Tatort Kuhstall. Thea Lehmann

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Название Tatort Kuhstall
Автор произведения Thea Lehmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916107



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Sie aber hatte seinen Protest nicht akzeptiert: »Wenn ich hier wohne, will ich mich auch wohlfühlen!«

      Also hatte er sich gefügt. Leo hatte sich vor über einem Jahr für einen zweijährigen Aufenthalt bei der Kripo Dresden gemeldet. Dass seine Wohnung hier eher wie eine Studentenbude aussah, hatte ihn nie gestört. Doch nun war er in seinem eigenen Reich plötzlich nicht mehr der Herr, Veronika hatte das Zepter übernommen. Es wäre besser gewesen, wenn sie sich gemeinsam eine neue Wohnung gesucht hätten. Aber für ein halbes Jahr lohnte das nun wirklich nicht. Leo war unzufrieden. Scheinbar interessiert beugte er sich tief über eine Kommode und studierte das Preisschild, als er unsanft von hinten angerempelt wurde.

      »He, Alter, musste da rumstehen? Mach mal Platz!«

      Ein stämmiger junger Mann mit Jogginghose und Baseball-Cap hatte ihn beim Vorbeigehen angerempelt und war offenbar auf Ärger aus.

      Leo richtete sich betont langsam zur vollen Größe auf, drehte sich um und setzte seinen Kriminalkommissar-Blick auf.

      »Wie bitte?«

      Der Typ sah ihn an, zog den Kopf ein und verschwand murmelnd hinter den Wohnzimmerschränken.

      »Tschuldigung.«

      Mit solchen Typen wusste er umzugehen. Sie konnten riechen, dass er Polizist war und sich von Blendern nicht einschüchtern ließ.

      Bei Veronika allerdings war er machtlos. Sie konnte seine Bedenken kurzerhand wegwischen und ihn gegen seinen Willen ins Möbelhaus schleppen.

      Obwohl sie schon jahrelang ein Paar waren, hatten sie noch nie zusammengewohnt. Und diese drei Monate jetzt, die waren nur der Vorgeschmack auf die Zukunft: Heiraten, Kinder, ein Leben mit Veronikas Großfamilie im heimatlichen Hinterland bei Fürstenfeldbruck. Aber Leo durfte nicht jammern. Er hatte sich das alles selbst eingebrockt, als er sie aufgefordert hatte, ein Leben außerhalb des Dunstkreises ihrer Familie auszuprobieren und zu ihm zu kommen. Und es gefiel ihm ja auch.

      Doch heute, an einem herrlichen Juni-Sonntag, durch dieses Möbelhaus zu laufen, fand er einfach nur dumm. Sie hätten so wunderbar eine Tour mit dem Rad entlang der Elbe unternehmen können, hinüber nach Radebeul oder auch in die andere Richtung, nach Pirna. Stattdessen stand er hier im künstlichen Licht, hatte die chemischen Gerüche nagelneuer Möbel in der Nase und war kurz davor, ärgerlich zu werden.

      Er sah sich um. Wohin war Veronikas kurzer Haarschopf nun wieder verschwunden? Zielstrebig strich sie seit über einer Stunde zwischen den Möbeln herum und rief ihn mal von dieser, dann von einer anderen Ecke. Ihr bayerischer Zungenschlag ließ die übrigen Kunden immer wieder aufhorchen. Leo drehte sich langsam um die eigene Achse, um zwischen Sofas, Betten, Schaukelstühlen und Nippes seine Freundin zu entdecken.

      Sie winkte ihm fröhlich aus der Schlafzimmerabteilung zu. Auf dem Weg zu ihr versuchte er, sich ein Lächeln ins Gesicht zu zwingen.

      »Da, die da, die ist doch schön, oder? Was sagst du zu der?« Veronika begutachtete fachmännisch eine auf Hochglanz polierte Kommode.

      "Nein, keine weißen Möbel! Dann sieht meine Wohnung ja aus wie ein Mädchenzimmer!"

      »Quatsch. Das ist hochmodern und sorgt für eine klare Atmosphäre!«

      Leo schüttelte den Kopf. »Nein, bitte nicht!« Er deutete auf ein anderes Modell: »Was ist mit der?« Veronika umrundete die schlichte, aus gewachstem Fichtenholz zusammengefügte Kommode abschätzig.

      »Das ist voll Achtzigerjahre, so was fand meine Mutter schick, als sie so alt war wie ich jetzt!«

      Leo seufzte. Immerhin hatte er an diesem Wochenende Bereitschaft und so die Chance, dass noch etwas passierte.

      Veronika war weitergeschlendert und prüfte die Schubladen an einem Modell, bei dem jede eine andere Farbe hatte. Schon beim Anschauen wurde Leo Reisinger nervös. Doch bevor er einen freundlich formulierten Einwand loswerden konnte, vibrierte sein Smartphone. War das die Rettung? Er holte es aus der Tasche.

