Название | Mein Jakobsweg durch Israel – Wanderungen durch das Heilige Land |
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Автор произведения | Bodo Scholz |
Жанр | Книги о Путешествиях |
Серия | |
Издательство | Книги о Путешествиях |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961450701 |
Wir besuchten im ländlichen Kalifornien den Sonntagsgottesdienst einer kleinen christlichen freien Gemeinde. Einzelne Gemeindemitglieder erzählten von Angehörigen, die krank oder bei der Armee im Auslandseinsatz waren. Am Ende gedachte die ganze Gemeinde derer und hoffte auf Gottes Hilfe. Das war also ähnlich.
Nun ist es 12:35 Uhr, ab geht’s ins Quartier zum Mittagsschläfchen. Ab 13:00 Uhr kann ich rein. Ich hoffe, ich finde nach ein bis zwei Stunden Ruhe wieder raus aus dem Bett, um abends zur normalen Schlafenszeit die nötige Bettschwere wieder zu haben.
Ich habe jetzt schon die Schnauze voll. Das Quartier hat mir den Rest gegeben. Ich klingelte an der Tür des Hostels. Ein sehr grimmig dreinschauender, dünner, ungefähr 60jähriger Jude mit Kippa öffnete mir mit einem wütenden Murren. Ich sagte, dass ich gebucht hätte, zeigte auf meinen Rucksack in der Ecke. Er fluchte nochmals hebräisch, deutete an, dass ich meinen Rucksack nehmen und abhauen solle und ging in ein Zimmer. Ich dachte, er wäre der Eigentümer des Hostels und ich hätte gerade die Schabbatruhe gestört. Der palästinensische Hotelangestellte, bei dem ich in der Nacht eincheckte war nicht da. Ich schnappte meinen Rucksack und öffnete mit dem mir bekannten Code 555 die andere Eingangstür des Hostels in der Hoffnung, Personal zu finden, das mir mein Bett zuweist. Drinnen bezog in einem Zimmer eine schwarze Putzfrau Betten. Sie sprach kein Englisch. Im ganzen Haus traf ich keinen anderen Menschen an.
Draußen setzte ich mich erst mal auf die Bank und rauchte eine. Schöne Scheiße, ich wollte endlich das Quartier beziehen, schlafen und jetzt das. Die Schabbatruhe des vermeintlichen jüdischen Besitzers wollte ich aber auch nicht stören. Trotzdem: die müssen doch eine Macke haben, schließlich habe ich bezahlt!
Entschlossen betrat ich das Hostel erneut, zeigte der schwarzen Putzfrau den Beleg, dass ich bezahlt habe und sagte ihr laut, dass sie jetzt jemand rufen solle, der englisch spricht. Ein Handy lag auf dem Tisch, das reichte ich ihr. Sie fluchte noch etwas in irgendeiner Sprache, ich fluchte zurück, dann erschien endlich der palästinensische Rezeptionist von der Nacht und zeigte mir mein Bett in einem kleinen Zimmer mit vier Doppelstockbetten. Ich könne eines der freien Betten nehmen, er gab mir noch ein frisches Handtuch. Haken zum Aufhängen von Klamotten gab es keine, zum Glück war der Platz an der Wand für meinen Rucksack frei. Ein russischer Mitbewohner kam aus der Dusche. Der sprach auch kein Englisch und schaute ernst drein.
Ich machte mich oberflächlich frisch, stopfte mein Portemonnaie in meinen Brustbeutel. Ich wollte mich nicht im Schlaf an meinem Brustbeutel strangulieren und legte den Brustbeutel heimlich unter das Kopfkissen. Wenn ich im Tiefschlaf bin, könnte das Ding doch jemand klauen. Vertrauenserweckend war mir das Quartier nicht. Obwohl ich genug Geld für ein Hotel hätte, buchte ich ein einfaches Hostel mit Acht-Mann-Schlafsaal. Alpenwanderer kennen das auch von den Wanderhütten. Ich zeltete in meinem Leben schon häufig. Im Urlaub brauche ich ein Bett, eine Dusche und halbwegs akzeptable hygienische Verhältnisse. Ich hatte auch die Hoffnung, dass ich mit Mitmenschen in einem Schlafsaal eher in das Gespräch komme, als wenn ich einsam in meinem teuren Hotelzimmer hocke. War mein Geiz doch falsch? Vielleicht ziehe ich morgen in ein Hotel und pfeife auf das gegebene Geld für die vier Nächte in dieser Herberge.
Der Russe wurschtelte an seinem Kram. Ich konnte nicht einschlafen. An mir klebte etwas Schweiß. Nicht das mein frisches Bett dann auch klebt. Ein bisschen Staub toleriere ich gut, klebriges Zeug ist mir ein Gräuel. Ich stand auf, duschte mich, wusch nebenbei die Socken und das Hemd, zog unterhalb des Bettes über mir zwei Wäscheleinen, hing meine Wäsche daran auf. Vier Wäscheklammern und eine Strippe hatte ich mitgebracht.
