Название | Mord auf der Messe |
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Автор произведения | Uwe Schimunek |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955520540 |
«Was willst du auf dieser Messe, Genosse? Reicht es nicht, wenn die Wirtschaftsredaktion von diesem Auflauf der Kapitalisten berichtet?» Leistner lehnte im Sessel hinter seinem Schreibtisch. Der Qualm der Tabakspfeife folgte seinen Worten und gab dem Gesagten etwas Bedrohliches.
Katzmann kratzte sich an der Stirn. Leistner sprang, seit er Chefredakteur war, immer wieder über seinen Schatten. Das musste Katzmann anerkennen. Die Leipziger Volkszeitung hatte inzwischen einen ernstzunehmenden Wirtschaftsteil, jeden Tag gab es Sportberichte, und sogar der Platz für einen Fortsetzungsroman war geschaffen worden – derzeit bekamen die LVZ Leser Die Metropole von Upton Sinclair mit der Zeitung auf den Tisch. Eugen Leistner tat Gutes, es fiel ihm nur manchmal schwer.
Katzmann sagte: «Aber Eugen, geh mal da raus! Es gibt Unmengen von Menschen, und klar sind da die Bonzen. Aber du weißt doch auch, dass Angestellte, Arbeiter und ganze Familien in die Stadt pilgern. Alle gucken sich den Messetrubel an.»
«Genosse Konrad, du darfst nicht den Blick für die Zusammenhänge verlieren. Es ist Krise – und was machen die Kapitalisten? Sie entlassen die Arbeiter in den Fabriken und geben das Geld für Reklame aus. Ist das richtig?» Leistner zog an seiner Pfeife. Bevor Katzmann antworten konnte, fuhr er fort: «Nein, sage ich. Und weißt du, warum? Weil die Kapitalisten nie das Große und Ganze sehen. Wer soll die Waren denn kaufen, wenn immer weniger Menschen eine volle Lohntüte nach Hause bringen?»
Katzmann musste zugeben, dass diese Argumentation eine gewisse Stringenz hatte. Er kannte sie aus einem Artikel in der Samstags- LVZ. Deswegen hatte er schon einen ganzen Tag Zeit gehabt, nach der Lücke zu suchen. «Zum Beispiel können die Waren exportiert werden. Einer dieser Kapitalisten hat mir gerade erzählt, dass in diesem Jahr der Anteil der Ausländer unter den Messebesuchern steigen wird.»
Leistner paffte. Eine Wolke zog vor seiner Stirn nach oben und zeichnete die Falten über den Augenbrauen weich. «Und dann, Genosse Konrad? Was passiert dann? Dann verlieren die Arbeiter in Frankreich und Polen ihre Arbeit. Dafür wird das Heer der deutschen Arbeitslosen vielleicht etwas kleiner. Aber weil so viele Menschen auf die wenigen offenen Stellen hoffen, wird es weniger Lohn geben und weniger Rechte für die Arbeiter. Wir haben also Arbeitslose im Ausland und Entrechtete in Deutschland. Das kann doch nicht die Lösung sein!»
In Leistners Welt glich der Kapitalismus einer Decke, die immer zu kurz war, an welchem Ende man auch zog. Katzmann behielt den Gedanken für sich, weil er nicht die Nacht bei einer Diskussion in der Redaktion verbringen wollte. Er beschloss, bei nächster Gelegenheit mit Eggebrecht darüber zu sprechen. Der war als freier Photograph schließlich so eine Art Kleinkapitalist.
Katzmann wechselte das Thema. «Was wird eigentlich morgen die Titelgeschichte?»
«Das Volksbegehren zur Fürstenentschädigung natürlich! Ich sitze gerade an dem Artikel.»
So etwas hatte Katzmann befürchtet. Im Herzen der Stadt strömte das Volk zum Ereignis des Jahres, und Leistner bereitete einen seiner berüchtigten Aufsätze über etwas ganz anderes vor.
«Ich werde zuerst ein paar theoretische Grundlagen ausführen und dann mit feurigen Worten zur Teilnahme am Volksbegehren aufrufen. Zum Schluss werde ich zeigen, welche Ungerechtigkeit die Entschädigung bedeutet …»
Theoretische Grundlagen, feurige Aufrufe – Katzmann lief ein Schauer über den Rücken. Wie konnte er den Chef vor dem Schlimmsten bewahren? Und die Leser natürlich auch?
«Schau, Genosse Konrad, ich habe eine Liste anfertigen lassen. Wilhelm II. soll 600 000 Reichsmark im Jahr bekommen, ein Arbeitsloser mit Familie 750. Das ist doch zum Schreien!»
Katzmann nahm den Zettel. Die Zahlen waren beeindruckend. Selbst ein pensionierter General stand bei 18 000 Reichsmark, ein dreißigprozentiger Kriegsversehrter ganz am Ende der Liste bei ganzen 100 Mark. «Das ist eine Frechheit. Da hast du recht, Eugen. Sollte das nicht ganz vorn stehen?»
