Название | Kempinski erobert Berlin |
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Автор произведения | Horst Bosetzky |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955522483 |
Berthold Kempinski schloss ihren Dialog mit dem Satz, dass er nur an eines hundertprozentig glaube. »Dass nämlich ein Kilo Rindfleisch eine wunderschöne Brühe ergibt.«
Dennoch ging er mit Leichholz am Freitagabend in die Storch-Synagoge in der Wallstraße 7/9, die von keinem Geringerem als Carl Ferdinand Langhans erbaut worden war. Hier trafen sich die liberalen Breslauer Juden. Es wurde aber darüber geredet, eine neue und viel größere Synagoge zu bauen und diese hier den Orthodoxen zu überlassen.
»Mir ist das alles egal«, sagte Berthold Kempinski.
Leichholz sah ihn prüfend an. »Sag bloß, du willst konvertieren?«
»Paris ist eine Messe wert, heißt es ja, aber ich bin zu bequem dazu. Außerdem scheinen mir die Grabreden bei den Juden besser zu sein als bei den Christen.«
»Daran zu denken ist doch ein bisschen früh, oder?«
Berthold Kempinski lachte. »Recht hast du. Und vielleicht werde ich einmal unsterblich, dann ist das Ganze sowie kein Problem mehr.«
Krojanke hatte zu Hause in Obersitzko eine Liste mit über zwanzig potentiellen Opfern versteckt, darunter auch Berthold Kempinski. Die wollte er sich noch holen, bevor er zu alt dafür war, mit Pferd und Wagen durch die Lande zu ziehen und im Zelt zu schlafen. Da er alles tat, um als gutmütiger und hilfsbereiter Mensch zu erscheinen, und zusätzlich das hatte, was seine Mitmenschen als »ein liebes Gesicht« bezeichneten, war er noch immer unentdeckt geblieben. Dass er keine Frau hatte, erregte keinen Verdacht. Alle wussten, dass ihm seine heißgeliebte Johanna schon in jungen Jahren weggestorben war und er damals geschworen hatte, nie wieder eine andere anzurühren. Die Leute also ließen ihn in Ruhe, und die Mittel der Polizei waren in jenen Jahren so beschränkt, dass er auch von dieser Seite nichts zu befürchten hatte. Wer nicht in flagranti ertappt wurde, der konnte über Jahrzehnte hinweg andere abschlachten, ohne dass man seiner habhaft wurde.
Nach Breslau kam Krojanke nur selten, denn hier war nicht allzu viel zu verdienen, weil es zu viele Geschäfte gab, die wie er Scheren, Messer, Sägen, Feilen, Äxte und Beile an den Mann bringen wollten. So stand er auch heute wieder ziemlich gelangweilt an seinem Stand, als es ihn traf wie ein Stich in die Brust: Lief doch da Berthold Kempinski aus Raschkow über den Platz. »Den muss ich mir noch holen«, flüsterte er. »Diesmal wirst du mir nicht entgehen.«
Einmal hatte er ihn schon in der Falle gehabt. Damals auf der Chaussee zwischen Ostrowo und Raschkow, als er ihn aufgelesen und neben sich auf dem Kutschbock platziert hatte. Bei der ersten Rast hätte er ihn erschlagen und unter einer Plane verborgen nach Obersitzko gebracht. Da war ihm ein Rad gebrochen, und Kempinski hatte es vorgezogen, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.
So arm die Menschen in den preußischen Provinzen auch waren, überall gab es Honoratioren und Genießer, die gute Weine zu schätzen wussten und froh waren, dass sie nicht meilenweit reisen mussten, um diese käuflich zu erwerben, sondern sie ohne großen Aufpreis ins Haus geliefert bekamen. Gutsbesitzer und Landpfarrer vor allem. Moritz Kempinski hatte das schnell begriffen und seinen Radius ganz erheblich erweitert, seit er seinen Bruder ausschicken konnte.
Berthold Kempinski fand es nicht gerade berauschend, als fliegender Weinhändler zweispännig durchs Land zu zuckeln, aber da er die Kunst beherrschte, das Beste aus allem zu machen, litt er auch nicht übermäßig. Es gab Schlimmeres auf der Welt, und »Hoch auf dem gelben Wagen« zu singen, während es durch wogende Kornfelder ging, war ja auch nicht ohne. Er liebte die Kornblumen am Wege und mehr noch den roten Mohn, und ab und an fand sich in den Dörfern auch ein Mädchen, das auf einen Prinzen wartete. Sah er zu den weißen Wolken hinauf, dann fand er, dass er dahintrieb wie sie. Irgendwie wusste er, dass das eigentliche Leben noch kam und diese Zeit nur so leer war, damit er sich nicht zu früh verbrauchte. Wer warten konnte, zu dem kam alles. Wenn es irgendwie ging, nahm er den Weg nach Nordosten, nach Ostrowo und Raschkow, um zugleich die Eltern und die Geschwister, aber auch die alten Freunde zu besuchen.
