Zeit wie Wasser. Christiane Höhmann

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Название Zeit wie Wasser
Автор произведения Christiane Höhmann
Жанр Секс и семейная психология
Серия
Издательство Секс и семейная психология
Год выпуска 0
isbn 9783865066060



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setzte sich vorsichtig in das leuchtend blaue Samtsofa.

      »Was hast du denn gemacht?«, sie drehte sich um und musterte ihn. »Hast du etwa eine neue Frisur?«, sie trat hinter das Sofa und strich ihm leicht über das Haar. Er lächelte.

      Hella achtete immer genau darauf, wie Bernd sich anzog, und dass er regelmäßig zum Friseur ging. Jedenfalls hatte Mutter das immer behauptet.

      »Hella achtet auf Äußerlichkeiten«, hatte Mutter immer gesagt.

      »Ein bisschen Gel«, meinte er jetzt, »weiter nichts.« Sich Gel in das Haar zu schmieren, war etwas, das ihm früher nicht in den Sinn gekommen wäre. Das Mädchen im Starbucks hatte es ihm vorgeschlagen. Es war aufregend.

      »Gestylt, hm?«, Hella grinste ihn an und streichelte sein Haar gegen den Strich. »Färbst du es auch?«, fragte sie dann. Henry schüttelte den Kopf und schaute sie mit gespieltem Entsetzen an. Er lehnte sich ins Sofa zurück.

      Sein Blick fiel auf einen Stapel Illustrierte, als er sich die oberste vom Stapel nahm, fing Daisy an zu bellen.

      »Ruhig, du blöder Hund«, zischte Henry.

      Aber Hella beachtete den Hund genauso wenig wie Henry. Sie schaute auf das Foto in ihrer Hand, hielt es ein Stück von sich weg und lachte. Das Bild zeigte Henry mit einer roten Nase, einer Clownsnase.

      »Es ist komisch«, sagte Hella, »es ist so komisch.«

      Sie warf sich auf einen Sessel, hielt sich das Foto an den Bauch und lachte.

      Auch ein schönes Bild, dachte Henry, sein Blick wanderte nur widerstrebend von dem Foto auf Hellas Bauch zu ihrem Gesicht. Eine schöne Frau, dachte er plötzlich. Das Lächeln verändert ihr ganzes Gesicht. Es macht es so … so niedlich vielleicht.

      Er stand auf und trat vor den Spiegel im Flur. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er an seinen Tränensäcken herum, zog die Mundwinkel hoch und zwinkerte sich zu. Er zog sich an den Ohren und starrte in seine Augen im Spiegel. Ein Clown lacht nicht über sich selbst, aber er zeigt seine Lächerlichkeit.

      »Wir haben einen Sketch aufgeführt«, er ging zu Hellas Sessel zurück und blieb dahinter stehen, »mein Bruder Wilhelm und ich«, aus seiner Hosentasche zog er ein weiteres Bild, auf dem Wilhelm mit bunten Hosenträgern über dem Bauch zu sehen war. »Seine Tochter hatte Geburtstag«, Hella warf einen flüchtigen Blick auf das zerknitterte Foto von Wilhelm und betrachtete dann wieder das Bild in ihrer Hand. Sie sah sich zu Henry um und schaute ihn an, als habe sie ihn noch nie gesehen.

      Wenn Henry später darüber nachdachte, wann es angefangen hatte, die Sache zwischen Hella und ihm, dann fiel ihm als Erstes dieser prüfende Blick ein. »Gehst du jetzt mal mit Daisy spazieren?«, fragte sie und er nickte. Mit dieser Frage hatte er rechnen müssen. Zum Shopping in der Stadt konnte sie Daisy nicht so gut mitnehmen. Und Hella ging oft in die Stadt, am liebsten jeden Tag.

      Manchmal muss man eben etwas Verrücktes tun, dachte Henry. Aber wenn, dann muss es sofort sein. So was muss man machen, wenn einem das Neue noch so viel Energie gibt, dass man es auch tun kann. Er würde jetzt sofort mit dem Hund spazieren gehen.

      Immerhin gab es ihm die Möglichkeit, Daisy zu Hella zurückzubringen.

      Das Zusammensein mit seiner Nachbarin war gut. Es war selbstverständlich, ja, es hatte eine Selbstverständlichkeit, die er sich nicht erklären konnte. Das war wohl die Abwesenheit des Gefühls, irgendetwas, was er tat oder nicht tat, erklären zu müssen. Ja, so konnte man das ausdrücken, dachte Henry.

      Hella war die richtige Zeugin für sein Bild.

      Daisy warf einen skeptischen Blick auf Henry und zog ihn zum Park. Er sprach lange auf sie ein, bevor sie begriff, dass er jetzt zum Friedhof musste und nicht in den Park. Schließlich gelang es ihm, die Hündin in sein Auto zu bugsieren.

      Das Gräberfeld hatte zum Glück auch auf sie eine beruhigende Wirkung. An dem schwarzen Marmorviereck schaute sie sich eine Weile um und legte sich dann neben die Bank, auf der Henry saß und seine Zwiesprache hielt.

