl oben der sein auf der Deichkrone. Und auf der anderen, der wasserabgewandten Seite, das ist sicher ein Feldwirtschaftsweg, der heisst jetzt aber Radweg. Man müsste das mal nachlesen, wie das genau ist mit den drei Wegen. Es könnte auch andersrum sein. Jelato würde bald mal im Internet nachschauen.

      Sie entschieden sich also für diesen Radweg, der vielleicht auch der Deichverteidigungsweg war, mit Sicherheit aber ein Feldweg ist. So konnten sie die gesperrte Stelle umgehen und kamen aber doch bis auf 20 m heran. Sie trafen auf ein paar Leute, die dem Treiben da oben zuschauten, was denn so läuft. Man muss doch informiert sein.

      Man nennt diese Leute heute gerne Schaulustige oder Gaffer, es sei denn sie können nützliche Angaben machen, dann sind es plötzlich nicht mehr Gaffer, sondern gute Beobachter, aufmerksame Spaziergänger oder gar wichtige Zeugen. Man beurteilt die Leute also nach ihrer Nützlichkeit und Verfügbarkeit. Das machen sonst nur Chefs und Zuhälter und Priester – und eben die Polizei in ihren Meldungen bei irgendwelchen Unfällen und Ereignissen.

      Jelato fragte einen dieser Mitmenschen am Zaun, was los sei.

      Und siehe da, es war ein Zeuge, kein Gaffer. „Dort liegt ein toter Hund. Habe ich vor ungefähr einer Stunde gefunden.“

      „Ach was? Nein! Und deswegen so ein Aufwand? Haben die nichts Besseres zu tun? Wenn dass das grösste Problem auf der Insel ist, dann geht es hier aber allen gut.“

      „Nein, nein. Das scheint schon ernster zu sein. Das arme Tier wurde irgendwie vorher misshandelt und schliesslich wahrscheinlich totgebissen.“

      „Ja, dann ist es klar. In so einem Fall wird ermittelt wie bei Tötungsdelikten bei Menschen. Die Kriminaltechnik sichert am Tatort alle möglichen Spuren und die Pathologie sucht die Todesursache.“

      „Sind Sie vom Fach?“

      „Ja, aber im Urlaub.“

      „Schade, dass ich den Hund von hier aus nicht sehen kann. Ich kenne fast alle Hunde von Presen und Umgebung und könnte denen sagen, ob er von hier ist.“

      „Das