Название | Phalansterium |
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Автор произведения | Matthias Falke |
Жанр | Научная фантастика |
Серия | |
Издательство | Научная фантастика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957770578 |
»Es war ja auch kein Vorwurf. Ich will es nur verstehen.«
»Ich weiß.«
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann ...«
»Es ist gut. Du warst wunderbar!«
Ich sah ihr Lächeln vor mir. Der Klang ihrer Stimme projizierte es an die Leinwand der Zeltplane, die eine Armlänge über mir in der Finsternis hing und leise im Nachtwind flappte.
»Du warst wunderbar!«, sagte ich.
»Was meinst du?«
»Wie du mit den Kids gespielt hast! Woher kannst du sowas?«
Die Stille veränderte ihren Klang. Ihr Schweigen nahm eine tiefere Färbung an. Schwarz.
Ich wollte ihr helfen und bohrte zielsicher den Fingernagel in eine klaffende Wunde, die ich doch kaum ahnte.
»Vielleicht wäre es besser, wenn man Kinder hätte.« Damit drehte sie sich auf die andere Seite.
Ich lag im Dunkeln und lauschte den Geräuschen der Nacht. Jennifers Atemzüge hatten sich rasch vertieft. Sie konnte eine leichte Trance benutzen, um sich in den Schlaf hineinzuschieben. Das war praktisch, vor allem wenn man viel um die Ohren hatte, aber trotzdem auf ein Mindestmaß an Ausgeruhtheit angewiesen war. Sie hatte immer wieder versucht, mich in die Mysterien des Prana-Bindu-Ordens einzuführen, etwa während unseres langen Fluges in dem gekaperten Sineser-Shuttle. Dort hätten wir die letzte und längste Etappe und ihre ungeheuren Strapazen nicht überlebt, wenn wir nicht auf diese uralten Meditationstechniken und die Weisheit der Körperkontrolle zurückgegriffen hätten. Aber im täglichen Leben verlor sich derlei wieder. Ich hörte voller Neid ihrem ruhigen, gleichmäßigen Atem zu. Andererseits war die Strecke heute nicht allzu anstrengend gewesen. Kein Weg, um sich zu erschöpfen. Von daher machte es nichts, wenn ich eine Stunde später einschlief. Ich musste mich nicht dazu zwingen.
Diese Nächte im Zelt, unzählige schlaflose Stunden. Auf wie vielen Welten hatte ich so in die fremdtönende Finsternis hinausgelauscht. Der Wind hatte auf jedem Planeten einen anderen Klang. Manchmal gab es Wasser, das rieselte, oder Laub, das in den Böen tuschelte. Sogar Tiere! Auch hier scharrten hühnerartige Vögel in der Erde und pickten an unserer Ausrüstung herum. Aus dem Dorf drangen vertraute und weniger vertraute Geräusche. Einmal sogar ein Turbinengeheul, das sich vom Raumhafen bis in diese Schlucht verirrt hatte und lange den Ausgang nicht fand.
Dann wieder Stille.
Saugende, tiefschwarze, alles einschlingende Stille, in der der eigene Pulsschlag schmerzhaft werden konnte.
Ich dachte an andere Nächte. Meine Erinnerungen führten mich zu jener anderen Wanderung, die wir auf dieser Welt unternommen hatten. Im selben Gebirge, zu den selben Klöstern, nur auf einer anderen, noch wilderen Route. Wie lange war das her! Auf dem Kalender hätte man es bestimmen können. Aber was war in der Zwischenzeit nicht alles geschehen! Wir hatten Jahre in der Diaspora verbracht. Wir hatten eine nicht endenwollende Reihe von Kriegen durchgefochten. Wir hatten uns bis ans äußerste erschöpft und aufgerieben. Jetzt waren wir wieder hier. Alt und ausgebrannt und im Innersten verwundet. Und doch konnte selbst Jennifer noch lachen.
Wir waren schon unglaublich zäh!
Mit einem grimmigen Grinsen auf den Wangen schlief ich ein.
Aus dem Aufwachen und noch aus Schlaf und Traum heraus nahm ich Anlauf zu diesem neuen Tag. Ich erwachte mit dem Gefühl des Genesenden. Ein Zur-Welt-Kommen noch einmal. Ich sah nicht ein, weshalb ich die Augen öffnen sollte. Zunächst einmal lag ich unbestimmte, aber sehr lange Zeit einfach nur da und genoss dieses: zu sein. Ich selbst zu sein. Genesen zu sein!
Mit jedem Tag und vor allem jeder Nacht, die wir auf dieser Welt verbrachten, wurden wir wieder wir selbst. Was das ausmachte: In einem richtigen Bett zu schlafen! Nun ja: einem sensoriellen Schlafsack. Bei natürlicher Schwerkraft. In einer richtigen Atmosphäre. Bei den ganz normalen Geräuschen und Gerüchen, die es auf einer Welt gab! Keine Feldgeneratoren, die irgendwo summten. Keine Lüftung, die unhörbar wisperte. Keine Automatik, die jede noch so unbewusste Lebensregung überwachte und dokumentierte und kommentierte und mit mütterlichem Fiepen und Piepen interpunktierte.
