Tatort Kuhstall. Thea Lehmann

Читать онлайн.
Название Tatort Kuhstall
Автор произведения Thea Lehmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916107



Скачать книгу

hob den Kopf und sah ihn an: »Ja bitte?«

      Ihre riesigen Ohrringe klimperten bei jeder Bewegung.

      »Reisinger von der Kriminalpolizei Dresden. Könnte ich bitte den Chef sprechen?«

      »Sie meinen den Betriebsleiter, Herrn Johne?«, fragte sie und musterte ihn interessiert. Ihr Gesicht samt dick aufgetragenem Make-up hatte etwas Maskenhaftes. Sie zögerte kurz. »Oder unseren Inhaber, Herrn Dr. Schüppel? Den finden Sie drüben in seiner Villa, falls Sie mit ihm verabredet sind. Der Geschäftsführer, Herr Hesse, ist nicht da.«

      »Herrn Johne«, bestätigte Leo.

      Die Sekretärin führte ein kurzes Telefonat und bat Leo dann, in Johnes Büro nebenan zu warten. Der Raum war vollgestopft mit Schränken, einem grauen Schreibtisch und einem in die Jahre gekommenen Bürosessel. Vor dem mit Papieren überfüllten Schreibtisch stand ein einfacher Holzstuhl für Besucher, auf den sich Leo setzte. An den Wänden blieb sein Blick an sechs gerahmten Fotografien von exotischen Stränden hängen.

      Braungebrannt, dunkelhaarig und durchtrainiert stürmte André Johne zwei Minuten später schwungvoll durch die Tür in sein Büro und hielt Leo die Hand hin.

      »André Johne. Womit kann ich Ihnen helfen?«

      Er lächelte gewinnend und sprühte vor Energie.

      Leo holte seinen Polizeiausweis aus der Tasche. »Reisinger, Kriminalpolizei Dresden.«

      Johnes Lächeln verschwand augenblicklich.

      »Was, was führt Sie …, also … worum geht es?«

      Als wäre es mühsam, schleppte sich Johne die drei Schritte hinter seinen Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl sinken. Leo verfolgte diesen Stimmungswandel mit Interesse.

      »Dr. Stefan Schüppel wurde gestern tot aufgefunden«, sagte Leo.

      André Johne wurde blass.

      »Wie schrecklich«, sagte er tonlos.

      »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«

      Johne knetete seine Hände auf der Tischplatte und überlegte.

      »Der Chef kommt selten zu uns rüber, läuft ja auch alles rund hier. Also ich würde sagen …«, er sah Leo nicht an, »… vor drei Wochen.«

      Dann beugte er sich zur Seite und rief durch die offene Tür: »Denise, wann war Herr Dr. Schüppel das letzte Mal bei uns im Betrieb?«

      Leo schaute Johne interessiert ins Gesicht, aber der hob den Blick nur kurz, als es nach einigen Sekunden über den Flur schallte:

      »Am 25. Mai, zu Eberhards Geburtstag!«

      Johne nickte: »Danke!«

      Er saß immer noch zusammengesunken auf seinem Bürostuhl und mied Leos Blick. Der fand seine Reaktion merkwürdig. Dass er sich den Tod seines Chefs zu Herzen nahm, war verständlich, aber dass Johne plötzlich jedem Blickkontakt auswich, irritierte ihn.

      »Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Herrn Dr. Schüppel?«, fragte Leo.

      »Ja …, nein …, ich …« Johne straffte sich kurz und sah ihn nun doch an.

      »Eigentlich hat keiner der zehn Mitarbeiter hier ein Verhältnis zu Herrn Dr. Schüppel, der taucht ja nur alle Jubeljahre mal auf. Wenn er kommt, ist er freundlich und umgänglich, verschwindet dann aber schnell wieder in seinem Labor drüben. Er ist nicht gerade ein sozialer Mensch. Mit ihm kann man nicht mal eben einen Plausch über alte Zeiten halten oder übers Wetter. Verstehen Sie?«

      Johne knetete wieder seine Hände und starrte auf ein Strandfoto mit Palmen und türkisblauem Meer.

      »Gut. Gibt es jemanden, der ihn besser kannte?«

      Johne nickte, ohne ihn anzusehen.

