Название | Hilde Domin |
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Автор произведения | Ilka Scheidgen |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783780692016 |
Um den Tatbestand der Verwendung von paradoxen Aussagen bzw. Bildern zu illustrieren, sei das ganze Gedicht zitiert:
Nur eine Rose als Stütze
Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln
Mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.
Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die Erde ziehn.
Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.
Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
Doch schon bald fand Hilde in der Jura nicht mehr das, was sie wollte. Sie wollte sich in Wissenschaften heranbilden, die die Gesellschaft verändern helfen. Das waren in ihren Augen Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie. Hochgemut, wie es das Privileg der Jugend ist, kehrte sie aus dem 2. Semester nach Hause zurück und verkündete: „Familiensachen interessieren mich nicht mehr. Mich interessiert nur noch die Menschheit.“
Als ersten Schritt zu diesem Programm war sie Mitglied einer sozialistischen Studentengruppe geworden. „Das Kapital“ von Karl Marx und andere Werke über ökonomische Theorie gehörten zur ihrer Lektüre. „Ich informierte mich gründlich.“
Die Eltern reagierten auf diese erneute Extravaganz ihrer Tochter großzügig. Während der Semesterferien hielt Hilde im Wohnzimmer in der Riehler Straße eine Arbeitgemeinschaft ab mit anderen Studenten und Arbeitern. Es wurde gemeinsam gelesen und natürlich diskutiert. Um nicht zu stören, überließen die Eltern ihr die Wohnung einmal in der Woche für diese Versammlungen.
Ein Unfall zwang Hilde, ihr Studium in Heidelberg zu unterbrechen: Sie hatte sich eine schwere Verbrennung am Kopf zugezogen, als ihre Lockenwickler aus Zelluloid in Brand gerieten. Bis zur völligen Genesung studierte sie deshalb in Köln. Eine weitere kurze Station im Studium war Berlin, Ende 1930, Anfang 1931.
Als linke Sozialdemokratin nahm sie aktiv teil am politischen Leben der letzten Jahre der Weimarer Republik. Hier hörte sie in der Hasenheide auf einer nationalsozialistischen Versammlung erstmals Hitler reden und erkannte als politisch geschulter Mensch sofort, was sich da zusammenbraute. Damals entschloss sich Hilde Domin, Deutschland zu verlassen, falls Hitler an die Macht käme. Frühzeitig ahnte sie voraus, dass dieser machtbesessene Mensch all das, was er in „Mein Kampf“ geschrieben hatte, auch wirklich durchführen würde. Man bezeichnete sie deshalb als Schwarzseherin und nannte sie „Kassandra“.
Doch erst einmal konnte sie zum Sommersemester 1931 zum Studium nach Heidelberg zurückkehren. Es begann für sie die „große Zeit von Heidelberg“, in der sie bei so bedeutenden Professoren wie Karl Jaspers und Karl Mannheim Vorlesungen hörte.
Bei Karl Mannheim lernte sie das Relativieren des eigenen Standpunkts, „die geistige Gymnastik, sich selbst aus der Distanz zu sehen“, wie sie sagt. Und von Jaspers hörte sie das Diktum: „Im Scheitern kommt der Mensch zu sich selbst.“ Ein Satz, dessen Wahrheitsgehalt zu erfahren und zu überprüfen sie in gar nicht so ferner Zukunft reichlich Gelegenheit erhalten sollte.
Und dann war da noch das für ihre persönliche Zukunft einschneidendste Erlebnis: Am ersten Tag des Sommersemesters 1931 lernte sie den Archäologiestudenten Erwin Walter Palm kennen. In der Mensa begegneten sie sich das erste Mal und begannen das Gespräch, das 56 Jahre lang währen sollte – der Beginn einer Zweisamkeit, deren Verlust Hilde Domin in dem FAZ-Fragebogen als das größte Unglück bezeichnete. Das war vor dem Tode ihres geliebten Mannes im Jahre 1988.
