Название | Aufruhr am Alexanderplatz |
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Автор произведения | Horst Bosetzky |
Жанр | Исторические детективы |
Серия | |
Издательство | Исторические детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955520342 |
Der Portier unten in der Empfangshalle hörte einen Schuss und einen Schrei.
Criminal-Commissarius Waldemar Werpel und sein Constabler waren weiterhin nach Kräften bemüht, das Rätsel um den angeblich erschlagenen und dann wieder von den Toten auferstandenen Arbeitsmann Ferdinand Dünnebier zu lösen.
Krause hatte schon eine Idee. »Wir müssen ihn bloß mal fragen, wie det allet jekomm is.«
Werpel fasste sich an den Kopf. »Um ihn zu befragen, müssen wir ihn erst einmal haben, aber er ist und bleibt nun mal verschwunden.«
Der Constabler feixte und zeigte nach oben. »Vielleicht issa doch aufjefahr’n gen Himmel.«
»Dann passen Sie nur auf, dass er nicht wieder runterkommt und Ihnen uff ’n Kopp fällt!«
Werpel überlegte, und das ging nicht so schnell, weil es für ihn Schwerstarbeit war. Natürlich war Dünnebier nicht in den Himmel aufgefahren. Es blieben drei Möglichkeiten. Erstens: Der Mörder war zurückgekommen und hatte Dünnebier mitgenommen, um die Spuren seiner Tat zu beseitigen oder um den Arbeitsmann nun endgültig totzuschlagen. Zweitens: Dünnebier war wieder zu sich gekommen und hatte sich, betrunken wie er war, davongemacht. Es konnte ja sein, dass gar niemand versucht hatte, ihn um die Ecke zu bringen, und er in seiner Trunkenheit nur gestürzt und mit dem Kopf auf die Stufen der Kohlenhandlung aufgeschlagen war. Drittens: Es hatte wirklich ein Fremder Dünnebier die Kopfverletzung zugefügt – dass es die wirklich gegeben hatte, war von Kugler und dem Nachtwächter bestätigt worden –, aber der Verletzte war wieder zu sich gekommen und hatte sich davongemacht.
Während Werpel noch all dies gegeneinander abwog, wurde Krause langsam ungeduldig. »Watt is’n nu, Herr Commissarius, wen soll ick’n festnehm?«
»Den Dünnebier.«
»Wieso’n ditte?«
Werpel tat amtlich. »Weil er eine Straftat vorgetäuscht hat.« Das war eine weitere Variante, die ihm eben erst eingefallen war. Dünnebier hatte die Obrigkeit hinters Licht führen wollen.
»Jut, wenn Se mir zeigen, wo a is, nehm ick ihn ooch fest«, erklärte Krause. »Aba wo issa?«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Krause?«
»Gerne, wenn det ’n Befehl is.« Er setzte wirklich an, den Commissarius hochzuheben, und da Werpel sich wehrte, konnten die umstehenden Berliner ein kleines Schauspiel genießen.
Als sich beide wieder voneinander gelöst hatten, machten sie sich auf den Weg zur Nikolaikirchgasse, um mit dem Kohlenhändler Wilhelm Wenzel und seiner Frau zu reden. Aber die konnten ihnen auch nicht mehr berichten, als dass sie in die hinteren Räume gelaufen waren, um Wasser und Verbandszeug zu holen, nachdem ihnen der Nachtwächter und ein Bürger den vermeintlich toten Arbeitsmann auf die Treppen zu ihrem Kohlenladen gelegt hatten.
»Als wa dann wieda vorne waren, da war der Tote verschwunden.«
Unverrichteter Dinge und leise vor sich hin fluchend, kehrten Werpel und Krause nun zur Stadtvogtei am Molkenmarkt zurück. Und wer wartete da auf sie? Ferdinand Dünnebier! Mit einem riesigen Verband um den Kopf.
»Biste nu als Tota hier oda als Lebenda?«, rief Krause.
»Als Sultan«, antwortete Dünnebier und zeigte auf seinen Turban. »Ick dachte ma, ick melde mir nach allet, wat jestern Nacht passiert is.«
Werpel nickte. »Da sind Sie uns in der Tat eine längere Erklärung schuldig.«
»Na, lang isse nich, aber klar wie Kloßbrühe. Ick bin nich jestürzt, et hat mir wirklich eena niederjeschlagn. Ick war wohl ooch ’ne Weile weg. Als ick dann wieda zu mir jekommn bin, da dachte ick, bloß weg von hier, und bin ab zu’m Freund von mir, dem Liepe.«
»Wer ist Liepe?«
»Gottlieb Letschinski.« Mit dem habe er sich neulich um die schöne Auguste geprügelt, Auguste Gärtner, aber man habe sich längst schon wieder versöhnt. »Sie wissen doch, Herr Commissarius: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.«
»Nun ja …« Werpel mochte dem nicht widersprechen.
