Название | Er war mein Urgroßvater |
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Автор произведения | Christiane Scholler |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990402245 |
Der Abstand, der wegen der Erkrankung zwischen Mutter und Kindern herrschen musste, war mit Sicherheit ein großes Problem. Die emotionale Bindung, die auf natürliche Weise zwischen Kindern und Eltern entsteht, kann sich unter solchen Umständen nicht entwickeln. Was muss der kleine Franz Ferdinand gelitten haben, als er und seine Geschwister von der Mutter nicht liebevoll in den Arm genommen werden konnten!
So tragisch das Ableben der 28-jährigen Maria Annunziata aufgrund der fortgeschrittenen Lungentuberkulose war: Die mittelbare Folge war der Eintritt einer liebevollen Ersatzmutter in diese Familie, die es mit psychologischem Gespür und großer emotionaler Intelligenz trotz ihrer jugendlichen 18 Jahre bei der Hochzeit schaffte, die Herzen der Kinder und das des Vaters im Sturm zu erobern. Diese Frau war es auch, die – zum Glück! – die weitere Entwicklung Franz Ferdinands nachhaltig prägen konnte und ihm bis an das Ende seines Lebens eine liebevolle, weise und gütige Ratgeberin war. Was kann man Schöneres über eine Mutter sagen?
Der »Ausstellungs-Erzherzog«
Die landläufige Meinung über Kindererziehung und Alltag in einem adeligen Haushalt geht nicht selten in die Richtung: verwöhnte Fratzen, denen jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird, süßes Nichtstun und keine Sorgen um Essen, Trinken, Kleidung und Geld, weil ja ohnedies alles im Überfluss vorhanden ist.
Weit gefehlt! Franz Ferdinand und seine Geschwister mussten sehr wohl, und zwar sehr viel, lernen, um sich auf einen späteren Beruf vorzubereiten. Das konnte die Gutsverwaltung mit allen damit verbundenen Pflichten und großer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern sein. Oder die Vorbereitung auf ein hohes Amt, wie auch der Vater, Erzherzog Carl Ludwig, seiner Familie und seinen Zeitgenossen in vieler Hinsicht beeindruckend demonstrierte.
Denn Carl Ludwig bekleidete eine unglaubliche Anzahl von Ämtern. Begonnen hatte er im Alter von 20 Jahren als Staatsdiener, mit 22 war er bereits Statthalter von Tirol, später auch in Lemberg in Galizien. Ab dem sogenannten Februarpatent vom 26. Februar 1861 konnte man jedoch nicht gleichzeitig Mitglied des Erzhauses und »Diener« eines Ministers sein. Das Februarpatent war eine von Kaiser Franz Joseph erlassene Verfassung für den gesamten österreichischen Kaiserstaat, durch die die Grundlage für eine konstitutionelle Regierungsform gelegt wurde. Es teilte die Legislative zwischen der Krone und zwei Kammern des Reichsrats.
Also suchte Carl Ludwig andere Möglichkeiten, seine Fähigkeiten einzusetzen. Zwar konnte er hin und wieder seinen Bruder, Kaiser Franz Joseph I., vertreten. Doch am liebsten war ihm die Förderung von Gewerbe, Künsten und Wissenschaften. So übernahm er eine Vielzahl von sogenannten Protektoraten. Damit in Zusammenhang standen viele öffentliche Auftritte und Verpflichtungen sowie diverse Ausstellungseröffnungen. Die damit verbundenen Reden waren sein tägliches Brot. Aus gutem Grund und mit einem Augenzwinkern bezeichnete er sich daher selbst einmal scherzhaft als »Ausstellungs-Erzherzog«. Er war unter anderem Protektor des Grazer Kunstvereines, des Wiener Künstlerhauses, der Gartenbaugesellschaft, aber auch diverser Weltausstellungen zwischen Paris und Sydney. Er stiftete 1874 eine nach ihm benannte Goldmedaille und 1890 die höchste Auszeichnung für Bildende Künstler, die es damals gab, den Kaiserpreis.
»Der Ausstellungs-Erzherzog« Carl Ludwig
Obwohl viel unterwegs, sorgte Erzherzog Carl Ludwig für eine ausgewogene »work-life-balance«: Immer wieder nahm er sich bewusst Zeit, um die Erziehung und den Unterricht seiner Kinder und deren Fortschritte genau mitzuverfolgen. Ein Mustervater also, möchte man meinen, und sicher ein echtes Vorbild für seinen Nachwuchs.
