Die Leiche im Landwehrkanal. Uwe Schimunek

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Название Die Leiche im Landwehrkanal
Автор произведения Uwe Schimunek
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783955520359



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hatten Wasser abbekommen, aber Gontard konnte die Aufschrift selbst über Werpels Schulter noch deutlich erkennen:

       CORNELIUS FÜRCHTEGOTT PUCH – Privat-Secretär Schriftstücke für alle Lebenslagen – Bittschriften, Eingaben, Beschwerden, Empfehlungen, Gratulationen, Briefe usw.

       wie auch GELEGENHEITSGEDICHTE

      »Ich denke, ich habe Herrn Puch schon einmal gesehen. Bei der Familie von Traunstein.« Lenné sprach in einem feierlichen Ton. »Sehr vornehme Herrschaften, die Traunsteins, und ausgesprochen kunstsinnig. Puch hat für Herrmann von Traunstein Correspondenzarbeiten erledigt.« Der Gartendirektor blickte den verdeckten Leichnam an und fuhr fort: »Von der Größe her könnte es sich durchaus um diesen Puch handeln.«

      Paul Quappe schmierte Wurst auf seine Brotscheibe. Wie gut es ihm doch hier ging! Bei den Gontards gab es mitten in der Woche Wurst. Das wäre zu Haus bei seinen Eltern in Schönschornstein unvorstellbar.

      Ferdinand von Gontard saß ebenfalls am Tisch in der Dienstküche. Der Sohn der Familie hatte bei der Mutter so lange gebettelt, bis er sein Abendbrot schon jetzt nehmen durfte. Quappe hatte den Jungen gern um sich. Seit zwei Jahren wohnte Quappe nun schon als Bursche des Oberst-Lieutnenant von Gontard in der Kammer unter dem Dach, und mit dem Sohn des Hauses verstand er sich gut.

      Der Oberst-Lieutenant war noch einmal außer Haus gegangen. Wegen des Mordes, das wusste Quappe. Der Herr hatte es ihm selbst erzählt. Die Stulle schmeckte vorzüglich. Quappe musste aufpassen, dass er das leckere Essen nicht hinunterschlang. Er kaute noch einmal und biss dann erneut ab. Auch Ferdinand futterte, als habe er den ganzen Tag noch nichts bekommen. Dabei hatte es bei den Gontards natürlich ein üppiges Mittagsmahl gegeben.

      Quappe merkte, wie der erste Hunger nachließ. Er kaute langsamer und sagte: »Se wern nich globn, junga Herr, et jibt schon widda nen Mord. Herr Oberst-Lieutenant tut höchstselbst amitteln. Vonne Jenaralmajor von Schnöden hatta schon de Jenehmijung für dit Janze.«

      »Vater?«, fragte Ferdinand mit vollem Mund.

      »Janz jenau, Ihr Herr Vata. Da kann da Strolch sich schon ma warm anziehn!«

      Ferdinand biss von seiner Stulle ab und sah Quappe mit großen Augen an. »Wird das gefährlich?«, fragte er ihn.

      »Na, janz sicha! Mit Mördan is bekanntamaßn nich zu spaßn.«

      »Oh«, erwiderte Ferdinand und klang dabei, als stünde er selbst unmittelbar vor einem großen Abenteuer, »dann werden Sie wohl dem Mörder auch begegnen.«

      »Ditte kann wohl sein.« Quappe schaffte es noch, die Worte voller Inbrunst herauszuposaunen, bevor die Luft knapp wurde. Jetzt hatte er eher das Gefühl, als wüchse ein Pfropfen in seinem Hals. Daran hatte er noch gar nicht gedacht: Würde er in Gefahr geraten? Sein Herr war ein Offizier, erprobt im Kampf und bedrohliche Situationen gewohnt. Aber er war doch nur ein junger Bursche – und wollte noch nicht sterben. Am liebsten hätte Quappe wieder in Schönschornstein in der elterlichen Kate gesessen. Selbst die Stulle auf dem Teller vor ihm schien ihren Geruch verloren zu haben.

      »Das ist bestimmt sehr aufregend für Sie«, sagte Ferdinand.

      »Hm.«

      »Wenn ich mir das vorstelle: Sie treiben einen Bösewicht in die Enge, bis er gar nicht mehr ein noch aus weiß. Und dann kommt es zu einem großen Kampf.«

      Das wollte sich Quappe lieber nicht vorstellen. Er verwickelt in einen Kampf gegen das Böse. Das wäre ja wie in den Märchen, die Großmama früher erzählt hatte. Aber er war doch kein mutiger Prinz … Ihm fehlte sogar das Talent von Till Eulenspiegel, immer wieder den Hals aus der Schlinge zu ziehen. Obwohl er alle Geschichten des berühmten Narren aus seiner Kindheit noch auswendig kannte.