In Medzibor traf er Ludwig Liebenthal, der dort im ersten Hotel am Platze als Hausknecht arbeitete. Die Wiedersehensfreude war groß.
»Wie geht’s denn Luise?« Das war eine der ersten Fragen, die Berthold Kempinski stellte.
»Du wirst lachen, sie lebt gar nicht weit von hier als Magd in Honig. Gleich hier hinter Medzibor Richtung Krotoschin.«
»Na, da muss ich morgen mal hin.«
»Mach das. Ich glaube, sie liebt dich noch immer.«
Berthold Kempinski fühlte, dass er rot wurde. In einsamen Nächten hatte er sich oft genug vorgestellt, mit Luise ins Heu zu gehen. Und nun stellte sich heraus, dass auch sie ihn nicht vergessen hatte. Geh hin und frage sie, ob sie deine Frau werden will. Was ihn antrieb, war die Natur. Die wollte, dass er sich mit Luise vereinigte und Kinder in die Welt setzte. Alles kam, wie es kommen musste.
Ludwig Liebenthal umarmte ihn. »Es wäre schön, wenn du mein Schwager wirst.«
Berthold Kempinski. »Und du meiner! Was stellt sich denn Luise so vor, ich meine …« Er konnte nicht recht in Worte fassen, was er im Sinn hatte.
»Sie will unbedingt auswandern. Nach Amerika.«
»Nach Amerika.« Berthold Kempinski brauchte eine Weile, um das zu verarbeiten. »Das will ja mancher.« Bis 1848, das wusste er, waren viele Juden nach Übersee ausgewandert, inzwischen aber wollten sie nicht mehr ganz so weit und begnügten sich mit Schlesien, von wo es des Öfteren auch weiterging bis nach Berlin. »Wenn schon Amerika, dann aber bitte Lateinamerika, schließlich habe ich in der Schule Latein gelernt.«
»Wie?« Der Freund verstand den kleinen Scherz nicht und blieb ernsthaft. »Nein, in die Vereinigten Staaten möchte sie, das ist ihr großer Traum.«
Als Berthold Kempinski wieder auf dem Kutschbock saß, hatte er Zeit genug, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Der schmerzte zwar ein wenig, weil er den ganzen Abend über mit Ludwig gezecht hatte, aber dennoch. War es also sein Schicksal, Amerikaner zu werden? New York, New York. Alle Liberalen sprachen davon. Keine Fürsten mehr, keine Unterdrücker. Freiheit und viele Dollars. Konnte man drüben als Weinhändler seinen Weg machen? Vielleicht hatten sie sich ein bisschen an europäischer Kultur bewahrt und soffen nicht nur Bier and Brandy.
Je mehr er sich dem Dorfe Honig näherte, desto unruhiger wurde er. Wie hielt man um die Hand einer Vollwaise an? Luises Vater war ja auf ewig verschollen und ihre Mutter schon lange gestorben. Fragte man da den Bruder? Möglicherweise, aber Ludwig hatte ja schon sein Plazet gegeben. Also standen alle Türen offen. Oder waren die eigenen Eltern vorher zu fragen? Da geriet er ins Wanken. Aber was sollte sein Vater gegen Luise haben? Dass sie arm war und ihm eine gute Partie den Start ins Leben sehr erleichtert hätte. Schon richtig, aber bislang hatte keine der höheren Töchter zwischen Posen und Breslau Anstalten gemacht, ihn zu erwählen. Außerdem liebte er Luise, wenn Liebe hieß, dass er sie besitzen wollte.
Als er Akazien am Wegesrand sah, stieg er ab und pflückte ihr einen wunderschönen Strauß aus Feldblumen.
Eine Stunde später hielt er vor dem Gehöft des Bauern Gurkow. Es war nicht schwer zu finden gewesen, Ludwig hatte ihm alles genau beschrieben. Irgendwie hatte Berthold gehofft, dass hier tausend bunte Bänder wehten. Aber Luise hatte ja von seiner Ankunft nichts wissen können.
Er zog die Bremse seines Wagens an und stellte den Pferden Wasser und Hafer hin, um Zeit zu gewinnen und alles zu mustern. Vorn am Wohnhaus klebte viel Schinkel, was hieß, dass der Bauer recht wohlhabend war. Da hatte es Luise ja gut getroffen.
Er nahm seinen Blumenstrauß und trat durch das offene Tor in den Hof. »Hallo, ist da wer?«
Ein Hüne mit Haaren wie Haferstroh kam mit der Forke vom Misthaufen herab. Offenbar der Knecht. »Was ist?«
»Pardon, ich suche die Luise.«
»Hier ist keine Luise.«
»Ich