Crescendo bis Fortissimo. Manfred Eisner

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Название Crescendo bis Fortissimo
Автор произведения Manfred Eisner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783957444363



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sehr liebt und ihm immer die Stange hielt, als die ganze Familie gegen ihn war.

       Als nach all diesen aufregenden Ereignissen Heiko und ich endlich allein gelassen wurden und wir uns einen langen, innigen Verlobungskuss gegeben hatten, fragte ich ihn trotz meiner Atemnot, wie er es denn geschafft hätte, den Papa so rasch herumzukriegen. Darauf hat er nur gelacht und gesagt, ich würde es später schon noch erfahren. Das Wichtigste sei doch, dass dieser letztendlich zugestimmt habe. Ich gab ihm recht und fragte nicht weiter.

      Wieder blättert Clarissa einige Seiten weiter.

       Heute zeigte mir Heiko Onkel Suhls letzten Brief an ihn, den ihm Notar Dr. Looft nach der Testamentseröffnung überreichte. Wahrscheinlich war es auch der einzige Brief, den er je von Onkel Suhl empfangen hat. Durch diesen ist mir alles klar geworden. Ich erfuhr die wahren Gründe, die Onkel Suhl zu seinem Entschluss bewogen haben, sein Haus und Vermögen Heiko zu hinterlassen.

       Trotz meines früheren Widerstrebens erkenne auch ich heute leider die Tatsache an, dass die Familie, aber vor allem der Papa und Onkel Johann, nur in den grandiosen Träumen ihrer Vergangenheit schwelgt. Sie sind deswegen absolut unfähig, sich den Tatsachen ihrer hoffnungslosen finanziellen Lage zu stellen. Sie rühren keinen Finger und sind auch nicht bereit zu arbeiten. Sie glauben immer noch, ihnen stünde es einfach zu, dass andere für sie zu sorgen hätten. Auch Onkel Suhl sprach dies voller Bedauern sehr deutlich in seinem Brief aus und begründete damit seine Entscheidung zugunsten Heikos.

       Da er selbst keine Familie und somit auch keine Nachkommen hatte, machten sich die Mitglieder unserer Familie ziemliche Hoffnungen, ihn nach seinem Tode zu beerben. Da aber Onkel Suhl sehr klar voraussehen konnte, dass das Erbe früher oder später den gleichen Weg wie das bereits zerronnene Habe der von Steinbergs gehen würde, ersann der listige Alte einen Umweg, um uns wenigstens in einen Teilgenuss seines Besitzes kommen zu lassen, ohne dass der Familie ein direkter Zugriff auf dessen Substanz ermöglicht werde.

       Der an Heiko gerichtete Brief enthielt neben allgemeinen Ratschlägen für die Anlage der Güter einige Bitten. Die vordringlichste war, er möge die Hypothek auf das Herrenhaus ablösen, um dessen Verlust abzuwenden, da sonst die gesamte Familie von Steinberg auf der Straße stünde.

       Als ich Heiko fragte, ob er derjenige gewesen sei, der den Rembowskis die Hypothek abgekauft hätte, bejahte er mit einem frechen Grinsen. Auch ich musste darüber lachen, konnte ich mir doch jetzt Papas Entsetzen vorstellen, als er es an jenem Tage erfuhr, als Heiko uns besuchte und um meine Hand anhielt. Lächelnd sagte ich zum Deichkater: „Du mieser Schuft, so hast Du also den Papa um die Herausgabe der Tochter erpresst, nicht wahr?“ Heiko umarmte mich laut lachend und erwiderte, ich solle ihm dies nicht allzu sehr übel nehmen, es sei doch nur eine winzig kleine, süße Rache gewesen für all jene Erniedrigungen und Bosheiten, die er in seiner Kindheit und auch noch später von dem Papa und dem Rest der Familie über sich hätte ergehen lassen müssen. Zudem könne nunmehr die Familie von Steinberg auch weiterhin im Herrenhaus frei wohnen. Hätte er dies nicht getan, wäre unser Heim mit Sicherheit für immer verloren gegangen. Gern und auch mit tiefem Dank gab ich dem Deichkater hierfür recht.

       Des Weiteren empfahl Onkel Suhl in seinem Brief, dass Heiko in seinem Haus wohnen und es in seinem Besitz erhalten möge. Ich musste sehr stutzen, als ich den Satz las: „Du wirst sicherlich bald ein Heim benötigen, um jemanden (den wir beide sehr gut kennen und der uns teuer ist) dorthin zu führen. Ich spreche Euch beiden meinen innigsten Segen aus.“ Hatte etwa Onkel Suhl bereits alles geahnt, bevor wir uns selbst darüber im Klaren waren? Seltsam! Als ich Heiko darauf ansprach, nickte er nur. Danach sagte er mir, er wolle das Haus umbauen und modernisieren lassen. Sein letzter Satz gefiel mir am besten: „Sobald alles fertig ist, heiraten wir!“

