Hans Weigel. Wolff A. Greinert

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Название Hans Weigel
Автор произведения Wolff A. Greinert
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990403907



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Eisenstein, dem heutigen Zeležná Ruda, lebten nur zwei jüdische Familien, die als Kaufleute ihr Fortkommen hatten. Lazar Weigl, sein Sohn Eduard fügte erst in den 1920er-Jahren in Wien das „e“ in den Namen „Weigl“ ein, besaß nicht nur eine Gemischtwarenhandlung, „den Laden“, wie er genannt wurde, sondern auch Felder und Wiesen und führte eine kleine Milchwirtschaft. Er lebte streng nach den jüdischen Gebräuchen: „[…] in seinem Haus wurde koscher gekocht, Geschirr und Besteck für Fleisch und ‚Milchiges‘ getrennt – es wurde kein Schweinefleisch zubereitet.“1

      Dieser Großvater Lazar, Ludwig, „war ein verständiger, recht kluger Mann, der auch Humor hatte. […] Ich hatte ihn sehr gern, er war stolz auf mich, wie auf seinen Sohn Eduard, der es in Wien weit gebracht hatte“2, als Handelsakademiker bei der Glasfabrik Stölzle, bei der er seine berufliche Laufbahn begonnen hatte und bei der er zuerst als Prokurist und dann als Direktor Karriere machte. So schrieb Hans Weigel in seiner 2008 posthum von seiner Lektorin Elke Vujica herausgegebenen Autobiografie In die weite Welt hinein, in der er sein Leben von 1908 bis 1938 behandelte.

      Eduard hatte drei jüngere Schwestern: die Älteste, Franziska, genannt Fanni, hatte fünf Kinder: Ernst, Otto, Klara, Emma und Hedwig. Hans Weigel war in den Ferien seiner Volksschulzeit gerne bei ihnen in Chotieschau (Chotěšov). Die Mittlere lebte mit ihrem Mann Robert Abeles und ihrer Tochter Irma in Karlsbad (Karlovy Vary), während Regine, die Jüngste, mit ihrem Mann Emil Siller in Eisenstein blieb, zwei Töchter, Roselle und Mitzi, hatte und mit ihrem Mann das Geschäft von Lazar Weigl übernahm.

      Der Großvater von Hans Weigel mütterlicherseits, Julius Fekete, war Kaufmann aus dem ungarischen Gyon, heute Dabas, und kam mit seiner Frau Katarina, geborene Boskowitz, schon vor der Jahrhundertwende nach Wien. Sie wohnten in Margareten, dem 5. Wiener Gemeindebezirk, und führten in der nahe gelegenen Schönbrunner Straße 31 das „Zentralversandhaus Julius Fekete“, einen Gemischtwarenhandel. Sie waren typische Vertreter des liberalen jüdischen Bildungsbürgertums, hatten drei Söhne und zwei Töchter.

      Hugo übernahm als Ältester, der Not gehorchend, das Zentralversandhaus, da sein Vater 1903 mit nicht einmal fünfzig Jahren verstorben war. „Onkel Hugo musste das Geschäft führen, und das war wohl tragisch, denn er war sehr musikalisch, spielte großartig Klavier, war charmant und witzig und hatte gewiß ein unerfülltes Leben. Er mochte mich sehr gern, manchmal saß ich neben ihm, wenn er am Klavier improvisierte.“3 Albert, der mittlere der drei Söhne, lebte als Ingenieur bei den Saurer-Werken in Arbon am Bodensee in der Schweiz. „Der dritte Bruder war Onkel Theo, klein und rundlich, er spielte Geige und war angestellt bei der Filmfirma Projektograph. Er schwärmte von der neuartigen Erfindung und prophezeite ihr eine große Zukunft – und wurde in der Familie nur belächelt.“4 Nach ihm wurden die beiden Mädchen Regine, die spätere Mutter von Hans Weigel, und Lilly geboren, die Leopold Kandler heiratete, deren Tochter Alice später mit Henry Steiner verheiratet war und mit ihm eine Tochter, Lillian, hatte.

      Die Kinder des Ehepaars Fekete wurden von französischen Kindermädchen großgezogen und sprachen fließend Französisch. Schon mit siebzehn Jahren heiratete Regine am 13. September 1903 Eduard Weigel, bekam einige Jahre vor Sohn Hans Tochter Alice, die wenige Tage nach der Geburt verstarb. Am 29. Mai 1908 kam Hans Weigel im Haus Franzensgasse 11 in Wien V. zur Welt. „Ich bekam den Namen Julius Hans, denn es war Usus in der mosaischen Religionsgemeinschaft, Kinder nach ihren Großeltern zu benennen, wenn diese nicht mehr am Leben waren. […] Helfer bei meinem Eintritt in die Welt war Dr. Theodor Stern, praktischer Arzt, ein kluger, gebildeter Mann und der engste Freund der Familie, mit besonderem Interesse für Philosophie und für humoristische Literatur.“5

