Tambara. Heike M. Major

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Название Tambara
Автор произведения Heike M. Major
Жанр Историческая фантастика
Серия
Издательство Историческая фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783961455805



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       5

      Soul saß im Zentralraum der Bota’s Group of Fashion Adventure und verfolgte die Präsentation der neuesten Bademode. Sie hatte den Konzern bei der Auswahl des akustischen Rahmenprogramms beraten und begutachtete nun die Reaktionen der Zuschauer.

      Zwei Models in neonfarbenen Bikinis liefen über den Laufsteg und setzten ihre Stoffstreifen gekonnt in Szene. Mit je einem Riesenplastikball unter dem Arm spazierten sie auf eine Plattform am Ende des Steges zu, wo zwei himmelblaue Liegestühle auf sie warteten. Sie ließen sich auf den Kunststoffgestellen nieder, setzten ihre Sonnenbrillen auf und ab und spielten einen Plausch unter Freundinnen nach. Aus den Lautsprechern drang das Rauschen von Brandungswellen. Geschickt standen die jungen Damen wieder auf, stellten sich noch einmal in Positur und stolzierten zur Bühne zurück. Windgeräusche ließen sie frösteln, zwei junge Burschen eilten herbei, um ihnen schicke Bademäntel überzuwerfen, die im Rhythmus der Musik hin und her schwangen.

      Den Gästen schien die Show zu gefallen. Wenn die Naturgeräusche ertönten, wurde es immer besonders still im Saal. Eine blondierte Schönheit in hautengen Shorts schnupperte an einem künstlichen Rosenstock. Im Saal zwitscherten Vogelstimmen, und synthetischer Wiesenduft aus der Filteranlage umschmeichelte das anspruchsvolle Publikum.

      Soul hatte Mühe, die Vorstellung in allen Details zu verfolgen, weil vor ihr zwei hochgewachsene Männer saßen, die dauernd ihre Köpfe zusammensteckten und im Flüsterton diskutierten. Neben ihnen war noch ein Platz frei, und in regelmäßigen Abständen drehte einer der beiden sich um und warf einen Blick in Richtung Eingang, so als würde er noch jemanden erwarten. Als nach einiger Zeit tatsächlich ein dritter Mann erschien, dachte Soul, das Getuschel hätte nun endlich ein Ende, doch statt sich der Vorführung zuzuwenden, fingen nun alle drei an zu flüstern.

      Der verspätet eingetroffene Bekannte hatte anscheinend etwas mitgebracht. Durch den Schlitz zwischen den Stuhlreihen konnte Soul sehen, wie er ein kleines Kästchen aus der Hosentasche herauszog, das er stolz seinen Kumpanen präsentierte.

      „Ich weiß nicht, ob dies der richtige Ort für dein Experiment ist“, gab sein Nachbar zu bedenken.

      „Wieso nicht?“, fragte der Mann mit dem Kästchen. „Wir brauchen ein Publikum – hier ist es.“

      „Aber du kannst die Folgen kaum abschätzen.“

      „Das macht es ja gerade so spannend.“

      Eine der Vorführdamen blickte verärgert vom Laufsteg zu den Störenfrieden hinunter. Unauffällig verschwand der Behälter unter dem Handballen seines Besitzers. Für einen Moment blieben die Männer stumm. Dann begannen sie aufs Neue zu diskutieren.

      „Aber warum gerade hier?“

      „Warum nicht?“

      „Es sind zu viele Menschen dabei.“

      „Je mehr, desto besser.“

      „Das gibt bestimmt einen Tumult.“

      „Na und?“

      „Oder es passiert überhaupt nichts.“

      Der Mann mit dem Kästchen verlor die Geduld.

      „Das werden wir ja sehen“, murrte er und öffnete entschlossen den Behälter.

      Soul sah, wie aus dem Kasten ein kleiner, schwarzer Punkt entwich. Ein merkwürdiger Summton begleitete die Aktion, ein Ton, der kräftig anschwoll, sich aber schnell entfernte und schließlich ganz verstummte. Wo hatte sie diesen Ton schon einmal gehört?

      Unterdessen ging die Vorführung weiter. Präsentiert wurden lange, üppige Roben für den Gesellschaftsabend: Kleider mit weiten, fülligen Röcken und ausgeschnittenen Oberteilen. Thema war die Farbe Weiß. Ob Schal- oder Karreekragen, Tüllumhang oder Bolero-Jäckchen, Knopf, Reißverschluss, Abendtäschchen oder Technikarmband, die ganze Kollektion war in Schneeweiß gehalten. Umso erstaunter waren die Gäste, als sie auf dem weißen Schalkragen eines der Modelle plötzlich einen schwarzen Punkt entdeckten. Ein schwarzer Punkt auf einem weißen Abendkleid? Das kam ihnen merkwürdig vor. Von den Zuschauerplätzen aus war auch nur schwer zu erkennen, wo sich dieser Punkt eigentlich genau befand. Glaubte man gerade, ihn am Kragen des Kleides ausfindig gemacht zu haben, war er ein paar Sekunden später schon auf die Schulter gerutscht.

