Rotlicht. Uwe Schimunek

Читать онлайн.
Название Rotlicht
Автор произведения Uwe Schimunek
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783955520403



Скачать книгу

dem Kannenhenkel?»

      «Zu dem Schauspieler. Die beiden fuhren davon, und Yvonne kam nie zurück.»

      Otto Kappe lenkte den Dienstwagen zum Tatort. Der Sonnabend wollte anscheinend nie enden. In seiner Aktentasche ruhte der Bericht von der Gerichtsmedizin. Er hatte die Papiere nur kurz überflogen, der Eintritt des Todes war auf Dienstagabend datiert.

      «Wenn die Alte nich da is, lassen wir det aba ma jut sein für heute», maulte Galgenberg, als Kappe einparkte.

      «Wir befragen Frau Kleema erst mal, dann sehen wir weiter», sagte Kappe beim Aussteigen.

      «Mensch, ick kriege wirklich Ärger zu Hause, Otto!»

      «Ärger zu Hause, Ärger auf dem Revier – irgendwo gibt es immer dicke Luft», murmelte Kappe und klingelte bei Frau Kleema. Prompt surrte es.

      «So ’n Mist!», fluchte Galgenberg und öffnete die Haustür.

      Kappe trat in den Hausflur und eilte die Treppe hinauf, denn erstens wollte er die Befragung schnell hinter sich bringen, und zweitens hatte er keine Lust, sich noch weitere Sprüche von Galgenberg anzuhören. Mit seiner gegenwärtigen Laune neigte der Kollege noch stärker zum Sarkasmus als üblich.

      Im Obergeschoss wartete Frau Kleema bereits in der Tür. «Ham Se den Mörder, Herr Kommissar?», fragte sie.

      «Guten Tag, Frau Kleema!», sagte Kappe. «Derzeit haben wir nur ein paar Fragen.»

      «Wat soll ick denn noch wissen?»

      «Wir würden jern auch den Papagei verhörn», mischte sich Galgenberg ein, bevor Kappe antworten konnte.

      Die Alte guckte, als hätte ihr jemand die Brille gestohlen.

      Kappe seufzte. «Wir haben inzwischen neue Erkenntnisse von der Gerichtsmedizin und würden gern noch einmal Ihre Erinnerungen in Anspruch nehmen.»

      «So Sie denn über die entsprechenden verfügen», flötete Galgenberg.

      Die Kleema guckte die beiden Männer abwechselnd an und sagte dann zu Kappe: «Na, dann komm Se mal rein. Ick hoffe, ick kann helfen.»

      Kappe, der sich in der Wohnung schon auskannte, trat durch den Flur in die Wohnstube. Die Alte und Galgenberg folgten ihm. Kappe warf dem Kollegen einen bösen Blick zu, wandte sich an Frau Kleema, zeigte ihr ein Foto von Dieter Mönningsee und fragte: «Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?»

      Die Alte betrachtete das Bild. Dann schloss sie die Augen und ruhte mit verschränkten Armen wie ein Buddha. Als Kappe schon befürchtete, sie sei im Stehen eingeschlafen, öffnete sie ihre Augen wieder und antwortete: «Ja, der war öfter hier.»

      «Wie oft?», fragte Kappe.

      «Wat weeß ick? Vielleicht eenma die Woche, vielleicht alle vierzehn Tage.»

      «Haben Sie ihn gemeinsam mit Frau Mönningsee gesehen?»

      «Na, nich so direkt.»

      «Sie sind aber sicher, dass er zu Frau Mönningsee gegangen ist?», mischte sich Galgenberg ein.

      «Wat is schon sicha?» Die Alte zeigte mit der Hand zum Fenster. «Aba wer soll hier schon Besuch von jungen Männan kriegen? Ick ja wohl bestimmt nich. Und bei den anderen Nachbarn kann ick mir det ooch nich vorstellen.»

      «Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?», fragte Kappe.

      «Weeß ick nich. Vielleicht voriges Wochenende.»

      «Gab es weitere Männer, die öfters gekommen sind?», erkundigte sich Kappe.

      «Gloobn Se, ick sitze den janzen Tag und gucke, wat hier im Haus los is?»

      «Wir glauben so wenig wie möglich und wollen so viel wie möglich wissen», sagte Galgenberg.

      «Jut, da war der feine ältere Herr mit da Brille, von dem ick Ihn schon jestern erzählt habe. Der war immer mal hier. Und so ein junga Kerl. Eener mit BVG-Uniform.»

