Wiener Wahn. Edwin Baumgartner

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Название Wiener Wahn
Автор произведения Edwin Baumgartner
Жанр Культурология
Серия
Издательство Культурология
Год выпуска 0
isbn 9783532600740



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Adel: Also die Reichsgräfin Triangi und der Baron Karl – ich sage Ihnen ...

      DIE REICHSGRÄFIN UND DER BARON

      Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar von der Reichsgräfin Triangi und dem Baron Karl.

      Die Reichsgräfin Triangi ist genau so eine Gräfin gewesen, wie der Baron Karl ein Baron gewesen ist – Sie verstehen schon.

      Die Frau Reichsgräfin ist am 6. Mai 1868 in Brünn geboren worden, und damit quasi eine echte Wienerin. Die geborene Beatrice Samek, Tochter eines Seidenfabrikanten, ist bis 1926 dreimal verheiratet gewesen und hat aus Heiratssachen dreimal die Konfession gewechselt. 1926 ist ihr dritter Mann gestorben und die Frau Reichsgräfin war geboren.

      Genau genommen, ist die Reichsgräfin Triangi eine Reichsgräfin von Kaiserin Maria Theresias Gnaden, weil ja die Maria Theresia ihr Lebtag nur Herzogin gewesen ist, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Der Kaiser ist ihr Mann gewesen, was naturgemäß zur Wiener Titelübertragung aus Schmähgründen führt. Der dritte Mann von der Beatrice ist der Redakteur der „Österreichisch-ungarischen Betriebsbeamtenzeitung“ und ein echter Graf gewesen, Albano Hugo Josef Reichsgraf Triangi hat er geheißen.

      So ist die Beatrice Frau Reichsgräfin geworden. Und als Beatrice Cita Albano Antonia Reichsgräfin Triangi, von und zu Latsch und Madernburg, Baronin von Maderno Riedhorst, Freifrau von Tyrol, Trientiner Edeldame hat die exaltierte Witwe eine Karriere als Sängerin, Tänzerin, Flöten- und Mundharmonikaspielerin in Kabaretts, Kleinkunstbühnen und Vorstadtlokalen begonnen. Ein Foto zeigt eine recht füllige Person in einem Fantasiegewand in arabischem Stil eine Querflöte spielend. Das Brauhaus-Restaurant in Simmering hat für die Auftritte der Triangi eine Warnung angebracht: Wichtig! Jede der Reichsgräfin Triangi zugefügte Beleidigung ist verboten und wird sofort gerichtlich verfolgt.

      Das lässt darauf schließen, dass der Humor der Triangi ein ganz und gar unfreiwilliger gewesen ist, zumal sie zu ihren musikalischen Darbietungen höchst freizügige Solotänze veranstaltet haben soll. Aber was weiß man? – Vielleicht hat sie ja ganz genau gewusst, was sie kann oder vielmehr: was sie nicht kann, und hat sich ein bisserl auch über sich selbst lustig gemacht und über das Publikum, das einer Dilettantin applaudiert. Jedenfalls hat sie 1928 der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ ein Interview gegeben, und was sie da gesagt hat, kann sie nicht ernst gemeint haben: „Wissen Sie denn nicht, daß man mich für eine Göttin hält, eine Muse? Gott, das mag ja übertrieben sein, aber das Urteil über mich haben schon mehr als einer gefällt. Meine Bildung, meine Kenntnisse seien für unsere Zeiten etwas ganz Ungewöhnliches, überragen sogar weit die Grenzen des Genies. Ich bin Doktor der Philosophie, Juris und Medicinae. Auch habe ich in allen alten Sprachen Staatsprüfungen gemacht.“ Fragen Sie mich jetzt also bitte ja nicht, ob sie in ihrem Fach, so quasi als Groteskdarstellerin, eine gute Künstlerin gewesen ist. Ich kann Ihnen das einfach nicht mit ja oder nein beantworten.

      Leider ist das Ende gar nicht heiter. Die Nationalsozialisten haben eben keinen Funken von Humor gehabt und von Menschlichkeit schon gar nicht. Die Triangi ist jüdischer Abstammung gewesen und in ihrer ganzen Art hat sie allem widersprochen, was den Nationalsozialisten wichtig gewesen ist. Die Triangi hat sich zwar schon 1937 von ihrem Publikum verabschiedet, aber das hat ihr nichts genützt. 1940 wird sie für einen knappen Monat von der Gestapo in Haft genommen, danach in die Nervenheilanstalt Am Steinhof gebracht. Dort stirbt sie – angeblich an einer Lungenentzündung.

      Was ist das für ein herrlich bunter Vogel gewesen, die Reichsgräfin Triangi! – Seien Sie so gut, trinken wir jetzt unseren nächsten Schluck Kaffee auf sie. Und dann erzähle ich Ihnen vom Baron Karl69.

      Der Baron Karl ist grad so ein Baron gewesen wie die Triangi eine Reichsgräfin und die Maria Theresia eine Kaiserin. Wobei die Triangi der Reichsgräfin und die Maria Theresia der Kaiserin näher gewesen sind als der Karl dem Baron. Er hat aber nun einmal so geheißen, nämlich Baron.

