Название | Darky Green |
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Автор произведения | Adrian Plass |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783865067623 |
Aber warum? Diese Frage stellte ich mir unentwegt. Was sollte das alles? Warum waren sie in meinen Waggon gekommen? Warum hatten sie sich an meinen Tisch gesetzt, wo ihnen doch noch so viele andere zur Auswahl standen? Waren sie mir gefolgt? Hatten sie vor, mich auszurauben? Gehörte das alles zu irgendeinem ausgeklügelten Plan? Waren sie von jemandem angeheuert, der mich hasste oder etwas von mir wollte? Aber wie konnte so etwas sein? In meinem Leben gab es nichts, was so eine Vermutung wahrscheinlich gemacht hätte; zumindest nichts, was mir bewusst gewesen wäre.
Was hatten sie wohl als Nächstes vor? Wie lange würde ich hier sitzen und mich beherrschen müssen, um nicht sichtbar zu zittern, bevor ich herausfand, was sie im Schilde führten? Ich lehnte meinen Kopf an und schloss die Augen, wie ich es als Kind oft tat, wenn ich im Bett lag und mitten in der Nacht von schrecklichen Gedanken geängstigt wurde. Vielleicht döse ich ja ein, sagte ich mir, und schlafe den ganzen Weg bis London. Nicht, dass ich wirklich daran geglaubt hätte, aber erstaunlicherweise taumelte ich nach ein paar Minuten tatsächlich in einen unruhigen, flachen, narkotischen Schlaf. Frieden brachte er mir allerdings nicht, was an den merkwürdigen Ereignissen in dem Traum lag, der dann folgte. Er war so grellbunt wie der Umschlag eines alten Kriminalromans.
Ich weiß, im Großen und Ganzen sind die Träume anderer Leute genauso notorisch langweilig wie die siegreichen Romméblätter anderer Leute, aber ich werde Dir trotzdem von meinem erzählen. In meinem Traum saß ich in einem gewöhnlichen, sonnendurchfluteten Wohnzimmer, hell und licht und in klaren, reinen Farben dekoriert. Wo ich war, wusste ich nicht; nur, dass ich mich dort befand, weil es etwas sehr Wichtiges zu tun gab. Ich musste mich um irgendetwas kümmern. Aber um wen oder was? Plötzlich wurde es mir bewusst. Natürlich! Wie hatte ich das vergessen können? Da war ein Baby. Ein Baby lag fest schlafend da drüben in der Wiege hinter dem Sofa. Darum ging es also. Man hatte mir ein kleines, zerbrechliches Baby anvertraut, und ich entdeckte in mir eine grimmige Entschlossenheit, meiner Aufgabe aufs Gewissenhafteste gerecht zu werden, welche Gefahren auch immer drohen mochten. Dieses unendlich wichtige kleine Lebewesen da drüben würde bei mir in Sicherheit sein. Dafür würde ich sorgen.
Dann schien ganz plötzlich ein Schatten über das ganze Zimmer zu fallen, ein finsterer Vorhang der Traurigkeit und des drohenden Unheils. Entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund. Oh nein – ich hatte etwas vergessen. Irgendetwas ganz Entscheidendes hatte ich übersehen, eine Gefahr hier in diesem Zimmer, die das Leben meines kleinen Schützlings bedrohen würde, wenn ich nicht sofort handelte. Eine schreckliche Katastrophe rollte auf das neue Leben in jener Wiege zu, und ich musste dringend dahinterkommen, was es war, das ich versäumt hatte, um es zu beschützen. Aber ich kam einfach nicht darauf. Ich überprüfte die Tür. Verriegelt. Ich öffnete einen Hängeschrank an der Wand. Nichts darin, was gefährlich werden konnte. Schließlich drehte ich mich wie ein Kreisel in der Mitte des Zimmers und malte mir voller Panik aus, dass binnen Sekunden dieser unerkannte Unheilsbringer sich mein Versäumnis zunutze machen würde. Aber was in aller Welt …?
Ah! Das war es! Das Fenster! Das Fenster! Ich hatte das Fenster hinter dem Sofa vergessen. Es stand weit offen. Aber es war noch Zeit – es war doch sicher noch Zeit. Es würde nur Sekunden dauern, das Zimmer zu durchqueren und das Fenster zu schließen. Also los. Ich musste jetzt wirklich los. Ich musste meinen Fuß heben und nach vorn schwingen, um den ersten Schritt in diese Richtung zu tun. Mein Fuß und mein Bein fühlten sich unendlich schwer an, aber ich hatte keine Wahl. Ich musste dieses Fenster schließen!
Genau in dem Moment, als meine gelähmten Gliedmaßen plötzlich befreit waren, verdunkelte sich das Zimmer und etwas Lebendiges, Geschmeidiges füllte den Fensterrahmen aus, muskulös und schwer, aber gewandt auf dem Fensterbrett balancierend. Im nächsten Moment war die gelb-schwarze, sehnige Gestalt eines Leoparden über der Wiege. Der Kopf schoss hinab und tauchte mit dem Baby wieder auf, das nun nackt in seinen Zähnen hing. Nur einen einzigen, kläglich wimmernden Schrei stieß das hilflose kleine Ding aus. Bis ich am Fenster war und mich hinauslehnte, um in den dunklen Garten zu spähen, war nichts mehr zu sehen. Mit tränennassem Gesicht hob ich die Hand von der Fensterbank und starrte voll Grauen auf das klebrige Rot, das meine Finger und meine Handfläche bedeckte. Ein schreckliches, unverzeihliches Versagen. Ein entsetzlicher Verlust. Es war ein wichtiges Baby gewesen, ein unendlich wichtiges Baby.