      Hans Weigels Kindheitserinnerungen reichten weit zurück, an eine Sommerfrische in Rodaun, wohin der Vater und sein Onkel Leo Kandler nach der Arbeit mit der Elektrischen kamen, oder an den Geburtstag des alten Kaiser Franz Joseph, den 18. August 1913: Beim abendlichen Fackelzug sang der Fünfjährige mit einer schwarzgelben Fahne in der Hand das Kaiserlied mit. Auch berichtete er von zwei Aufenthalten „in Grado (Italien), weil man glaubte, der Sand dort sei heilkräftig und gut für meine Gesundheit“.6

      Als Sechsjähriger, bei einem Ausflug zum „Roten Stadl“ in Kaltenleutgeben, erfuhr seine Mutter von der Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo am 28. Juni 1914. „[…] aber noch konnte ich mit der Politik nicht mit. Und dann der 1. August 1914 in unserer Sommerwohnung in der Schreckgasse in Rodaun. Mein Vater, Onkel Hugo und Onkel Theo mit Tornister. Sie nahmen Abschied. Ob meine Großmutter dabei war, ist mir nicht erinnerlich. Sie umarmen meine Mutter und Tante Lilly. Ich musste denken: das Sterbebussi. Soviel verstand ich. Aber noch lange nicht mehr.“7

      In seiner Autobiografie beschrieb Hans Weigel seine Erinnerungen an den Kriegsbeginn, als es schon im August 1914 hieß: „Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Brit’.“ Später, 1983, sollte sich Weigel mit der Rolle der deutschen Schriftsteller zu Kriegsbeginn und ihrer Kriegshetze auseinandersetzen, mit Beispielen akribisch belegt in der im Christian Brandstätter Verlag herausgegebenen Dokumentation der literarischen und grafischen Kriegspropaganda Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos: Dabei hat er „in einem längeren Beitrag, der dem Buch vorangestellt ist, die Horror-Exzesse der Dichter und Denker Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches dem Verschweigen entrissen“, wie es im Klappentext zu diesem Buch heißt, „bekannte, ja illustre Namen (Thomas Mann, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke etc., etc.) haben sich in diese Literaturgeschichte wider den Frieden eingetragen, manche nur am Anfang, manche aber bis zum bitteren Ende. Weigel dokumentiert aber auch die wenigen Verweigerer, wie Hermann Hesse (‚O Freunde, nicht diese Töne!‘) oder Karl Kraus, der schon 1914 bemerkt hatte: ‚Die freiwillige Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Eintritt in den Journalismus […] mit Anspruch auf eine Dekoration in der vordersten Front und hinter ihnen kämpft der losgelassene Dilettantismus.‘“8

      Als Sieben- oder Achtjähriger, also schon in den ersten Kriegsjahren, besuchte Hans mit der Mutter seinen Onkel Albert in der Schweiz: „[…] es war meine erste bewusst erlebte Reise.“9 Er hob den familiären Zusammenhang hervor, wenn er schrieb: „Auffallend, aber für mich damals selbstverständlich, war – ist – der ungeheure familiäre Zusammenschluß, die selbstverständliche Verbindung […], als wären wir eine Minderheit; und eine solche waren wir nicht. Wir alle waren kaum religiös. Unser Jüdischsein war um uns herum nicht umstritten, nicht einmal äußerlich bemerkbar. Meine Mutter war besonders beliebt, sie sprach wienerisch, sie verstand sich auf den Umgang mit Lieferanten. Es gibt, denke ich, diesen Familiensinn vor allem bei mosaischen Familien, sie halten zusammen ohne aggressive Spitze gegen andere, einfach aus dem, Clan‘-Geist. […] Ob meine Eltern eine gute Ehe führten, weiß ich nicht. Eher ja. Weil ich ein frecher Fratz war, antwortete ich einmal als ganz junger Fünf- bis Sechsjähriger auf die blöde Standardfrage ‚Wen hast du lieber, den Vater oder die Mutter?‘: ‚An Wochentagen die Mutter, an Sonntagen den Vater.‘ – Beide liebten mich, waren stolz auf mich. – Als ich sechs Jahre alt war, verließ er uns, ich habe ihn dann sechs Jahre lang nicht mehr gesehen.“10

      Als die Männer der Wiener Familien Fekete/​Weigel in den Krieg gezogen waren, übersiedelte Regine Weigel mit ihrem Sohn zu ihrer Mutter Katarina – als „eine kluge, temperamentvolle Frau“ bezeichnete Hans Weigel, der sich im sogenannten Herrenzimmer breitmachen durfte, seine Großmutter später. „In diesem Zimmer befand sich auch ein Bücherkasten. Oft wachte ich sehr früh auf, holte mir ein Buch [im Alter von sechs bis acht], ging mit dem Buch und einer Lampe unter die Decke und las.“11

       Der Volksschüler mit seiner Mutter

      Er durfte alles lesen, was er sich aussuchte, denn seine Mutter „war ungeheuer fortschrittlich, und ich kann mir nicht erklären, woher das kam. […] Als mein Eintritt in die Volksschule bevorstand, begann meine Mutter sich verschiedene Schulen anzusehen [wollte jedoch keine von der ,guten Gesellschaft‘ frequentierte Privatschule wie die ,Mendel-Schule‘]. Endlich fand sie eine Schule nach ihren Wünschen, die war in der Albertgasse 23, weit, weit von unserer Gegend entfernt. Der Schulweg mit