      «Können Sie den Mann beschreiben?», fragte Kappe.

      «Dünn war er. Und jroß.»

      «War einer der Herren am letzten Dienstagabend hier?»

      «Als ick am Fenster oda im Flur war, kam jedenfalls keener von denen.»

      «Ist Ihnen an dem besagten Abend irgendetwas aufgefallen?»

      «Dienstag, da müsst ick mal nachdenken.» Erneut schloss die Alte die Augen, und die Zeit verging. Endlich sagte sie: «Wat Besonderet. Nee. Ick gloobe, nich. Aber ick bin wie imma kurz nach neune ins Bett jejangen. Ick bin ja keene zwanzig mehr.»

      «Ach was!», höhnte Galgenberg.

      Kappe schoss böse Blicke zum Kollegen. Zu Frau Kleema sagte er: «Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns. Unsere Telefonnummer haben Sie ja.»

      «Hab ick.»

      «Dann zunächst vielen Dank, Frau Kleema», sagte Kappe und gab Galgenberg ein Zeichen zu gehen.

      Die Alte nickte und trottete vornweg zur Wohnungstür. Auf der Schwelle fragte sie: «Wat iss ’n nun mit dem Papagei?»

      «Oh, der Papagei …», murmelte Kappe. «Wo ist das Tier denn?»

      «In meim Schlafzimma. Zur Einjewöhnung. Ick hoffe, bald kann ick ihn ins Wohnzimma holn. Wenna alleene wieda in sein Käfig fliegt.»

      «Na, dort geht es ihm doch vorläufig gut. Wir werden Frau Mönningsees Bruder Bescheid geben. Er muss entscheiden, was aus dem Tier wird.»

      «Jut», sagte die Alte und sah dabei nicht zufrieden aus.

      Sie verabschiedeten sich.

      Auf der Treppe fragte Galgenberg: «Det war’s aba jetzt, oda?»

      «Für heute», entgegnete Kappe.

      «Morjen is Sonntag. Det is der Tag des Herrn.»

      «Bis eben hattest du es noch nicht so mit dem Glauben.»

      «Und wie ick gloobe – an ’nen freien Tag inner Woche!», maulte Galgenberg.

      Kappe schritt die Treppe hinunter und dachte nach. Sie hatten zu wenig Anhaltspunkte für weitere Befragungen. Nach Herren mit Brille und schlanken BVG-Fahrern würden sie kaum außerhalb der Bürozeiten fahnden können, aber am Montagmorgen würde es im Revier rundgehen. «In Ordnung. Du schreibst zu Hause die Protokolle von heute. Und ich kümmere mich um den Bericht aus der Gerichtsmedizin.»

      Galgenberg guckte, als hätte er schales Bier getrunken. Doch er widersprach nicht.

      Peter Kappe war so müde, dass er kaum die Augen offen halten konnte. Das spärliche Licht im Keller tat das Übrige. Stefanie Richter stupste ihn an und zeigte zur Bühne. Die bestand aus einem knöchelhohen Bretterbau. Das Holz wankte, denn die Band griff gerade nach den Instrumenten. Die fünf schlaksigen Männer hatten alle lange Haare und Bärte, so als wollten sie sich hinter all dem Gestrüpp verstecken. Sie ähnelten einander wie Fünflinge – oder lag das nur an dem schummerigen Licht?

      Rüdiger Engelhardt trat zu Peter. Der Kumpel hielt drei Flaschen Bier zwischen den Fingern der linken und einen riesigen Joint in der rechten Hand. Er verteilte das Bier, zog am Joint und reichte ihn an Stefanie weiter.

      Peter nahm einen Schluck von seinem Bier und schaute wieder zur Bühne. Der Gitarrist war noch ein bisschen dürrer als die anderen Musiker und schaltete gerade den Verstärker ein. Prompt quietschte eine Rückkopplung durch den Keller. Peter glaubte, seine Trommelfelle würden bersten. Der dünne Kerl schlug einen Akkord an. Es klang, als würde er eine Kettensäge starten. Er trat ans Mikro und rief in den ausklingenden Ton hinein: «Mia san die Magic Mushrooms aus München!» Der bayerische Dialekt wirkte so deplatziert wie Öltanker auf dem Wannsee. Zum Glück redete der Junge nicht weiter, sondern begann zu spielen. Ein paar Takte drosch er allein in die Saiten, dann stiegen seine Bandmitglieder mit ein. Die Musik stampfte gleichförmig im