Stattdessen der Morgenwind, der sachte und zärtlich über die Zeltplane strich. Wie eine Geliebte, die ein paar Atemzüge vor einem selbst wach geworden war und einen sanft ins Dasein zurückstreichelte. Und die Gerüche von warmen, lebenden Körpern. Und darüber der Duft von Erde und Tau und Reisigfeuern und Dung und von Vieh und ungewaschenen Kindern und von sommertrockenem Laub und vom feinen Sandelholz der Rauchopfer. Und das Schnauben der kleinen gedrungenen Rinder und das Klirren winziger goldener Glöckchen und gedämpfte Stimmen in einem gutturalen Dialekt und die stapfenden Schritte der Menschen, die in diesem Tal geboren waren und die hier sterben würden, ohne es je verlassen zu haben.
Allmählich wurde ich wieder ich selbst. Wie lange waren wir von uns selbst getrennt gewesen! Wie durch unsichtbare Scheiben und Wände von uns selbst geschieden. Ich dachte zurück. Wann hatten wir uns zuletzt so frei gefühlt? Da musste ich weit zurückgehen. Da waren all die kleinen Schlachten und Feldzüge gewesen, die Kriege gegen Zthronmic, Tloxi und Laya. In den Geschichtsbüchern der Zukunft bloße Fußnoten. Aber jeder für sich war eine gewaltige Unternehmung gewesen, die uns alles abverlangt hatte. Tausende der Unseren hatten wir sterben sehen. Jedes Mal. Davor die Schlacht um Sina. Das gewaltigste militärische Ringen, das der Galaxis bis zum heutigen Tag geboten worden war. Davor die Jahre der Diaspora.
Und davor? Die Jahrzehnte der interstellaren Exploration. Doch auch sie hatten wir an Bord von Schiffen verbracht oder auf Basen, die wir auf lebensfeindliche Welten vorschoben. Auch dort hatten wir künstlich erzeugten Sauerstoff geatmet und selbsterhitzende Fertigprodukte gegessen.
Im Grunde brachte diese Wanderung uns unsere Jugend wieder und den rätselhaften und idyllischen, damals ganz unversehrten Planeten namens Erde. Plus die Tatsache, wie lange das alles her war!
Aber das war mir egal. Ich fühlte mich jung. Die Tatsache, dass ich erwachsene Kinder haben könnte, ging mich nichts an, solange ich die Muskeln dehnte und die Luft einsog, als hätte ich ein halbes Menschenalter nicht mehr richtig ausgeschlafen gehabt.
Ich blieb liegen und streckte mich. Das kehlige Lachen der Kinder des winzigen Weilers, in dessen Nähe wir campierten, drang an mein Ohr. Dazu andere Geräusche, jedes einzelne unendlich kostbar. Jemand klopfte die Bastmatten aus, mit denen man hier die nackten Lehmböden der Hütten auslegte. Jemand spaltete Holz mit einer Axt. Ein Muli scheute und kratzte seine wundgescheuerten Weichen an einer Mauer. Ein einheimischer Vogel sang und piepte mit einer sonderbaren Stimme, die an ein elektronisches Signal erinnerte.
Der Wind frischte ein wenig auf und drückte die Zeltplane nach innen. Das wirbelte andere Gerüche auf, die im Inneren unserer Unterkunft zuhause waren. Der Dunst unserer Körper, die seit Tagen nicht mehr richtig gewaschen worden waren. Das ganz eigentümliche Aroma, dasAnzüge, Rucksäcke und Ausrüstung abstrahlten, wenn sie lange der Sonne ausgesetzt gewesen waren. Der Duft der Lebensmittel, die wir unterwegs in den Dörfern gekauft hatten. Der süße beizende Geruch eines kleinen Blumenstraußes, den Jennifer am Wegesrand gepflückt und zum Trocknen in den First des Zeltes gehängt hatte.
Ich öffnete die Augen und sah die blassen Blümchen über mir schaukeln.
Es war taghell. Eben leuchtete die oberste Spitze des Zeltes auf, als sie vom ersten Sonnenstrahl getroffen wurde. Wir hätten die Planen auch auf volle Absorption schalten können, dann wäre es selbst in der prallen Sonne stockfinster gewesen. Oder sie auf transparent programmieren, dann hätten wir durch sie hindurch die Landschaft betrachten können. All diese Sperenzien waren wir leid. Wir hatten das Zelt einfach nicht angeschaltet, die raffinierte Automatik, die es natürlich auch hier gab, gar nicht erst aktiviert. So war die Plane eine Plane und nichts außerdem.
Jetzt glühte und strahlte sie in der Morgensonne dieser kargen und doch so überaus reichen Welt.
Ich spannte und entspannte noch ein paar Mal die Muskulatur, bis jeder Zoll meines Wesens vor Bewusstsein und Kraft vibrierte. Dann setzte ich mich auf. Der Platz neben mir