Malefizkrott. Christine Lehmann

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Название Malefizkrott
Автор произведения Christine Lehmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783867549509



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gelesen, weil die Frau von dem, wo das Spiel erfunden hat, Maier hieß der, glaube ich, zu ihm gesagt hat ›Du bist ein Malefiz‹, als er alle ihre Figuren rausgeworfen hatte. Das ist Latein … aber fragen Sie mich nicht … In Latein habe ich null Peilung.«

      Entzückend!

      »Von maleficus«, besserwusste Richard prompt, »übel handelnd, gottlos.«

      »Danke«, sagte Lola und schenkte Richard einen charmanten Blick. »Und Krott, das ist schwäbisch für Kröte. Sonst noch Fragen?«

      Nein, keine. Doch! Der erfolglose Lyriker streckte die Hand. Die beiden Frauen, die bereits nach den Schirmen am Boden gegriffen hatten, richteten sich wieder auf.

      »Ja, bitte«, sagte Durs Ursprung.

      In der Stille, kurz bevor der Mann genug Luft geholt hatte, ertönte oben im Laden leise das Bimmeln der Türglocke. Ruben Ursprung, der neben dem Treppenaufgang saß, erhob sich und stieg knielahm hinauf.

      »Was Sie uns vorgetragen haben, Frau Schrader …«, begann der schwarz gekleidete mutmaßliche Lyriker.

      Lola verbiss sich ein Grinsen. Sie war es offenbar noch nicht gewöhnt, mit Frau Schrader angeredet zu werden.

      »… klingt versiert, das ist gut geschrieben, Sie beherrschen die Grammatik …«

      »Danke schon mal. Denn was jetzt kommt, wird schätzungsweise weniger erfreulich.«

      Gelächter.

      Der Mann holte noch mal tief Luft. »Was man nicht von allen Ergüssen sagen kann, die man von Jugendlichen vornehmlich im Internet findet …«

      Du arroganter Leberkäs, dachte ich. Muss das sein? Das Mädel ist siebzehn!

      »… und die ich übrigens auch von Ihnen schon im Hippenblog gelesen habe.«

      Lola verzog peinlich berührt das Gesicht. »Jugendsünden!«

      Richard schnaubte väterlich amüsiert.

      Oben hörte man Ruben fluchen. Ein Bücherstapel flog um.

      »Und so muss die Frage erlaubt sein«, der schwarze Lyriker schaute gegen die Decke, »wo Sie das alles herhaben, was Sie uns da verkaufen als Erlebnisse siebzehnjähriger Schüler …«

      »Wie?« Lola sah aus, als hätte sie die Frage nicht verstanden.

      »Sie beschreiben hier, wie …«, setzte der Schwarze neu an.

      In diesem Moment ertönte oben ein Schrei. Die Türglocke bimmelte. Es rumpelte. Dann brüllte Ruben: »Feuer!« Es klang erstaunt. Dann panisch: »Feuer!«

      Wir sprangen auf, Lola griff nach ihrem Wasserglas. Der Vater kämpfte sich durch Stühle nach vorn und packte sie. Das Wasserglas fiel ihr aus der Hand. Durs sagte mit Panik in den Augen: »Ruhe bewahren!« Eine der beiden Frauen stolperte. Michel Schrader zerrte seine Tochter zur Treppe und schubste mich beiseite. Richard kümmerte sich um den Weißhaarigen und seine Frau, die am Stock ging.

      Bücher stürzten uns auf der Treppe entgegen. Hitze prallte auf uns herab. Der erfolglose Lyriker rutschte auf einem Buch aus und schlug der Länge nach hin. Ich hörte einen Knochen krachen. Da brannte die Wand hinter der Kassentheke bereits lichterloh und ungesunder Rauch sammelte sich unter der Decke.

      Richard kam zurück, rannte die Treppe hinunter, kam mit Durs Ursprung wieder herauf und zerrte ihn hinaus.

      »Stehen Sie auf!«, sagte ich zu dem Mann am Boden.

      »Ich kann das Bein nicht bewegen!«, stöhnte er.

      Jemand kam mir zu Hilfe. Gemeinsam zogen wir den Lyriker hoch, wobei er brüllte vor Schmerzen, und schleppten ihn mit baumelndem Bein zur Tür.