      »Und dann werden Sie meinem Vater beweisen, dass mehr in Ihnen steckt als ein einfacher Bursche.«

      Bestimmt war da mehr in ihm. Aber ganz sicher kein übermütiger Held. Quappe dachte an die letzten Jahre. Er hatte bereits etliche Mutproben absolviert: den Hund vom Nachbarn abgelenkt und Eier aus dem Stall stibitzt, Kartoffeln vom Feld geklaut und so weiter. Das reichte doch wohl, oder? Und um den Mörder kümmerte sich der Oberst-Lieutenant ohnehin lieber selbst. Der Herr weilte auch bei seinem Termin allein und ließ ihn hier in Ruhe essen. Es bestand kein Grund zur Sorge.

      »Sie wissen bestimmt alles über den Mordfall«, sagte Ferdinand mit Trotz in der Stimme. Oder war es Neid?

      »Ditte kann man sagn. Aba ick darf nix varatn.« Quappe legte den Zeigefinger über seinen Mund, um seine Verschwiegenheit zu verdeutlichen. Ein bisschen Übertreibung konnte nicht schaden, fand er.

      »Ach, Herr Quappe«, bettelte Ferdinand, »auch ich kann schweigen wie ein Grab.«

      Quappe biss in die Stulle und schwieg. Sicher konnte er dem jungen Herrn ein paar harmlose Geschichten erzählen. Aber erst mal würde er ihn noch ein bisschen schmoren lassen. Dann hatte Ferdinand sicher das Gefühl, in seiner Schuld zu stehen. Daraus ließ sich bestimmt irgendwann ein Gewinn ziehen.

      »Ach bitte, Herr Quappe!«, quengelte Ferdinand.

      »Na ja, also, dit ist so …« Um genau zu sein, wusste Quappe nicht allzu viel. Aber musste er das dem Jungen auf die Nase binden? Nein, ein bisschen Phantasie konnte nicht schaden. Quappe sagte: »Da Herr Oberst-Lieutenant hat ’n Totn mit den eijenen Händen ausm Wasser jezogn.« Ferdinand schlug die Hand vor den Mund. Der Junge hielt den Atem an, als Quappe von dem Leichnam erzählte. Wie blau der gewesen sei! Wasserleichen waren doch bestimmt blau … Und Blasen schlug deren Haut sicher auch …

      »Ich glaube, ich höre nicht recht!« Henriette von Gontard stand in der Küche. Sie rief: »Herr Quappe! Sie hören sofort auf mit dem Unsinn!« Die Frau des Hauses kam mit erhobener Hand um den Tisch gelaufen. »Sie machen den Jungen ganz kirre. Was denken Sie sich dabei?« Sie stand nun neben Quappe.

      Im nächsten Augenblick spürte er die Ohrfeige. Es klatschte auf seine Wange, noch bevor er eine schützende Handbewegung hinbekam.

      »Aber Mama …« Ferdinand klang so entsetzt, als hätte er selbst die Maulschelle erhalten.

      Henriette von Gontard drehte sich zu ihrem Sohn und zischte: »Du, Ferdinand, gehst auf dein Zimmer! Und zwar sofort!«

      »Ich brauche dringend Ablenkung von dem Elend mit der Cholera in meiner Praxis«, sagte Dr. Friedrich Kußmaul.

      »Beschreib mir noch einmal die Wunde deines Mordopfers!«

      »Du bist der Mediciner«, entgegnete Gontard seinem Freund. »Ich kann dir nur sagen, dass da ein großes Loch war.«

      »Von einem Schuss aus einem Fusil oder von einem Dolchstoß?«

      »Der Tote lag im Wasser und war völlig aufgeschwemmt. Als wir ihn herausgefischt haben, war das Loch ganz schön groß.«

      Kußmaul nahm seine Kuchengabel und schaufelte ein Eckchen der Sahnetorte darauf. Während er die Süßspeise zum Mund führte, sagte er: »Wasserleichen sind besonders eklig. So möchte man nicht tot sein.« Die Gabel verschwand im Mund.

      Gontard wusste in diesem Augenblick nicht, ob er seinen Freund bewundern oder bemitleiden sollte. Ein Leichnam rief bei Kußmaul offenkundig keine Reaktion mehr hervor. Da saß der inmitten dieser Conditorei, inmitten des Kaffee- und Kuchenduftes und plauderte beim Mampfen eines Stücks Torte über die Besonderheiten von Wasserleichen …

      Der Mediciner hob die Gabel und sagte: »Bevor so einer wiederauftaucht, hat er eine Weile auf dem Grund gelegen. Das tut dem Teint nicht gut, haha!«

      »Ach so? Wie lange?« Gontard konnte es kaum fassen, aber Kußmaul hatte schon das nächste Stückchen Torte im Mund.

      Der Mediciner schluckte und antwortete: »Ein paar Tage, je nach Wetter, jetzt im Sommer vielleicht zwei bis drei.«

      »Dann ist der Mann vielleicht am Dienstag ermordet worden.«

      »Das könnte wohl sein. Oder vielleicht schon am Montag oder am Sonntagabend.«

      Gontard