In einfachen Pensionen in Deutschland, Österreich, Holland, Großbritannien habe ich mich immer wohl gefühlt, was ich von diesem Hostel nicht sagen kann.
Tel Aviv, 26.4.15
Mein lieber BV,
über alle Belanglosigkeiten will ich dir nicht schreiben. Ich glaube, manchmal habe ich abartige Gedanken. Die kann ich dir ja mitteilen. Schließlich haben wir beide ja das Beichtgeheimnis vereinbart. Ich will das Tagebuch zumindest im Familien- und Bekanntenkreis später veröffentlichen. Alle Beichten werde ich in diese Version sicher nicht reinnehmen.
Ich denke, viele Menschen meinen, einige ihrer eigenen Gedanken seien abartig. „Die Gedanken sind frei“ heißt es in dem bekannten deutschen Volkslied. In den Gesprächsrunden der psychosomatischen Rehabilitation bekommen dann einige mit, dass ihre Gedanken gar nicht so abartig sind. Andere haben ähnliche Gedanken.
Ich bin heute wesentlich besser drauf als gestern Nachmittag. Gut ausgeschlafen und ein klarer Plan: den Stadtrundgang durch Tel Aviv nach Reiseführer werde ich heute zu Ende führen.
So übel ist das Quartier nicht. Es ist sauber. Wenn man sich schnellstens aufrafft und sein persönliches System in dieser Wirtschaft gefunden hat, geht es. Einige Hostelgäste grüßen mich nett. Es ist ein kleines Hostel mit ungefähr 20 Gästen.
Der palästinensische Rezeptionist erzählte mir, dass der fluchende Jude ein ganz normaler Gast aus Frankreich ist, er ist schon einen Monat hier. Und ich hielt ihn für den Besitzer dieses Hostels! Das Zimmer, in das er bei meiner Ankunft ging, nachdem er ausgeflucht hatte, war ein Klo des Hostels. Die Zimmertür ist hebräisch beschriftet, was ich nicht lesen kann.
Ich dachte, der religiöse jüdische Hostelbesitzer versuchte, seinen nun durch einen Deutschen halbversauten Schabbat weiter im Wohnzimmer zu genießen. Dabei musste der französische Gast nur mal zur Notdurft.
Vielleicht hat er wie andere Juden das zunehmend antisemitische Frankreich verlassen und will sich hier eine neue Existenz aufbauen. Vielleicht hat er gehört, dass der Rucksack in der Ecke einem Deutschen gehört, der im Laufe des Schabbat einziehen wird. Ich kann verstehen, dass dieser Mann in seiner möglichen Situation die Deutschen nicht mag.
Was ist denn seine mögliche Situation? Mit mir spricht er nicht, ich kann nur vermuten: Die Deutschen haben vielleicht gar alle seine Vorfahren umgebracht. Jetzt wird es mit dem Antisemitismus in Frankreich wieder schlimmer. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo" war nur der Gipfel der Attacken. Dieser französische Jude entschied für sich, dass er seine geliebte französische Heimat verlassen muss. Wiederholt sich die ganze grausame Geschichte des Holocaust? Und da kommt dieser ungläubige Deutsche mitten in der Schabbatruhe daher! Nach diesen Gedanken kann ich den Mann besser verstehen.
Ich erinnere mich an das letzte Jahre meines Medizinstudiums. Angehende Ärzte arbeiten in ihrem letzten Studienjahr im Krankenhaus. Es ist ihr Praktisches Jahr (PJ). Die PJler agieren schon als halbe Ärzte, untersuchen Patienten, assistieren bei Operationen, legen Infusionen. Als ich PJler war, konnte eine gestandene Ärztin für Anästhesie mich offenbar nicht leiden. Sie stichelte laufend gegen mich, erwiderte kaum mein „Guten Morgen“. Warum ihr meine Nase nicht passte, wusste ich nicht. Ich erzählte meinem besten Studienfreund Thomas davon.
Er daraufhin: „Weißt du, ich denke, diese Frau hatte eine sehr große Liebe. Diese große Liebe ging dann leider zu Ende. Der Typ, der diese große Liebe war, sah dir sehr ähnlich. Wenn sie dich sieht, wird sie immer wieder daran erinnert.“
Plötzlich konnte ich diese Frau viel besser verstehen.
Solche, wenn auch konstruierten Geschichten helfen mir, unsympathische Mitmenschen zu verstehen und eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen. Manchmal werden sich Intimfeinde gar sympathisch. Auch das erlebte ich schon in meinem 51jährigen Leben.
So versuche ich jetzt auch den französischen Juden zu verstehen, grüsse ihn mit „Schalom“, auch wenn er nicht zurückgrüßt.
Im Hostel sind noch zwei ungefähr 25jährige dunkelhaarige Kerle, die mich auch nicht grüßen. Ich weiß nicht, woher sie sind, sie könnten Juden oder Araber sein. Da ich