      Schon fielen die Flammen in die Bücherregale der Seitenwand ein, der Teppich qualmte zum Treppenabgang hinüber, die Holzplatte der Theke knallte und bog sich nach oben. Die gesamte zum Verkauf vorgesehene Lieferung Malefizkröten sprang in Sternschnuppen vom Tisch und verteilte Funken, noch röter und bissiger als das Cover. Sie zündelten die Büchertürme hinauf, während in den brennenden Regalen Buchrücken schmatzend vom Deckel platzten und sich wie Schillerlocken kringelten. Das Feuer flüsterte Thomas Mann, wisperte Marx und Grimmelshausen, rezitierte ein letztes Mal »En un lugar de la mancha«, »Habe nun, ach, Philosphie«, »Wer baute das siebentorige«, »da reist ich nach Deutschland hinüber« und »Das Vergangene ist nicht tot« und knisterte ein letztes Mal »Judenbuche«, »drei Guineen«, »Winnetou« und »Mr Darcy«, bevor es zum bösen Rauschen anschwoll, sich auf die Zeitschriften warf und konkret, Emma und Argument vernichtete. Dann waren die Kochbücher dran. Am längsten hielten die Regionalkrimis stand. Aber als das Schaufenster barst, fegte es sie nach draußen, wo sie wie Partyfackeln auf dem Fußweg in der noch lichten Julinacht liegen blieben und jedes für sich niederflackerten.

      Mein Helfer und ich zogen den Verletzten die Straße hinauf und legten ihn auf den regenfeuchten Fußweg. Die anderen hatten sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite versammelt.

      Als die Feuerwehr kam, war schon alles zu spät. Binnen Minuten war die Buchhandlung Durs Ursprung ein Raub der Flammen geworden.

      Der Buchhändler stand klein und still im Nieselregen, der seine Hemdschultern dunkelgrün färbte. Das Lächeln schien ihm eingewachsen in die Mimik, in seinen Augen stand Galle.

      »Da war einer im Laden! Es war Brandstiftung!«, erklärte Ruben Ursprung der Polizei. »Definitiv, es war jemand im Laden!«

      Die Türbimmel hatten wir alle gehört.

      Als er hinaufgekommen sei, habe er aber nur noch die Tür zuschwingen sehen, erzählte er immer wieder, auch als die Polizei schon lange nicht mehr zuhörte. Er habe auf die Straße geschaut und eine Gestalt gesehen, wie sie um die Ecke in die Christophstraße bog: Jeans, schwarze Lederjacke, Kapuze eines Hoodys überm Kopf. Er habe noch überlegt, ob er ihm nachlaufen solle. Ständig werde geklaut bei ihnen. Die Leute meinen, als linke Buchhändler müssten sie dafür Verständnis haben. In den Achtzigern habe es regelrechte Raubzüge bei ihnen gegeben. Studenten aus Tübingen und Frankfurt hätten mit den bei seinem Vater geklauten Büchern ihren Lebensunterhalt bestritten, er könne da Namen nennen, einige seien heute Politiker …

      Ich schaute Richard an. Auch er konnte Namen nennen, würde es aber niemals tun. »Was ist mit dem Verletzten?«, erkundigte er sich stattdessen leise.

      »Vermutlich Oberschenkelhalsbruch, nicht lebensbedrohlich.«

      Ich hatte ihm meine Lederjacke unter den Kopf geschoben. Als ich hochblickte, war der Helfer verschwunden und es gelang mir nicht, ihn wiederzuentdecken, weder im Grüppchen der Verschreckten auf der anderen Straßenseite noch unter den Schaulustigen, die vom Café Eberhard und aus den umliegenden Geschäften und Wohnungen gekommen waren. Außerdem bat mich der Verletzte um mein Handy, um seine Freundin anzurufen, denn seines war ihm aus der Hemdtasche gefallen und verbrannte im Laden. »Du, Schatzi, mir ist da was Dummes passiert.«

      Damit befand sich ihre Telefonnummer in meinem Besitz, und als die Sanitäter seinen Status abfragten – »Wann haben Sie zuletzt was gegessen?« –, erfuhr ich auch seinen Namen: Matthias Kern.

      Als ich zu den anderen stieß, erzählte Ruben zum dritten oder vierten Mal seine Geschichte: »Wie ich so an der Tür stehe, hat es hinter der Kassentheke eine Verpuffung gegeben. Eine Explosion. Und wie ich mich umdrehe, sehe ich eine Stichflamme. Ich sofort hin, aber da hat es schon richtig gebrannt. Ich mit dem Feuerlöscher drauf, aber da hat das halbe Regal schon gebrannt, und ich musste an die Gäste im Keller denken und sie warnen.«

      »Brandstiftung?«, fragte ich Richard, als wir gegen Mitternacht in seiner Limousine über die Stadtautobahn rollten. »Glauben wir das?«

      »Ich halte einen Kurzschluss für wahrscheinlicher«, antwortete er. »Wer weiß, was für einen Kabelsalat der hinter der Theke hatte.«

      »Außerdem