Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn

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Название Schwarze Krähen - Boten des Todes
Автор произведения Carolina Dorn
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783961455164



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bist die einzige, an die ich den ganzen Tag denke.

       Du bist die einzige, die mich in meinen Träumen zärtlich küsst.

       Und du, du bist die einzige, die das nicht weiß!

      Bei diesem Gedicht ersetzte er das der durch die.

      Der neue Morgen brachte dicken Nebel, als Richard mit Christin zum Kloster aufbrach. Die Fahrt verlief sehr schweigsam. Die kleine Nonne sah die meiste Zeit der Fahrt aus dem Fenster. Somit stellte der Hausmeister fest, dass die Pflegerin wohl doch ernstere Probleme wälzte, als sie zugeben wollte. Denn nach einer banalen Erschöpfung sah ihm das bei weitem nicht aus. Was hat der Junge denn nun wieder angestellt? fragte er sich. Oder hat sie etwas ganz Schlimmes verbrochen?

      Am Zielort angekommen, nahm die Nonne ihren kleinen Koffer mit der Reservetracht, dankte Richard mit einem abwesenden Lächeln und steuerte sogleich auf die Kapelle zu. Am Eingang stellte sie ihr Gepäck ab und schritt zielstrebig zum Altar. Lange sah sie mit gefalteten Händen empor zum Kreuz. Dann warf sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Läufer vor dem Altar und breitete die Arme zu beiden Seiten aus. Während sie dies tat, betrat die Mutter Oberin die Kapelle. Sie wartete, bis Christin wieder aufstand und sich in eine Bank setzte. Beinahe geräuschlos glitt die Mutter neben sie. Nach einer schweigsamen Zeit erkundigte sie sich leise: „Ist es wirklich so schlimm mit Mr. Stonewall? Soll ich Sie ablösen lassen?“

      „Nein, nein“, wehrte Christin beinahe ein wenig zu schnell ab. „Es ist nicht mehr so schlimm, wie es am Anfang aussah. Er hat jetzt sogar eine stabile Phase erreicht.“

      „Mir wurde berichtet, er sei sehr schwierig, werfe mit Essen um sich und terrorisiere das ganze Haus“, erkundigte sich die Oberin.

      „Nein, ganz so ist es nicht. Er war nur eben vollkommen am Ende, fühlte sich von allen total allein gelassen und war mit sich, Gott und der Welt im Unreinen. Mir hat er jedenfalls noch nie einen Teller voll Essen über den Kopf gestülpt, wie meiner Vorgängerin. Ich habe es gesehen, als ich ankam. Mit ihm hatte und habe ich keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil, mir machte es Freude als er die Talsohle durchschritten hatte und nach und nach die Lebensfreude und die Energie wieder zu ihm zurückkehrten“, berichtete sie ihr.

      Die Oberin beobachtete ihren Schützling genau. Während Christin berichtete, nahm sie eine feine Röte auf ihren Wangen wahr und auch die Augen bekamen einen besonderen Glanz.

      „Wenn Sie keine Schwierigkeiten haben, weshalb sind Sie dann hier?“, wollte die Mutter wissen.

      „Ich vermisse die Stille beim Gebet, die ich hier in dieser Kapelle finde. Ich fühle mich an diesem Ort Gott viel näher. Um dieses Gefühl wieder zu vertiefen bin ich gekommen“, erklärte sie.

      „Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“ Die Mutter Oberin sah sie scharf von der Seite an.

      Christin zögerte etwas. Doch dann antwortete sie mit fester Überzeugung: „Nein, sonst gibt es nichts, Mutter.“

      „Gut, dann lasse ich Sie jetzt allein.“ Mit diesen Worten erhob sich die Oberin und verließ die Kapelle.

      Irgendetwas schwelt im Untergrund, sagte sie sich. Ich habe ein sehr ausgeprägtes Gefühl für solche Sachen. Es wäre wohl nicht das erste Mal, dass sich eine Ordensschwester verliebt hätte. Und sei es sogar in den eigenen Patienten. Dass es hier ein strenges Verbot gab, wussten alle, aber danach fragt die Liebe eben nicht. Sie kommt und geht, wie es ihr beliebt.

      In diesen dreieinhalb Monaten lief in der Kinderklinik alles seinen gewohnten Gang. Außer Melissas Überstunden. Die störten natürlich die Mutter Oberin. So kam es, dass sie eines Abends, Anfang Mai, plötzlich bei der Stationsschwester auftauchte.

      „Was müssen Sie so spät noch arbeiten?“, forschte sie.

      Melissa bekam einen heftigen Schreck, der ihr direkt in die Beine fuhr, und sie war darüber froh, auf einem Stuhl zu sitzen. „Ich muss die Eintragungen in die Kurven noch nachholen. Wir hatten heute einen sehr hektischen Tag auf Station, so dass ich noch nicht dazugekommen bin“, erklärte die Schwester ausweichend.

