Wahre Römer. Stephan Berry

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Название Wahre Römer
Автор произведения Stephan Berry
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783945751237



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auf die unvollständigen Schriftquellen angewiesen – für solche Gefolgschaften gibt es einen archäologischen Beleg, der buchstäblich in Stein gemeißelt ist: Am 13. Oktober 1977 entdeckten niederländische Archäologen ein Objekt, das von der Forschung Lapis Satricanus getauft wurde – was geheimnisvoll klingt, aber schlicht „Stein aus Satricum“ bedeutet (Abb. 2). Denn der Fundort, die heutige Kommune Latina ca. 30 km südöstlich von Rom, ist der Platz dieser antiken Stadt. Dort hatte man den Stein, der um 500 v. Chr. datiert wird, in einem Tempel jüngeren Datums recycelt, und so hat der Lapis Satricanus die Jahrtausende überdauert. Die eigentliche Sensation ist seine Inschrift in archaischem Latein, auch wenn sie nur kurz ist. Der Text lautet

       […?]IEI STETERAI POPLIOSIO VALESIOSIO SVODALES MAMARTEI

      und enthält trotz seiner Kürze wertvolle Informationen: Zum einen beschreibt er eine Weihung an den Kriegsgott, denn mamartei bedeutet „für Mars.“ Zudem kommt ein Eigenname vor, und es wird vermutet, dass sich hinter Popliosio Valesiosio niemand anderes als Publius Valerius verbirgt. Personen dieses Namens gab es allerdings etliche, und es wäre eigentlich zu schön, um wahr zu sein, wenn wir hier genau jenen berühmten Publius Valerius Poplicola vor uns hätten, der exakt zur Zeit von Attus Clausus’ Ankunft in Rom Konsul war.

      Abb. 2: Der Lapis Satricanus (Rom, Museo Nazionale Romano alle Terme di Diocleziano, Inv. SA77 - 01).

      Der wichtigste Punkt sind aber die suodales des Publius Valerius, die kollektiv als Stifter der Weihgabe in Erscheinung treten. Denn sodales, wie das Wort später im klassischen Latein lautet, sind Mitglieder in einer Art Klub, einer sodalitas. Jene Anhängerschaften wie die des Attus Clausus oder der Fabier, die man aus der historischen Überlieferung kannte, nehmen hier auch archäologisch konkrete Gestalt an. Und gerade im Licht der Veji-Episode ist es sicher kein Zufall, dass der Empfänger der Weihgabe ausgerechnet der Kriegsgott war.

      Literatur: CORNELL 1995, DUPONT 2013, FORSYTHE 2005, HOLLEMAN 1986, KISTLER 2014, SCOTT 1929, STIBBE et al. 1980, VON UNGERN-STERNBERG 2006, WALTER 2004, YAVETZ 1999

      Machen wir einen Sprung von rund anderthalb Jahrhunderten, vom frühen 5. in die zweite Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. Der Mann, mit dem wir uns nun befassen wollen, heißt Lucius Fulvius Curvus. Er trägt die tria nomina des römischen Bürgers: Lucius ist der Vorname (praenomen), Fulvius der Familienname (nomen gentile), und Curvus der Beiname. Ein solches cognomen kennzeichnet einen speziellen Zweig einer gens, und nimmt oft auf Eigenheiten des Trägers Bezug: curvus bedeutet „krumm“, kann aber auch „gewölbt“ meinen (im historischen Rückblick lässt sich also nicht mehr entscheiden, ob bei diesem Fulvius der Rücken oder der Bauch besonders auffällig schien).

      Fulvius Curvus war Konsul im Jahr 322 v. Chr. Er führte mehrmals römische Heere gegen das kriegerische Hirtenvolk der Samniten, die in den unwirtlichen Regionen des Apennin lebten und immer wieder zur Geißel ihrer Nachbarn in fruchtbareren Tieflandregionen der italischen Halbinsel wurden. In einer militärischen Krise im Jahr 316 v. Chr. wurde Curvus zudem zum magister equitum (Befehlshaber der Kavallerie) gemacht, er war damit Stellvertreter des Diktators Aemilius Mamercinus, den man in der Notlage ernannt hatte.

      All das ist insofern bemerkenswert, als Fulvius Curvus der Erste seines Geschlechts ist, der überhaupt in den Listen der römischen Konsuln und sonstigen wichtigen Amtsinhaber auftaucht. Offensichtlich war dem Newcomer sofort ein Aufstieg in politische und militärische Spitzenpositionen gelungen. Solche Positionen hatte nach ihm auch sein Sohn Marcus Fulvius Curvus Paetinus inne (das zusätzliche cognomen bedeutet „der Schieler“), und in den folgenden Jahrhunderten spielten Fulvier immer wieder eine wichtige Rolle in der römischen Politik.