Ich glaube, ich muss wohl einen kleinen unterdrückten Aufschrei von mir gegeben haben, als ich aufwachte. Der Leopard und das verlorene Baby waren nur ein beunruhigender Traum gewesen. Aber damit war ich nur aus einem meiner Albträume erwacht. Die drei Männer, die an meinem Tisch saßen, waren keine Albtraumgestalten. Sie waren beunruhigend real. Nichts hatte sich verändert, soweit ich sehen konnte. Keiner der drei schaute mich auch nur an. Was, fragte ich mich, würde wohl geschehen, wenn ich halb aufstehen und zu Mr. Pomade zu meiner Linken »Entschuldigen Sie mich« sagen würde? Würde er dann grunzend seine gewichtige Gestalt emporhieven und seinen Platz räumen, um mich hinaus auf den Gang zu lassen, sodass ich in die verlockende Geborgenheit der zweiten Klasse entkommen und mich in der Ecke einer doppelt verriegelten Toilette verstecken könnte? Vielleicht. Vielleicht würde aber auch der andere, der Lächler, mir folgen, wenn ich das täte, würde gemächlich, ohne jede Hast, durch den Zug schlendern und genau wissen, dass er mich, wo immer ich mich auch verstecken mochte, irgendwie aufspüren und mühelos meine Wirbelsäule verknoten oder mich durch ein Fenster auf die Gleise werfen würde.
Der Schaffner erschien. War das vielleicht meine Chance? Schließlich trug der Mann eine Uniform. War dieser Vertreter der Obrigkeit in der Lage, mich vor dem grauenhaften Schicksal zu erretten, das mich erwartete? Der Schaffner war ein kleiner, schmächtiger, liebenswürdiger Mann, unter dessen Uniformmütze graue Haarbüschel hervorlugten. Er nannte uns alle »Herrschaften«. Der Mann, der mir gegenübersaß, pflückte ein paar Geldscheine aus einem dicken Bündel und bezahlte damit den Aufpreis für die erste Klasse und der Schaffner entschuldigte sich bei ihm dafür, dass er ihm das Wechselgeld nur in Ein-Pfund-Münzen geben konnte. Die Chance, dass dieser freundliche Zeitgenosse den Männern an meinem Tisch mit irgendwelcher Autorität begegnen konnte, war äußerst gering. Meine Hoffnung und meine Willenskraft lösten sich in Nichts auf. Ich sagte nichts und er ging weiter.
Eine Stunde später hatte sich nichts verändert. Du ahnst nicht, was für eine lange Zeit eine Stunde sein kann, Lance. Doch in mir war der Same einer winzigen Hoffnung aufgekeimt. Angenommen, ich hatte alles völlig falsch aufgefasst. Angenommen zum Beispiel, diese Männer waren es nicht gewohnt, erster Klasse zu fahren, hatten es vielleicht noch nie zuvor getan, und waren, als sie mich sahen, aus irgendeinem Grund davon ausgegangen, man müsste erst einmal den Tisch auffüllen, bevor man einen neuen besetzte. Es bestand doch die entfernte Möglichkeit, dass nur so eine lächerliche, simple und harmlose Kleinigkeit hinter alledem steckte. Oder? Die Leute kommen doch ständig auf die komischsten Ideen. Angenommen, ich würde den Mann gegenüber von mir einfach mal ansprechen? Könnte es nicht sein, dass sein Gesicht sich völlig unerwartet zu einem Lächeln verziehen und dass seine Antwort all meine Befürchtungen zerstreuen würde? Wie herrlich, wenn es sich so herausstellen würde! Ich war tatsächlich drauf und dran, etwas zu sagen, aber gerade als ich den Mund aufmachte und das erste Wort meines Satzes aussprechen wollte, fiel mein Blick auf das Lächeln des Mannes, der mir schräg gegenübersaß, und ich wusste mit zweifelsfreier Klarheit, dass zumindest er auf keinen Fall so naiv war.
Oh, Lance, es war nicht nur die Angst, unter der ich litt, während die Reise ihren Lauf nahm. Es war auch die Demütigung. Die müssen doch gewusst haben, dass ich wusste, dass sie wussten, dass es unerhört und grotesk von ihnen war, dass sie mich so bedrängten und mir eine Todesangst einjagten. Und ich ließ es mir gefallen. In meiner Jämmerlichkeit ließ ich mich auf die Fiktion ein, es wäre vollkommen nachvollziehbar, dass ein Trio von Männern, die aussahen wie Mörder, es darauf anlegte, durch dieses seltsame Verhalten mein Herz zum Stillstand zu bringen.
Wenn ich die völlig absurde Natur der Situation zur Sprache brachte, konnte es gut sein, dass ich damit den Gewaltausbruch provozierte, vor dem ich mich so sehr fürchtete und der früher oder später wahrscheinlich sowieso kommen würde. Ich saß reglos da wie festgefroren und sagte gar nichts.
Noch eine halbe Stunde Fahrt lag vor mir. Noch einmal zermarterte ich mir das Hirn und versuchte irgendeinen Hinweis zu finden, warum mir das alles widerfuhr. Es musste doch einen Grund geben.