      „Dann müsste es die letzten zwei Wochen jeden Tag hektisch gewesen sein. Ich habe Sie beobachtet, Schwester. Es ist nicht die Hektik, sondern Ihre Arbeitsweise.“ Die Stimme der Oberin wurde immer schärfer und Melissas Gesicht immer blasser.

      „Verrichten Sie in Zukunft Ihren schriftlichen Stationsdienst und anschließend die schwerkranken Kinder, wie sonst auch immer. Für die übrigen Arbeiten, wie Infusionen legen, Blutabnehmen und dergleichen müssen Sie nicht unbedingt anwesend sein. Dafür ist ja genügend anderes Pflegepersonal da. Die wissen sonst gar nicht mehr, was sie tun sollen, wenn Sie ihnen die ganze Arbeit abnehmen. Ich wünsche, dass meine Anordnungen ab sofort befolgt werden.“ Die Oberin drehte sich um und verließ die Station.

      „Jawohl, Mutter“, hauchte Melissa.

      Sie saß ganz zusammengesunken an ihrem Schreibtisch Es hieß, die Mutter Oberin habe ihre Augen überall. So wie es aussah, stimmte das auch. Die Stationsschwester richtete sich auf und drängte die aufsteigenden Tränen zurück. Somit gab es in Zukunft keine lustige Stationsarbeit mit dem Oberarzt mehr. Kaum konnte sie noch die Zeilen auf den Kinderkurven erkennen, so blind vor Tränen waren ihre Augen. Mit Mühe beendete sie ihre Arbeit und begab sich anschließend in die Kapelle zum Abendgebet. Dort schüttete sie ihr Herz dem Herrn dort oben am Kreuz aus. Unter anderem kam die Bitte: „Herr, kannst du mir verzeihen?“ Es trat eine Pause ein, ehe sie losplatzte. „Aber ich habe den Oberarzt so gern. Ich weiß, dass ich das nicht darf, sondern nur dich allein lieben soll. Doch bei ihm ist das ganz anders. Zu ihm fühle ich mich so sehr hingezogen. Wenn du nicht willst, dass ich einen anderen liebe, warum schickst du ihn dann zu mir? Ich bin nur ein schwacher Mensch, eine Nonne, und die hat auch Gefühle. Wenn du das nicht gewollt hättest, müsstest du alle Nonnen ohne diese Gefühle ausgestattet haben.“ Diese Bitte war ein regelrechter Aufschrei ihrer Empfindungen.

      Damit stand sie auf und verließ schnellen Schrittes die Kapelle.

      Am nächsten Tag verkroch sich Melissa sofort im Stationszimmer. Die Visite machte sie wie gewohnt mit, doch dann blieb sie bei ihren Kurven, um die neuen Anordnungen sofort einzutragen. Dazwischen und auch nachmittags kümmerte sie sich um die schwerkranken Kinder. Am Ende des Tages verließ sie pünktlich die Kinderklinik.

      „Heute bin ich zur richtigen Zeit fertig geworden. Hoffentlich registriert sie das auch“, grollte sie der Oberin und ging absichtlich an ihrem Fenster vorbei.

      Sie begab sich in ihr Zimmer, holte sich ein Badetuch und schlenderte hinunter zum See. Dort gab es einen halbrunden Platz, der dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen war. Auf dem Boden lag feiner, weißer Sand. Niemand konnte diese Stelle einsehen. An diesen einsamen Ort zog sich Melissa immer zurück, wenn sie nachdenken wollte über Ängste und Sorgen, denn sie meinte, es sei der ideale Platz. Oder wie zum Beispiel heute, einem heißen Tag, das Nachdenken mit einem willkommenen Bad zur Abkühlung zu verbinden. Die tiefste Stelle des Sees maß nur eineinhalb Meter. Hier konnte sie unbeobachtet und sicher im Wasser baden. Rasch zog sie hinter einem Busch ihren Habit aus und legte ordentlich darüber ihren Schleier. Langsam schritt sie auf das Wasser zu. Es fühlte sich im ersten Moment kühl an, doch nachdem sie bis zum Bauch eingetaucht war, glaubte sie es wäre angenehm warm. Es war immer nur der Anfang. Wenn man von der heißen Außenluft sich ins Wasser begab. Als sie gerade so richtig entspannt im Wasser saß, hörte sie plötzlich Schritte im Sand. Erschrocken tauchte sie unter, so dass nur noch ihr Kopf herausschaute. Vorsichtig drehte sie sich um.

      „Hier bist du also. Ich habe dich schon überall gesucht“, redete sie Gordon an.

      Der Schreck fuhr in die Beine.

      „Wie … hast du … mich gefunden?“, stotterte sie überrascht.

      „Durch Zufall. Ich habe einen Spaziergang gemacht und bin hier unten gelandet“, erklärte er.

      Er nahm das Handtuch und hielt es ihr geöffnet hin, damit sie aus dem Wasser steigen konnte.

      „Nein, nein!“, rief sie da entsetzt.