      In den letzten rund 100 Jahren der Republik hatte der Clan jedoch offensichtlich seine politische Blütezeit hinter sich; von Marcus Fulvius Bambalio weiß man z. B. nichts weiter, als dass er der Vater der berühmt-berüchtigten Fulvia war (für Frauen gab es keine Vornamen und damals auch noch keine cognomina, sie hießen einfach nach der gens des Vaters). Fulvia hatte mehrere Ehemänner, als dritten und letzten Marcus Antonius. In jüngerer Zeit hat sich die Forschung um eine differenziertere und vor allem positivere Bewertung bemüht, in der historischen Überlieferung jedoch kam sie lange Zeit sehr schlecht weg: als Furie, herrschsüchtiges Mannweib und dergleichen mehr. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Erstens nahm sie aufseiten ihres Mannes in den Bürgerkriegen nach Caesars Ermordung sehr aktiv am Geschehen teil – politisch und sogar militärisch, was an sich schon für eine römische Matrone skandalös war. Und sie stand dabei auch noch auf der falschen Seite, jedenfalls aus der Sicht des Siegers Octavian, als dieser nach dem endgültigen Bruch den Rivalen Marcus Antonius besiegt hatte.

      Doch wenden wir uns wieder ihrem Vorfahren Fulvius Curvus, drei Jahrhunderte früher, zu. Er ist der Erste aus seinem Clan, der für uns historisch greifbar wird, und er stammte ursprünglich nicht aus Rom: Seine Heimat war die latinische Stadt Tusculum, etwa 20 km südöstlich gelegen (Abb. 3). In diesen beiden Punkten ist seine Karriere vergleichbar mit der des Attus Clausus, es handelt sich aber trotzdem nicht um dieselbe Geschichte.

      Der erste Unterschied besteht darin, dass Tusculum nicht allzu lange zuvor im Krieg mit Rom gewesen war, als Curvus seine Karriere startete: Im Latinerkrieg 340 – 338 v. Chr. hatte die Stadt, zusammen mit anderen Latinern, gegen die Römer gekämpft, und in Tusculum hatte sich ein Lucius Fulvius Curvus dabei als Anführer ausgezeichnet. Es lässt sich nicht mehr sagen, ob das unser Mann war, oder wohl eher sein Vater gleichen Namens. Plinius der Ältere behauptet in Buch VII seiner Naturgeschichte sogar, dieser Anführer aus Tusculum sei noch während des Latinerkrieges zu den Römern übergegangen und gleich Konsul geworden, um noch im selben Jahr über seine alte Heimat zu triumphieren (es scheint, als könnte Plinius hierbei die Chronologie verschiedener Fulvier durcheinander geraten sein; man kennt sonst keinen Konsul Fulvius schon um 340 v. Chr.).

      So oder so, Fulvius Curvus stammte aus einem Umfeld, das sich im Kampf gegen Rom exponiert hatte, und zwei Jahrzehnte später gelangte er in Spitzenämter eben dieser Stadt. Die Fähigkeit des römischen Staates, Fremde und selbst ehemalige Gegner zu integrieren, zeigt sich hier noch deutlicher als bei der Einwanderung des Clausus.

      Der andere, wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Fulvier zwar in die römische Oberschicht aufgenommen wurden – aber nicht unter die Patrizier. Denn mittlerweile hatte jenes Phänomen stattgefunden, das die moderne Forschung als „Abschließung des Patriziats“ bezeichnet. Der Zirkel der erlauchtesten Familien Roms war nunmehr geschlossen, eine gens war „schon immer“ patrizisch oder eben nicht, neue patrizische Clans konnte es nach dieser Logik nicht geben.

      Abb. 3: Vom antiken Tusculum (bei Frascati) ist nicht mehr viel erhalten; Blick über den archäologischen Park.

      Die soziale und politische Struktur des frühen Roms ist für uns nur in groben Umrissen erkennbar. Über einige Fragen kann man trefflich streiten, und die Gelehrten haben das auch mit Leidenschaft getan: Waren alle Mitglieder des Senats automatisch auch Patrizier? Waren alle Patrizier – genauer: alle Oberhäupter von patrizischen Clans – automatisch auch Senatoren? Und waren alle Nichtpatrizier automatisch Plebejer?

      Wir lassen diese Fragen auf sich beruhen und halten nur folgende Eckpunkte fest: Anfänglich monopolisierten die Patrizier offensichtlich alle Führungspositionen, politisch, militärisch und auch die angesehenen Priesterämter. Bereits im 5. Jh. v. Chr. begannen deshalb die Ständekämpfe, bei denen es den Plebejern wohl um einen Mix aus Forderungen ging, der heute nicht mehr im Einzelnen nachvollzogen werden kann: Die materielle Lage (Stichwort Schuldenkrise) spielte eine Rolle, aber auch die Frage der Beteiligung an der Führung des Staates. Im Jahr 367 v. Chr. kam es zur Einigung; es wurde festgelegt, dass ab jetzt die beiden Konsulämter immer von je einem Patrizier und einem Plebejer besetzt