Nicht für die Schule, sondern für das Leben
Carl Ludwigs lebhaftes Interesse für fremde Länder und Sitten, aber auch für Kunst und Gewerbe muss den kleinen Franz Ferdinand bald »angesteckt« haben. Der Bub war schon früh fasziniert von den Erzählungen seines Vaters über die große, weite Welt und von dem damals gar nicht so üblichen Blick weit über den eigenen Tellerrand hinaus. Kein Zufall also, dass Franz Ferdinand – vielleicht auch unbewusst – seinem Vater nacheiferte. Später, als Erwachsener, unternahm er weite Reisen, auf denen er das Erlebte genau dokumentierte. Er wurde ein begeisterter Sammler von Gewerbe- und Kunstgegenständen, um Kultur zu erhalten und auch für nachfolgende Generationen erlebbar zu machen.
Die Grundlagen für diese späteren Neigungen sind jedoch nicht nur in den vielseitigen Tätigkeiten des Vaters zu suchen, sondern auch in einem beeindruckenden umfassenden Lehrplan mit genau geregeltem Unterricht. Ganztagsschule war für Franz Ferdinand und seine Geschwister praktisch selbstverständlich. Der Lehrplan dieses Privatunterrichts war in vielem genauso wie für Gleichaltrige in den öffentlichen Schulen, aber um wichtige Zusatzfächer erweitert. Die Kinder lernten nicht nur »das Übliche«, wie Deutsch, Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Zeichnen, Musik und Turnen; es kamen, vor allem nach den Kinderjahren, neben Staatswissenschaften und Kirchenrecht auch Sprachen wie Englisch, Latein und Französisch sowie Tschechisch und Ungarisch dazu. Sogar das Fach »Terrain-Aufnahme«, was wohl der Arbeit eines Geometers gleichkommt, war dabei.
Das letzte Familienfoto von Februar 1896; v.l.n.r. Erzherzogin Maria Annunziata, Erzherzogin Marie Therese, Erzherzogin Elisabeth, Erzherzog Franz Ferdinand, Erzherzog Carl Ludwig, Erzherzog Ferdinand
Dass auch alles genau nach Plan ablief, dafür sorgte ein bewährter und erstklassiger Stab an Lehrern und Ausbildnern, unter denen sich viele klingende Namen wie die Grafen Bohuslaw Aichelburg, Karl Coreth, Johann Nostitz-Rieneck und Georg Wallis fanden. Sie alle unterrichteten unter der umsichtigen und klugen Leitung des Grafen Ferdinand Degenfeld. Was aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig hochgestochen klingt (lauter Grafen!), war im Sinne einer Erziehung für spätere hohe Ämter unverzichtbar. Nur erstklassige Lehrer konnten erstklassigen Unterricht bieten, und darauf kam es in der kaiserlichen Familie an.
1896 senden »Otto, Franzi und Ferdinand« (v.l.n.r.) ihrer geliebten Stiefmutter »viele Handküsse aus Monte Carlo«.
Wer nun glaubt, ein wenig Zuhören und ein wenig Üben und das war’s dann auch schon, der Rest des Tages dient dem Vergnügen, der irrt gewaltig. Franz Ferdinand und sein Bruder Otto hatten einen straffen Zeitplan, der nur sehr wenige Möglichkeiten für Spaß und Spiel bot. Unterricht war von Montag bis Samstag ab 7.30 Uhr früh, manchmal auch schon ab 7.00 Uhr. Dreimal pro Woche war der Kirchenbesuch Pflicht. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen für Frühstück, Mittag- und Abendessen wurde den ganzen Tag über, zumindest bis 20.00 Uhr, gebüffelt.
Dass bei so einem Tagesablauf die Disziplin nicht immer 100-prozentig da ist, liegt auf der Hand. Und Franz Ferdinand war, das muss man ehrlich sagen, kein begeisterter, ehrgeiziger Lerner. Heute würde man vielleicht sagen: Hauptsache, die Kinder kommen durch! Damals jedoch, bei einem jungen Erzherzog in Erwartung späterer höherer Aufgaben, war die Situation auch für die Lehrer nicht so leicht. Das zeigt zum Beispiel ein Schreiben des vorhin erwähnten Grafen Degenfeld vom 14. August 1871 an den damals erst achtjährigen Franz Ferdinand: »Graf Koreth schreibt mir auch, dass Sie meistens brav sind. Nun, ich bin hierüber recht froh, und ich bin überzeugt, in seinem nächsten Brief wird es heißen, Sie seien immer brav. Es ist für ihn eine große Mühe, immer mit Ihnen beiden zu sein und auch noch Otto Stunden zu geben.«
Später