      »Kriminalkommissar Reisinger, was gibt’s?«

      Sascha Pröve setzte mechanisch einen Schritt vor den anderen, während er mit einer Mischung aus Unglauben und Staunen in den Anblick des runden Hinterns der Wanderin vor ihm versunken war. Diese niedlichen Grübchen, was für Aussichten! Dagegen konnte das Panorama mit Neuem Wildenstein und Winterbergspitze nicht mithalten. Er war mit einer Gruppe von neun Leuten im Nationalpark Sächsische Schweiz unterwegs, ein Wandergebiet, das gleich vor den Toren Dresdens lag und das er bestens kannte.

      Sein kleiner Rucksack scheuerte ein wenig am Rücken, aber die Temperaturen im Juni waren angenehm und er hatte hoffentlich genügend Mückenschutzmittel und Sonnencreme aufgetragen, um kein Risiko einzugehen. Es war bereits Nachmittag, die Sonne fiel schräg durch die Bäume und streichelte mit wundersamen, flirrenden Lichtfingern das Moos am Waldboden. Wie gut, dass er sich aufgerafft hatte, sich dieser Wandergruppe anzuschließen! Sascha fühlte sich ungewohnt frei und angeregt, müde vom Wandern und trotzdem zufrieden.

      Er wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als sich ein aufgeregter älterer Herr seiner Wandergruppe in den Weg stellte.

      »Hat jemand von Ihnen ein Handy? Wir müssen die Polizei anrufen. Da vorne liegt ein toter Mann am Fuß der Felswand unterhalb vom Kuhstall!«

      Erschrocken blieb die Wandergruppe stehen. Alle kramten in ihren Rucksäcken, doch niemand hatte Netz. Sascha überlegte, ob er sich als Kriminalpolizist zu erkennen geben sollte. Wenn er es tat, bedeutete das, dass die Wanderung und sein freier Sonntag beendet waren. Andererseits konnte er damit bei der wohlproportionierten Melanie, die die meiste Zeit vor ihm gelaufen war, sicherlich Eindruck schinden. Er zögerte nicht lange.

      »Ich arbeite als Kriminalkommissar bei der Kripo Dresden«, gab er sich zu erkennen. Ein Raunen ging durch die Gruppe.

      »Wartet bitte einen Moment. Ich sehe mir das an.«

      Sascha ließ sich von dem alten Herrn die Fundstelle zeigen, warf von Weitem einen Blick auf den Leichnam und eilte sofort zurück:

      »Zwei Leute gehen bitte hoch zum Kuhstall, da gibt es vielleicht Handy-Empfang oder ihr nutzt den Festnetzanschluss des Gasthauses. Ruft die Kripo in Dresden an und sagt denen, dass wir hier einen Toten haben und dass ich vor Ort bin. Die sollen ein paar Beamte und die Spurensicherung schicken. Ich gebe euch die Nummer.«

      Klaus, der Organisator der Wandergruppe, und Sandro machten sich auf den Weg. Sandro drehte sich noch mal um: »Wie heißt du, wegen des Telefonats?«

      »Pröve. Kriminalkommissar Sascha Pröve. Die von der Bereitschaft kennen mich.«

      »Und wir? Was machen wir?« Die dunkelblonde Frau, die das fragte, war diejenige, der Sascha so fasziniert hinterhergelaufen war. Ihr bewundernder Blick eben war ihm nicht entgangen. Sascha sah seine Chance, Eindruck zu machen, endgültig gekommen. Dafür, dass er sich als Neuer der Gruppe angeschlossen hatte, boten sich jetzt viele Möglichkeiten. Er räusperte sich.

      »Also, Zivilisten haben an einem Fundort eigentlich nichts zu suchen. Ihr könnt weitergehen oder hier warten, bis Sandro und Klaus zurück sind. Nachdem es aber mindestens eine Stunde dauern wird, bis die Kollegen aus Dresden kommen, könnte ich hier schon ein wenig Hilfe brauchen.«

      Er sah Melanie an.

      »Zum Beispiel wäre es toll, wenn jemand Fotos machen könnte und wenn einer von euch Papier und Stift hätte, um die Personalien des freundlichen Herren hier aufzunehmen. Ich habe nichts zum Schreiben dabei.« Er deutete auf den Wanderer, der die Leiche gefunden hatte. »Aber nur, wer sich das zutraut.«

      Natürlich war ihm klar, dass es Unsinn war, die Laien hier einzuspannen. Wahrscheinlich würde er sich von seinem Chef Richter und auch von Manni Tannhauser, dem Leiter der Spurensicherung, sogar einen Rüffel einhandeln. Anderseits machte es ihm außerordentlich großen Spaß, hier das Kommando zu übernehmen.

      Die Gruppe fügte sich sofort.

      Melanie holte eine kleine Kamera hervor. »Ich mache die Fotos und habe auch etwas zum Schreiben«, verkündete sie. Sascha nickte. Es war ihm sehr recht,