«Aber Genosse Konrad, ich kann doch meine Zeitung nicht mit einer Tabelle aufmachen! Das sieht doch aus, als hätte ich aus Versehen die Börsenberichte auf Seite eins gedruckt.»
Hm, da war was dran. Doch mit einer guten Überschrift und einem kurzen, aber starken Text, der zur Liste führte … Katzmann guckte noch einmal auf die Liste, überlegte und fragte dann: «Eugen, was macht eigentlich 750 geteilt durch 365?»
«Was?»
«Ich meine, was bekommt ein Arbeitsloser am Tag?»
«Ah …» Leistner nickte, paffte. Er nahm einen Stift und rechnete. «Zwei Mark Fuffzig … Warte mal …» Die Qualmwolken wurden dichter. «1670 Mark bekommt der alte Kaiser nach Doorn.»
Der Kaiser in seinem holländischen Exil, wohin er kurz vor Kriegsende getürmt war … Daraus musste sich doch was machen lassen. Katzmann schaute noch einmal auf die Liste, rechnete.
«Guck mal, Eugen. Du machst eine Überschrift: Die Rentenempfänger der Republik – und dann schreibst du die empörendsten Fakten auf …» Katzmann zögerte kurz, rechnete im Kopf weiter und sagte dann: « 1640 Goldmark täglich für den gesunden Deserteur in Doorn – 27 Goldpfennig für den dreißigprozentigen Kriegsverletzten. Das ist der Einstieg, und dann wird man auch neugierig auf die Liste.»
«Und du meinst, den Aufruf und die Theorie mache ich hernach?»
Die Theorie könnte vermutlich ganz wegfallen, dachte Katzmann, nickte aber artig.
«Ist das nicht ein wenig zu plakativ, Genosse Konrad?»
«Mit welchen Mitteln kämpft der Feind, Eugen?»
Leistner schrieb, rauchte und nickte. «Da sagst du eine Wahrheit, Genosse Konrad.» Er schrieb den von Katzmann vorgeschlagenen Satz auf einen Zettel. «Gut, so machen wir es.»
«Dann kann ich mich in den nächsten Tagen auf der Messe umschauen … und mich ein bisschen nach der Blei-Bande umhören.» Katzmann sah, wie Leistner paffte, und merkte, wie der zu murmeln begann, als er anfügte: «Über die Blei-Bande würde ich auch ein paar Zeilen für die morgige Ausgabe schreiben.»
Leistner guckte kurz auf, als wolle er sagen: Du immer mit deinen Kriminalfällen! Dann hielt er das Blatt mit den ersten Worten des morgigen Aufmachers hoch und nickte.
Das Bureau von Herfried Rinke wirkte wie aus einem Museum geklaut. Die Möbel – vom Sekretär über die stoffbezogenen Stühle bis zum Holztisch – schienen mit der Wucht des Neobarock auf dem Teppich mit den goldenen Verzierungen zu lasten.
Heinz Eggebrecht hatte einen kleinen Spaziergang durch die Stadt gemacht, nun würde der Cognac in seinem Glas ihn schon nicht umhauen. Den Schnaps hatte Rinke auf den Tisch gestellt und sich dann für einen Augenblick entschuldigt. Der künstlerische Leiter des Krystall-Palastes stand am Regal neben seinem Schreibtisch und blätterte in einem Buch mit Ledereinband. Wie er vor dem Regal auf die Seiten blickte, erinnerte Rinke an einen Dirigenten, der vor dem Auftritt noch einmal seine Noten studierte. Er trug einen Smoking, der seine hagere Figur unterstrich. Die Haare sahen aus, als sei Rinke direkt nach dem Bad in einen Tornado geraten. Die grauen Strähnen würden sicher bis auf das Revers des Smokings fallen, stünden sie nicht in alle Richtungen vom Kopf ab.
«Wann, sagten Sie, wollen Sie den Termin mit Madame La Belle haben?»
«Wenn es nach mir ginge, so bald wie möglich.» Eggebrecht setzte den Cognacschwenker an und trank einen Schluck. Der Schnaps floss die Kehle hinunter wie warmes Öl. Es kam ihm vor, als schalte sein Gehirn einen Gang herunter. Die ganze Welt schien hinter einem Schleier zu verschwinden – ein gutes Gefühl. Eggebrecht beschloss, diesen Alkoholpegel für den Rest des Tages beizubehalten. Schließlich war Sonntag und somit eigentlich ein freier Tag.
«Hm …» Rinke blätterte in dem Buch, kam zum Tisch und setzte sich. Er blätterte noch eine Seite weiter. «Dienstagvormittag wäre ein guter Zeitpunkt … Da ist keine Probe, und auch sonst stehen keine Termine für Madame an.»
Übermorgen. Eggebrecht überlegte. Einerseits