      »Christian Hesse. Herr Hesse ist unser Geschäftsführer, die beiden haben gemeinsam studiert. Christian Hesse ist eigentlich der einzige Mensch, der Zugang zu Herrn Dr. Schüppel hatte. Glaube ich jedenfalls.«

      »Wo finde ich Herrn Hesse?«, wollte Leo wissen.

      Johne zog eine Visitenkarte aus der Schreibtischschublade und reichte sie Leo.

      »Meistens in Dresden, Telefonnummer steht drauf. Die Geschäftsführung der Waldgold GmbH macht er aber nur nebenbei, er hat noch eine eigene Firma, die Hesse Consulting. Den sehen wir hier auch nicht oft.« Der genervte, fast aggressive Unterton in Johnes Stimme war nicht zu überhören. Als Leo den Betriebsleiter fragend ansah, erntete er nur ein schmales Lächeln.

      Also erhob er sich, um wieder hinüber in die Villa zu Sandra zu gehen. Unter dem Türrahmen machte er kurz halt und drehte sich um.

      »Wie haben Sie den Samstag verbracht, Herr Johne?«

      Der sah ihn entgeistert an.

      »Vormittags bin ich achtzig Kilometer mit dem Rennrad gefahren, nachmittags habe ich mit meiner Freundin und einigen Kumpels in Pirna in der Schloss-Schänke gesessen und später den Sonnenuntergang beobachtet.«

      Leo seufzte. So konnte ein Wochenende auch aussehen.

      »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Johne alarmiert.

      Die beiden Frauen verließen gerade das Haus, als Leo zurück in den Garten kam und gedankenverloren die Beete mit den verschiedenen Farnen zählte. Sandra hatte schon das Telefon am Ohr, um die Polizeidienststelle in Pirna anzurufen:

      »… das Haus muss versiegelt werden. Der einzige Bewohner ist verstorben. … Nein, haben wir nicht, das Siegel müssten Sie mitbringen. Können Sie jemanden herschicken, bitte? Wir warten so lange.«

      Helene Petzold blieb abrupt stehen, als sie das Wort »versiegeln« hörte.

      »Sie sperren die Villa ab? Dann muss ich die Lebensmittel holen, die liegen noch im Einkaufskorb. Da ist Wurst, Milch und Käse drin, das kann nicht so stehen bleiben.«

      Leo nickte und öffnete ihr das Gartentor, während Sandra die Adresse durchgab: »Holen Sie die Sachen raus und verlassen Sie dann bitte das Haus, Frau Petzold!«

      Sandra legte auf.

      »Die sind in zehn Minuten da.«

      Leo wartete ab, bis Helene Petzold in der Villa verschwunden war.

      »Der Betriebsleiter, ein Herr Johne, hat ziemlich merkwürdig auf die Todesnachricht reagiert. Und er sagt, wir sollen mit dem Geschäftsführer Christian Hesse reden. Ich habe die Nummer.«

      »Die habe ich auch«, nickte Sandra, »und wir sollten prüfen, wie Herr Schüppel zum Kuhstall gekommen ist. Er fährt nämlich kein Auto. Frau Petzold sagt, er habe sich üblicherweise ein Taxi gerufen. Das müssen wir überprüfen. Außerdem fehlt Schüppels Gehstock. Er hatte immer einen Stock dabei, weil er hinkte. Wo ist der abgeblieben?«

      Leo sah sie erstaunt an.

      »Oha!«

      »Genau. Oha!«, bestätigte Sandra.

      »Was hat den Mann bewogen, sich mühsam an diese Stelle zu schleppen, und das auch noch ohne seine Gehhilfe?«

      Sie zückte wieder ihr Telefon: »Ich rufe Hesse an, du die Taxiunternehmen!«

      Schon bei der zweiten Nummer hatte Leo Erfolg.

      Als er sein Handy wegsteckte, hatte er erfahren, dass Stefan Schüppel am Samstagmorgen ein Taxi ins Kirnitzschtal bestellt hatte.

      Sandra sprach derweil mit jemanden aus dem Büro von Christian Hesse: »Könnten Sie ihm ausrichten, dass wir ihn morgen Vormittag sprechen möchten?«, fragte sie und gab Leo gleichzeitig ein Zeichen, dass er mal nach Helene Petzold sehen sollte, die immer noch im Haus war.

      So ging er durch den Garten zurück zur Haustür, die nur angelehnt war, drückte sie auf und rief laut nach Frau Petzold.

      Atemlos kam es aus dem ersten Stock: »Komme sofort! Bin gleich da.«

      Er