Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35. Группа авторов

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Название Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35
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Жанр Афоризмы и цитаты
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Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783866746718



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Aneignung als reale und politische Aussichten für die kollektive Praxis erlauben.

      Auch Marcuses Beschäftigung mit Hegels Lebensbegriff und dessen Idee von Geschichtlichkeit hat politisch-ontologischen Charakter. In seiner Habilitationsschrift will er zeigen, dass Hegels Idee von Geschichtlichkeit auf diesem Lebensbegriff gründet. Der Begriff wurde von Hegel mit Blick auf die Seinsweise des menschlichen Lebens konzipiert, dessen Geschehen aus dem »Bei-sich-selbst-bleiben im Anderssein«, das heißt aus der »Sichselbstgleichheit« in allen seinen Äußerungen, besteht.29 Hier glaubt Marcuse bei Hegel die Bestimmung eines Geschehens als Grundcharakter der Geschichtlichkeit gefunden zu haben. Diese innere Beziehung zwischen Leben und Geschichtlichkeit zeige die Verbindung zwischen Hegels und Diltheys Denken, und daher auch zwischen der hegelianisch-marxistischen und der hermeneutischen Tradition.30 Außerdem findet Marcuse bei Hegel (wie es, so glaubt er, auch bei Dilthey der Fall sei) einen Begriff von Geschichtlichkeit vor, der sich nicht auf die Ebene des Individuums beschränkt (wie bei Heidegger), sondern auf die Ebene des Kollektiven verweist: eine Ebene, die von der kollektiven Praxis der Erzeugung von Wirklichkeit (das »Thun Aller und Jeder«) bestimmt ist.31 Marcuse ist in diesem Moment bereits der Überzeugung, dass eine kritische Theorie der Gesellschaft ihre philosophische Grundlage nur durch eine Theorie der Geschichtlichkeit finden kann, die jede Form von Objektivismus in der Erkenntnis der Wirklichkeit und in der Wirklichkeit selbst auflöst.

      IV. Zwischen Ontologie und kritischer Theorie

      Was Marcuse damit gegen Freyer – und meines Erachtens immanent auch gegen Koselleck – vorbringt, wäre nur dann die Lösung für das bei ihm diagnostizierte Problem, wenn sein Vorschlag einer Fundamentalontologie des geschichtlichen Lebens überhaupt realisierbar wäre. Erlaubt nun Marcuses philosophische Position aus den Jahren 1928-1931 einen solchen Vorschlag für eine Ontologie der Geschichtlichkeit? Kann er von seinem philosophischen Ausgangspunkt aus eine phänomenologische Ontologie herausarbeiten?32

      Ein Leitfaden von Marcuses frühen Schriften ist die Idee, dass die theoretische und philosophische Arbeit konkret werden müsse, um das Dasein in seiner bestimmten Not und Bedrängnis zu erreichen – so die Hauptthese des Aufsatzes Über konkrete Philosophie von 1929. Dazu müsse sich die Philosophie ihre eigene Geschichtlichkeit – und zwar ihre konkrete Geschichtlichkeit – völlig aneignen. Diese Tendenz wird bereits bei Marcuses Verarbeitung der Phänomenologie in seinem Aufsatz Beiträge zu einer Phänomenologie des Historischen Materialismus deutlich. Dort kann man lesen:

      »Phänomenologie bedeutet: Frage und Zugang von den Gegenständen selbst leiten lassen, die Gegenstände selbst voll in den Blick bringen. Die Gegenstände selbst aber stehen beim Zugriff zunächst in der Geschichtlichkeit. Diese Sphäre der Geschichtlichkeit beginnt, als konkret geschichtliche Situation, schon beim Ansatz der den Gegenstand suchenden Frage: sie umspannt die einmalige Person des Fragenden, die Richtung seiner Frage und die Weise des ersten Erscheinens des Gegenstandes.«33

      Das betrifft auch die Dialektik, die damit ebenfalls konkret werden müsse: »Insoweit konkrete Dialektik die Vielspältigkeit, Gewordenheit und Grenze geschichtlicher Daseinsweisen und -formen aufweist, bedingt sie ein jeweiliges Stellungnehmen zu diesen Daseinsweisen und -formen und ihrer Wirklichkeit.«34

      Nach Marcuse muss eine solche »dialektische Stellungnahme« »eine kritische sein«, denn »konkrete Dialektik als objektive, standpunktlose Wissenschaft ist ein Widersinn.«35 Ihm zufolge ist es eine wichtige Aufgabe der Philosophie, mit der Abstraktion und formalen Allgemeinheit der traditionellen theoretischen Philosophie zu brechen. Das Ziel der Philosophie sei aber vielmehr das Dasein in seiner geschichtlichen Situation, in seiner Not und seinen Bedürfnissen. Der Antrieb der Philosophie sei damit die Sorge um den Menschen, deshalb müsse sie die Praxis einfordern, die die Not des Daseins umkehren könne: Für Marcuse wäre das eine radikale Tat, die den zeitgenössischen Kapitalismus der Krise – einer Krise, die eine Krise der ganzen Existenz verursache – überwinden müsse.36

      Wenn dies so ist, wenn also die Philosophie nach Marcuse nicht mehr bloß theoretisch bleiben darf, wenn sie sich ihrer geschichtlichen Situation mit ihren politischen Aufgaben stellen, wenn sie konkret und geschichtlich werden muss, wie kann so eine Philosophie dann eine ontologische Analyse des Seins des menschlichen geschichtlichen Lebens durchführen? Wie kann eine konkrete Philosophie die ontologischen Grundstrukturen oder Grundmöglichkeiten des geschichtlichen Lebens herausarbeiten? Wie kann sie etwas, das selbst nicht geschichtlich ist, aber schon Bedingungsmöglichkeit des geschichtlichen Geschehens enthält, herausstellen?