      In Wien gibt’s halt diesen feinen Unterschied in der Betonung, der aus einem ganz normalen Bürger einen Adeligen macht und umgekehrt. Betonen Sie den Baron auf der ersten Silbe, ist es ein Name, ganz so wie Fiala oder Haberl oder Swoboda. Betonen Sie den Baron auf der zweiten Silbe, ist es – na ja, jetzt heißt’s vorsichtig sein: Es hat in Österreich nie einen Baron gegeben. Der österreichische Baron ist immer der Freiherr gewesen, aber irgendwie haben sich grad die Wiener mit dem Freiherrn nie arrangieren können, darum haben sie den Freiherrn immer Baron genannt.

      Der Karl hat jedenfalls Baron geheißen, Betonung, wie Sie sich denken können, auf der ersten Silbe. Ob er Vor- und Nachnamen selbst umgestellt und die Betonung vom Baron um eine Silbe nach hinten verschoben hat, oder ob das auf dem Mist von seinen Hawaran70 gewachsen ist, weiß keiner. Es ist auch nicht wichtig. In die Wiener Stadtgeschichte eingegangen ist der erstsilbig betonte Karl Baron als zweitsilbig betonter Baron Karl – haltaus71, das stimmt auch nicht ganz. Die Lektorin meines Vertrauens kennt eine uralte Frau, die ihrerseits den Baron Karl gekannt hat, und die behauptet steif und fest, in Favoriten72, wo er eine lokale Größe gewesen ist, hat man ihn nicht zweitsilbig betont Baron Karl genannt, sondern man hat den Namen in einem ausgesprochen, also Baronkoal, und das mit Betonung auf der ersten Silbe, und sie weiß gar nicht, wie manche auf die Idee gekommen sind, den Baronkoal jemals anders auszusprechen, obwohl sie weiß, dass es einige gemacht haben.

      Sowieso ist der Baron Karl alles Andere gewesen als ein noblichter73 Herr. Der Baron Karl ist ein Sandler74 gewesen. Nach dem ersten Weltkrieg scheint er ein bürgerliches Leben angestrebt zu haben, aber eine unglückliche Liebesgeschichte hat ihn aus der Bahn geworfen. Seither ist er als Sandler durch Wien gezogen. Er hat in Streusandkisten übernachtet oder in einer Erdhöhle am Wienerberg bei den Ziegelteichen, wo er gewissermaßen hergekommen ist. Sein Vater ist nämlich Ziegelarbeiter Am Wienerberg gewesen. Seine Schwester hat dreimal versucht, ihn von der Straße zu holen. Jedesmal hat sie ihm ein Kabinett eingerichtet. Alle dreimal aber widerfährt dem Baron Karl das gleiche: ein Dieb dringt bei ihm ein, und stiehlt ihm seine wenigen Habseligkeiten. „Mochd nix“, soll der Baron Karl gesagt haben, „ea wiad s bessa brauchn oes wia r i.75

      Im Favoritner Wochenblatt76 findet sich eine Beschreibung, wie der Baron Karl ausgeschaut hat: „Ein mittelgroßer, rundlicher Mann, das Gesicht von einem wirren Vollbart umrahmt, um den Leib einen weiten Mantel, den er auch als Schlafdecke verwendete, und in dessen unergründlichen Falten zwei Reindln, ein verbogener Zinnlöffel, ein Wecker, eine Geige samt Fiedelbogen und andere Schätze verborgen waren. Sommer und Winter legte er diesen weit von ihm abstehenden Mantel, unter dem er seine ,Einrichtung‘ trug, nicht ab. Auf dem Kopf aber trug er meist ein wahres Unikum von Hut: die Reste eines verbeulten ,Steifen‘. Seine Augen konnten beim Reden lustig blinzeln, bisweilen aber nahmen sie einen melancholischen Ausdruck an. Besonders nach dem reichlichen Genuß von Bierresten, die er aus den fast leeren Fässern vor den Wirtshäusern in sein Reindl zu leeren pflegte. Viele Kinder und Erwachsene umringten ihn oft, aber seltsamerweise spotteten sie kaum über ihn – es lag ein gewisses Etwas über diesem pittoresken Fasseltippler, ein Etwas, das ihm trotz aller Verwahrlosung die Sympathie seiner Mitmenschen eintrug.“

      Das Gesicht vom Baron Karl ist wettergegerbt gewesen. Er hat einen struppigen Vollbart gehabt. Von vorne, sagen die Wiener, die ihn noch erlebt haben, hat er ausgeschaut wie der Sokrates und von der Seite wie der Liebe Augustin. Ersparen Sie mir bitte die Frage, wie denn der Liebe Augustin, von dem keiner weiß, wie er ausgeschaut hat, ausgeschaut hat. Ich müsst’ ihnen antworten: Grad so hat der liebe Augustin ausgeschaut wie der Baron Karl von der Seite. Dafür gibt es den Wiener Schmäh als Zeugen, und wenn Sie dem nicht glauben, ist für Sie sowieso Hopfen und Malz verloren in Wien.

      Apropos Schmäh: Der hat natürlich um den Baron Karl einen Marathonlauf hingelegt, so grennt ist er, der Schmäh, was halt damit zu tun gehabt hat, dass offenbar nur die Favoritner gewusst haben, wie man den Namen richtig ausspricht. Und die haben es wohl nicht weitergesagt. Einmal nämlich ist das Gerücht umgegangen, der Baron Karl sei ein heruntergesandelter77 Adeliger, dann wieder hat es geheißen, weil man überrascht gewesen ist über die Klugheit vom Baron Karl, er sei ein gefallener Lehrer. Sein Vater hat nämlich, so gut er