       Besonders schmunzeln musste ich über eine weitere, eindringliche Bitte, die Onkel Suhl an Heiko gerichtet hatte:

       Sollte dieser nämlich irgendwelche „Besonderheiten“ an seinem Teleskop oder an anderen Gegenständen der Hinterlassenschaft entdecken, möge er diese Entdeckungen unbedingt für sich behalten und niemandem verraten. Natürlich konnte Onkel Suhl nicht ahnen, dass Heiko und ich bereits kurz nach seinem Tode im Arbeitszimmer herumstöbern würden. Dabei hatten wir sein falsches Teleskop mit den von ihm speziell präparierten Abbildungen von Mond, Sonne und Sternen entlarvt. Damit hatte er uns schon als Kinder genauso hereingelegt, wie er die Bürger von Oldenmoor hinters Licht führte. Er hatte sich dadurch einen Ruf als bedeutender Astronom und Gelehrter geschaffen und wollte nun (auch nach seinem Tode) nicht bloßgestellt werden.

       Nur Heiko hatte damals instinktiv den Alten durchschaut. In seinem Abschiedsbrief zollte daher Onkel Suhl Heiko seinen Respekt und Dank dafür, dass dieser es zwar gewusst, aber nie darüber gesprochen habe. Armer Onkel Suhl! Du brauchst Dich nicht zu fürchten. Weder der Deichkater noch ich werden davon jemals ein Sterbenswörtchen verraten. Dieses Geheimnis bleibt zwischen uns dreien!

      Ein Lächeln auf Clarissas Lippen verrät, dass sie auch heute noch über die Schelmereien Onkel Suhls amüsiert ist. In der Stadt hält man ihn immer noch in ehrenvollem Andenken. Der Papa hat vor Kurzem bemerkt, dass es sehr schade sei, dass es unter der heutigen Jugend Oldenmoors anscheinend keinen würdigen Nachfolger mit dem Wissen und der Weisheit Onkel Suhls gäbe.

      Elf dumpfe Schläge der Standuhr im Wohnzimmer bringen Clarissa abrupt in die Gegenwart zurück. Sie steht auf, legt die Tagebücher in das sichere Versteck und eilt in die Küche, um für das Mittagessen zu sorgen.

       3. Crescendo1

      „Heil Hitler!“

      Der mittelgroße, schlanke Mann mit blassem Gesicht und traurigem Ausdruck in den braunen Augen fährt mit einer knochigen Hand durch das schüttere Haar. Von seinem Schreibtisch aus blickt er mit Sorge und verunsichert auf die hünenhafte, in der braunen Parteiuniform gekleidete Gestalt, die sich am Türrahmen seines Arbeitszimmers zeigt und deren rechter Arm stramm in die Höhe ragt.

      Mit der schwachen Andeutung eines „deutschen Gegengrußes“ und ein hastig heruntergemurmeltes „...tler!“ steht er rasch auf und geht auf den Besucher zu. „Treten Sie doch näher, Herr Ortsgruppenleiter. Was verschafft mir die Ehre?“

      „Na ja, Herr Dr. Struwe, da ist etwas von besonderer Wichtigkeit, über das ich meine, mit Ihnen sprechen zu müssen.“

      Dr. Struwe schluckt. Er ist nach dieser Eröffnung nicht gerade beruhigt. Unsicher blickt er in das großflächige Gesicht mit der hohen Stirn und den eiskalten, glasig blauen Augen, die ihn durch die runden Gläser, die von einer sehr dünnen, schwarzen Brillenfassung gehalten werden, höhnisch ansehen.

      „Ist es etwas Privates oder bin ich in meiner Eigenschaft als Amtsrichter gefragt?“

      „Nun, lieber Struwe, kein Grund zur Besorgnis“, versichert ihm der Besucher mit einem schwach angedeuteten Lächeln. „Gewissermaßen trifft wohl beides zu. Können wir uns nicht setzen?“

      „Aber selbstverständlich, Herr Straßner. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nicht schon gleich einen Stuhl angeboten habe. Ich ...“

      „Aber warum denn so förmlich, lieber Struwe. Wir sind doch Freunde und Parteigenossen. Nun machen Sie sich bloß keine Sorgen, ich meine wegen meines unangemeldeten Erscheinens. Ich wollte nur mit Ihnen einige Gedanken austauschen, das ist alles.“

      Die beiden Männer sind hinüber zum Schreibtisch gegangen und sitzen sich jetzt gegenüber.

      „Nun gut. Worum handelt es sich?“

      „Sie müssen mich über einige Einzelheiten aufklären, mein lieber Struwe, bevor ich Ihnen alles erzähle. Sie kennen doch – oder besser, so habe ich mir sagen lassen, Sie kannten – eine gewisse Frau Clarissa Keller, damals ein Fräulein von Steinberg, nicht wahr?“

      Das blasse Gesicht des Amtsrichters wird noch blasser. Seine Haut wirkt fast durchsichtig und es bilden sich Schweißperlen an seinem Haaransatz.