      In der Antwort auf diese Fragen finden wir die wichtigste Spannung in Marcuses Frühwerk. Auf einer Seite gibt es bei Marcuse die Forderung nach Bewusstwerdung der eigenen konkreten Geschichtlichkeit des Denkens. Diese beinhaltet zugleich das Bewusstsein der notwendigen Stellungnahme der Philosophie in einer von sozio-politischen Konflikten bestimmten geschichtlichen Situation. Auf der anderen Seite bleibt Marcuse dem Anspruch auf eine ontologische Analyse des geschichtlichen Lebens treu, d. h. der Geschichtlichkeit überhaupt, als Analyse jenseits des Antagonismus zwischen entgegengesetzten ideologischen Standpunkten.37 Wenn diese Forderung auf eine Art von kritischer Theorie im Sinne von Max Horkheimers Aufsätzen der 1930er Jahre verweist,38 bleibt dieser Anspruch zugleich aber doch auch ganz in der Nähe von Heideggers Fundamentalontologie.39 Diese zentrale Spannung in Marcuses Frühwerk wird auch durch die Veröffentlichung von Marx’ Pariser Manuskripten von 1844 und Marcuses enthusiastischen Stellungnahmen dazu nicht gebrochen. Die zwei Aufsätze, die Marcuse 1932 und 1933 dazu veröffentlicht – Neue Quellen zur Grundlegung des Historischen Materialismus und Über die philosophischen Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriff40 – zeigen, dass er vielmehr umgekehrt Marx’ Manuskripte als Bestätigung für die Richtigkeit seines Versuchs aufnahm, mit Hilfe von Sein und Zeit eine materialistische bzw. dialektische Phänomenologie der Geschichtlichkeit zu unternehmen. Tatsächlich finden wir in diesen Aufsätzen eine Auffassung der Arbeit im Sinne der von Marcuse 1928 vorgeschlagenen dialektischen Phänomenologie als ontologisch bzw. anthropologisch – als Praxis der Selbstverwirklichung des Menschen (und deswegen als eigentliches Geschehen der menschlichen Geschichtlichkeit) und zugleich eine Betrachtung der geschichtlich konkreten Realisierungen der Arbeit in den verschieden sozio-ökonomischen Ordnungen.

      Die Zäsur in Marcuses philosophischer Tätigkeit ist dann auf äußere, nicht auf theoretische Faktoren zurückzuführen: Im Frühjahr 1933 verließ Marcuse Deutschland in Richtung Schweiz als neuer Mitarbeiter des von Horkheimer geleiteten Instituts für Sozialforschung nach dem Scheitern seines Versuchs, sich in Freiburg bei Heidegger zu habilitieren.41 In diesem neuen Kontext bestimmte Marcuse nun in enger Zusammenarbeit mit Horkheimer sein theoretisches Projekt in Richtung einer kritischen Theorie der Gesellschaft neu. Horkheimer war damals kritisch gegenüber der Ontologie und der philosophischen Anthropologie eingestellt, und in dieser neuen Richtung gab es offiziell keinen Platz mehr für ontologische phänomenologische Ansprüche.42 Auch vollzog sich im Jahr 1933 ein weiteres Ereignis, das Folgen für die theoretische Entwicklung Marcuses hatte: Im März 1933 hatte Heidegger in Einklang mit dem neuen Nazi-Regime das Rektorat der Freiburger Universität aufgenommen. Für Marcuse war dies ein persönlicher und ein philosophischer Schock zugleich, der seine Bewertung Heideggers für immer ändern sollte.43 Im Jahr 1963 schrieb er in diesem Sinne in einem Brief an den tschechischen Philosophen Karel Kosík: »Heideggers positive Haltung dem Nazismus gegenüber ist meiner Meinung nach nur der Ausdruck des zutiefst anti-humanen, geist- und lebensfeindlichen, geschichtlich reaktionären Grundzugs seiner Philosophie.«44 Diese beiden Faktoren haben dann für Marcuse den Weg frei gemacht für eine radikale Historisierung der Philosophie, für ein radikales Konkret-Werden der Philosophie, die in Richtung einer kritischen Theorie der Gesellschaft führte und die für eine phänomenologische Analyse der ontologischen Grundstrukturen der Geschichtlichkeit keinen Raum mehr ließ.

      Das heißt, zusammengefasst, dass Marcuse seine positive Haltung gegenüber der fundamentalen Ontologie nicht aufgrund einer theoretischen Selbstkritik aufgegeben hat. Es waren biographische und geschichtliche Ereignisse, die ihn motiviert haben, eine Änderung in seiner theoretischen Arbeit vorzunehmen. Nach 1933 war Marcuse letztlich davon überzeugt, dass eine kritische theoretische Analyse der bestehenden Gesellschaft keine Ontologie des geschichtlichen Daseins braucht und der Anspruch