Palm war gerade erst in Heidelberg angekommen und fragte die hübsche Studentin mit den ausdrucksvollen Augen, als sie gemeinsam in der Essensschlange standen, wo sie wohne. Dem Charme des gut aussehenden jungen Mannes hat sie keinen Augenblick widerstehen können. Und so entschied sich ihrer beider gemeinsames Leben in diesen Minuten ihrer Begegnung.
Fortan gingen sie gemeinsam in die Vorlesungen und Seminare von Jaspers, lasen auf ihrem Studentenzimmer gemeinsam Plato und tauschten in der Aula sehnsuchtvoll Zettelchen miteinander. Es war Sommer. Hilde und Erwin paddelten gemeinsam auf dem Neckar bis hinauf nach Neckarsteinach. Und sie schwammen im Neckar, ganz so wie Hilde als Kind im Rhein geschwommen war. Abends gab es Tanzveranstaltungen. Und im Café Krall traf man sich mit anderen Studenten zu endlosen Diskussionen, denn dort durfte man bis Mitternacht sitzen bleiben, wenn man sich mit den so genannten „Krallinchen“, einem besonderen Gebäck für Studenten, für einen Preis von zehn Pfennigen den Eintritt und einen Sitzplatz „erkauft“ hatte.
Die Sitten waren damals noch streng. Wenn Hilde abends ihren Freund Erwin bei sich empfangen wollte, musste sie ihm den Hausschlüssel heimlich aus dem Fenster werfen. Hilde wohnte im berühmten „Thibauthaus“, das einen herrlichen Garten besaß, in dem sie beide ihre ersten Kaninchen hielten, ihren ersten gemeinsamen Besitz, bis zu ihrem Fortgehen aus Deutschland.
In diesem Haus, in dem sie zur Untermiete bei dem Flötisten Schmiedel wohnte, hatte Goethe den „Thibautschen Singabenden“ gelauscht. Und wahrscheinlich war auch er schon durch den wunderschönen Garten hinauf zum Schloss gegangen. Vielleicht waren sogar einige Gedichte des Diwanzyklus dort entstanden.
Hildes Studentenwohnung muss man sich durchaus komfortabel vorstellen. Es handelte sich um zwei hintereinanderliegende, durch einen Vorhang getrennte Zimmer, ein Schlaf- und ein Wohnzimmer, das mit Biedermeiermöbeln ausgestattet war.
Als die Mutter Hilde in Heidelberg besuchte und deren Freund kennen lernte, war sie sofort mit der Wahl ihrer Tochter einverstanden und akzeptierte ihn schon damals als ihren Sohn beziehungsweise Schwiegersohn, obwohl noch einige Jahre vergehen sollten, bis die zwei nach dem beiderseitigen Doktorexamen in Rom heirateten.
Hilde Löwenstein und Erwin Walter Palm hätten sich in ihrer Studienstadt Heidelberg und in dem wunderbaren Gefühl der Zusammengehörigkeit nun aufs Schönste einrichten können. Doch die Zeiten waren nicht danach. In der Karlstraße, wo Hilde wohnte, spielten bereits die Kinder „Umzüge“, je nach Parteizugehörigkeit der Eltern entweder kommunistische oder nationalsozialistische, und führten eine Art „Liederkrieg“ gegeneinander. Man begann zu ahnen, wie aufgeheizt die Stimmung der Anhänger beider extremer Parteien zu werden drohte.
Hilde Löwenstein, schon immer couragiert, wenn es Entscheidungen zu treffen galt, fühlte sich immer unbehaglicher und schlug Erwin vor, eine Studienreise nach Italien zu machen, zunächst wegen seines Arbeitsgebietes, der antiken Stätten. Als Land zukünftiger Studien war Italien allerdings nicht vorgesehen. Ursprünglich dachten beide an die Schweiz als mögliches Studienland. Auf jeden Fall wollten sie aus Deutschland fortgehen. Hilde rechnete damit, dass die Nazis an die Macht kommen würden.
Auf der Fahrt in die Schweiz erlebten sie in Freiburg die emotional hoch aufgeputschte Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Es war der Wahlsonntag des 20. Juli 1932. „Man sah