»Aber was meinen Sie denn nun, wer Sie in der Nikolaikirchgasse niedergeschlagen hat?«
Da war Dünnebier um eine Antwort nicht verlegen.
»Ick vamute mal, det det der Auguste ihr Bräutigam jewesen is.«
»Und wer ist das?«
»Der Watzlawiak is det, der Franz. Den finden Se bei Borsig draußen in’t Feuerland.«
Fünf
Ein Feuerland gab es 1848 nicht nur am südlichen Ende Südamerikas, sondern auch am nördlichen Rande Berlins, gleich vor dem Oranienburger Thor. Zuerst wurde hier 1804 die Königlich Preußische Eisengießerei in Betrieb genommen, dann hatten sich etliche Fabrikherren mit ihren Eisengießereien und Maschinenbauanstalten niedergelassen, so Franz Anton Egells (1826), August Borsig (1837), Friedrich Adolf Pflug (1839) und Johann Friedrich Ludwig Wöhlert (1842). Inzwischen zählte das Handelsministerium 33 Firmen mit über dreitausend Beschäftigten im Feuerland. Da alle Betriebe für ihre Produktion Eisen schmelzen, gießen oder bis zur Glut erhitzen mussten, brannten überall Feuer und aus unzähligen Schornsteinen stiegen Rauchschwaden in den Himmel, so dass im erfindungsreichen Berliner Volksmund das Areal bald den Namen Feuerland bekam.
Der König vom Feuerland war eindeutig August Borsig, geboren 1804 in Breslau und 1823 nach Berlin gekommen. Begonnen hatte sein Aufstieg mit der Produktion von Kleineisenteilen für den Gleisbau, dann hatte er englische und amerikanische Lokomotiven repariert, und schließlich baute er selbst welche. 1841 hatte die Borsig 1 auf der Strecke Berlin—Jüterbog eine Wettfahrt gegen eine Maschine des großen George Stephenson gewonnen, und schon 1846 war Borsigs hundertste Lokomotive aus der Halle gerollt. Wer bei Borsig arbeitete, war stolz darauf und rief gerne aus: »Ich bin kein Proletarier, ich bin Maschinenbauer!«
Einer dieser Maschinenbauer war Franz Watzlawiak. Er bediente eine der Drehbänke, an denen die Pleuelstangen der berühmten Borsig’schen »Schnellläufer«-Lokomotiven entstanden. Ringsum kreischten die Bohrer, dröhnten die Schmiedehämmer, in den Werkstätten nebenan flackerten die Schmelzöfen. Schlagartig aber brachen die Geräusche ab, als einer der Meister »Feierabend!« gerufen hatte. Es war Sonnabend, und ein jeder strebte voller Vorfreude auf das Wochenende seiner Wohnstatt entgegen. Watzlawiak hatte sich bei der Witwe Grimnitz in der Linienstraße eingemietet und eilte nun mit einer Geschwindigkeit durch das Oranienburger Thor, die die Wache denken ließ, hier sei ein Verbrecher auf der Flucht. Ein kleines Stück ging es die Friedrichstraße entlang, dann musste er nach links in die Linienstraße abbiegen. Die zog sich ewig an der nördlichen Berliner Peripherie entlang, erst hinter der Alten Schönhauser Straße war er am Ziel. Nur schnell aus den alten Klamotten raus, die er bei der Arbeit trug, sich waschen, etwas Anständiges anziehen, und dann ab zu Auguste. Er liebte es, sich als ganzer Mann zu geben, und so stand er auch Ende Februar an der Pumpe unten im Innenhof, die vor ein paar Tagen noch eingefroren war, und ließ sich das eiskalte Wasser über den nackten Oberkörper rinnen.
Über ihm wurde das Fenster aufgerissen, und die Witwe Grimnitz oben am Fenster begann zu zetern. »Sie, det is unschickllich!«
Watzlawiak lachte. »Sie müssen ja nicht hingucken. Weg vom Fenster, gleich wasche ich mich in den unteren Regionen!«
Das wagte er natürlich nicht, dennoch kreischte die Grimnitz und drohte wieder einmal, ihm zu kündigen. Er war sich aber sicher, dass sie ihre Drohung nicht wahr machen würde, denn er hatte den Ruf, ein gewalttätiger Mensch zu sein. Und darauf war er auch stolz. Als er mit seiner Wäsche fertig war, nahm er dennoch eine Rose aus Papier, die er bei einem Maskenball erbeutet hatte, und trat an, sich bei ihr zu entschuldigen.
Sie rollte mit den Augen. »Ihnen kann man auf Dauer nich böse sein …« Seufzend nahm sie die Papierblume entgegen und gestattete ihm sogar, in ihrer Vossischen zu blättern und nachzuschauen,