      Die Musik wurde leiser, Vogelgezwitscher ertönte und die junge Dame schnupperte entzückt an den Plastikrosen. Noch einmal stellte sie sich in Positur, um dann vorschriftsmäßig den Rückweg anzutreten. Die ihr entgegenkommende Kollegin schielte verwundert zu dem seltsamen Fleck auf dem fremden Kleid hinüber, als dieser sich plötzlich bewegte. Abrupt blieb sie stehen. Auch für die Gäste in den vorderen Reihen war es nun offensichtlich, dass dieser merkwürdige Klecks tatsächlich seinen Standort wechselte. Mehrere Beine schienen ihn dabei zu unterstützen.

      Verwundert über die Reaktion der Kollegin, blickte das Model mit dem schwarzen Punkt auf seine Schulter hinab. Die anfängliche Neugier verwandelte sich schnell in ungläubiges Erstaunen, das nach einem kurzen Moment offensichtlicher Erkenntnis in einen Ausdruck hilflosen Ekels überwechselte und schließlich in einem lauten Schrei des Entsetzens und einem gewaltigen Sprung nach hinten mündete. Dabei flogen wie zur Abwehr zwei Arme in die Höhe, was den schwarzen Punkt dazu veranlasste, sich in die Lüfte zu erheben, eine Schleife über den Köpfen der beiden Damen zu fliegen und auf der Stirn der verdutzten Kollegin Station zu machen. Die Unglückliche hatte den Flug verfolgt und rollte nun erschreckt mit den Augen, um dieses grauenerregende Phänomen auf ihrer Stirn zu lokalisieren. Dabei schielte sie entsetzlich. Sie hatte den Eindruck, eine Armee winziger Füße würde auf ihrem Fleisch spazieren gehen, und ihr fiel nichts Besseres ein, als einen gellenden Schrei auszustoßen und in Ohnmacht zu fallen. Der schwarze Punkt ließ in dem Moment von ihr ab, als ihr Körper zu Boden fiel, und machte sich aufs Neue an die Schalkragendame heran, die kreischend ihren Rock anhob und in Windeseile über den Laufsteg davonstob.

      „Ein Tier“, rief jemand aus dem Publikum, „das ist ein Tier!“

      „Ein Tier? Was für ein Tier?“

      „Ein Insekt, seht doch, es kann fliegen!“

      „Ein Insekt?“

      „Was für ein Insekt? Ist es gefährlich?“

      „Ich weiß nicht, ich kann es nicht erkennen, es ist zu schnell.“

      Ein Insekt, um Himmels Willen, noch nie hatten Tambaras Bürger in ihrer Stadt ein Insekt frei umherfliegen sehen. Sie waren zutiefst verunsichert, einige erhoben sich von den Sitzen. Doch die Musik wurde lauter, und die Vorführung ging weiter. Das Publikum beruhigte sich allmählich. Der ohnmächtig gewordenen Dame wurde auf die Beine geholfen, sie verschwand verschämt hinter der Bühne. Zwei neue Models erschienen auf dem Laufsteg. Die Besucher, die schon aufgestanden waren, nahmen ihre Plätze wieder ein. Die jungen Damen spazierten auf und ab, neuerlicher Beifall erweckte den Anschein von Normalität und der unschöne Vorfall schien fast vergessen.

      Gerade begaben sich die Mädchen wieder auf den Rückweg, da ertönte dieses merkwürdige Summen von Neuem. Wie auf Kommando wanderten sämtliche Zuschaueraugen in die Höhe. Das als Insekt identifizierte Etwas sauste im Sturzflug über die Gäste hinweg, die unwillkürlich ihre Köpfe einzogen. Plötzlich fiel es Soul ein. Bei einem Blick durch die Scheiben in die Gärten der Harrison’s Group of Nature Presentation hatte sie dieses Geräusch schon einmal gehört.

      „Eine Fliege“, rief sie spontan, „das ist eine Fliege!“

      Nun war es mit der Ruhe der Zuschauer vorbei. Sie wollten doch lieber nach Hause gehen, einige sprangen über die Lehnen hinweg und rannten aus dem Saal, andere versteckten sich zwischen den Stuhlreihen oder krochen gleich ganz unter die Sitze. Eines der Models riss eine Rose aus dem künstlichen Pflanzenstock heraus, um damit nach dem Tier zu schlagen.

      „Fangt sie“, rief jemand, „eine Fliege kann man fangen!“

      „Tausend Tambas, tausend Tambas für denjenigen,