      »Auch einer Hündin ist mit Vernunft beizukommen«, sagte Henry halblaut. Daisy hob ein Augenlid.

      »Jetzt gehen wir zum Supermarkt«, der Hund richtete sich auf.

      »Vor dem Markt werde ich dich anbinden. Dann gehe ich hinein und kaufe ein. Es dauert nicht lange, bis ich wieder herauskomme, nur wenige Minuten. Dann laufen wir zusammen zum Friedhof, also zu meinem Auto, und fahren nach Hause zurück, okay?«

      Die Hündin sah ihn an, als wollte sie sagen, dass ihr das Thema Einkaufen mit einem Menschen hinlänglich bekannt sei.

      Hella war nicht da, als er mit Daisy zurückkehrte. An seiner Tür klebte ein Post-it-Zettel. »Bin zum Einkaufen.

      Ab halb sechs ist Bernd von der Arbeit zurück.«

      Bernd? Ach ja, Bernd, dachte Henry. Bis vor Kurzem war Hella immer nur Bernds Frau gewesen und jetzt hatte er stundenlang nicht daran gedacht, dass sie verheiratet war. Henry streckte sich auf der Wohnzimmercouch aus, Daisy neben sich auf einer Decke.

      Er erwachte von ihrem heftigen Bellen. Hatte sie Hunger oder musste sie vielleicht noch einmal nach draußen? Mit dem Hund an der Leine trat er durch die Terrassentür in den Garten.

      Daisy bellte weiter. Henry folgte ihrem Blick auf den Apfelbaum in Hellas und Bernds Rasenstück. Seine Zweige reichten bis tief auf den Rasen und überall lagen kleine grüne Äpfel, selbst jetzt noch, im Spätherbst, Klaräpfel, die keiner von ihnen aß.

      Im Sommer stellten die Schulzes ihre Gartenmöbel unter den Baum, weil nur dieser in dem kleinen Garten Schatten spendete. Das tat der Baum nicht gerne. Im Gegenteil: Er schien nur darauf zu warten, dass man unter den schweren Zweigen Platz nahm, damit er seine Äpfel abwerfen konnte. Besonders auf mich, dachte Henry und betastete unwillkürlich seinen Kopf, so als könnte er die Beule vom letzten Grillessen im Garten immer noch fühlen.

      Daisy bellte weiter. Henrys Blick wanderte nach oben. Bernd befand sich im Apfelbaum, man sah nur seine Beine und die Arme, die die Zweige beschnitten. So spät im Jahr, dachte Henry. So spät macht er das. Und es ist doch schon fast dunkel. Aber klar und trocken. Und es ist auch wirklich besser, wenn im nächsten Jahr mal niemand von den Äpfeln getroffen wird, dachte Henry.

      Tief atmete er die Abendluft ein und aus. Es duftete nach Astern. Plötzlich sah er Bernds Hand, mit der er sich an einem Ast festklammerte. Mit der anderen winkte er Henry und Daisy zu, er rief etwas, das Henry nicht verstand, aber er konnte Bernds Lachen hören. Bestimmt fand der Nachbar es erheiternd, dass Henry mit Daisy spazieren gegangen war, genauer gesagt, Daisy mit Henry.

      Als Henry die Hand hob, um zurückzuwinken, sah er die plötzlichen, unerwarteten Bewegungen der Äste. Ein Wind musste aufgekommen sein, der Baum versuchte, die fremde Last abzuwerfen.

      Bernd klammerte sich jetzt mit beiden Armen fest, aber nicht fest genug, er schrie etwas, hörte schlagartig auf zu schreien, für einen Moment war alles still, nicht einmal die Pappeln an der Straße, durch die man jetzt den Wind gehen sah, waren zu hören.

      Dann verlor Bernd den Halt und stürzte auf den Grasboden. Blätter raschelten, Zweige knackten und ein dumpfer Aufprall war zu hören, kein Schrei, kein Laut mehr. Etwas war zu Ende gegangen. Als Henry aus seiner Erstarrung erwachte, lief er hinüber. Daisy stand neben Bernd, der unter dem Baum lag, unter sich ein schwerer Ast, den er mit hinabgerissen hatte, seine Arme und Beine waren verdreht, die Augen wurden starr. Die Hündin bellte nicht.

      Wie soll ich das nur Hella sagen?, fragte sich Henry wenig später, wie um Himmels willen erkläre ich ihr, dass der Notarztwagen vor ein paar Minuten auf ihrem Rasen gestanden hat? Wie sag ich ihr nur, dass Bernd schon nicht mehr am Leben war, als man ihn hineinschob und wegfuhr?

      Und was kommt dann? Was mache ich jetzt?

      Er saß auf dem blauen Sofa in Hellas Wohnzimmer und sah vor sich hin. Manchmal wäre es wirklich besser, man würde sich nicht vor den Spiegel stellen, rasieren, die Haare kämmen, die Nachbarin besuchen