Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

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Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



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und Werkzeugfabrikant. 1857 hatte Josef Schaller ein Fabriksprivileg für eine von ihm erfundene transportable Feldschmiede erhalten. 1907 lieferte die Firma die Packsättel für MG-Tragtiere. Diese Schmieden und Sättel wurden von 27 Auslandsstaaten übernommen. Budischowsky lieferte die Schuhe. Wilhelm Beck war mit Uniformen reich geworden. Die farbenfrohen Uniformen prägten nicht nur das Militär. Auch jeder Beamte musste seine Beamtenuniform haben, ebenso wie jeder Briefträger, Schaffner oder Lakai. Auch die Kutscher, Chauffeure, Portiere und Hausknechte wurden in Uniformen gesteckt. Wilhelm Beck, der 1849 in der Langen Gasse im 8. Wiener Bezirk mit dem Verkauf von Herren- und Knabenkleidung aus eigener Erzeugung begonnen hatte, hatte mit dem Einstieg ins Uniformgeschäft die richtige Entscheidung getroffen. Mit der Uniformpflicht für Staatsbeamte war plötzlich ein hoher Bedarf entstanden. Am Stephansplatz im neuerbauten Palais Equitable hatte man einen entsprechend noblen Standort gefunden. Das Geschäft war für seine repräsentative Eleganz und Ausstattung bekannt und zählte bald zu den Sehenswürdigkeiten Wiens. Die Firma war eine der bedeutendsten ihrer Branche in ganz Österreich-Ungarn. Um 1900 beschäftigte sie circa 60 Beamte und 5.000 - 6.000 Mitarbeiter und fing an, Geschäftsbeziehungen ins Ausland aufzubauen. Vertretungen gab es in Belgrad, Sofia und Konstantinopel, eigene Filialen in Lemberg, Czernowitz, Pressburg, Josefstadt und Innsbruck. Mit dem Kriegsende und dem Zusammenbruch der Monarchie kamen schwere Zeiten für das Unternehmen. Die Abschaffung der Uniformpflicht für einen großen Teil der Beamten brachte das endgültige Ende.

      

       Qualitätsnachweis als öffentliches Spektakel: Ein Safe von Franz Wertheim besteht 1857 in Istanbul die Feuerprobe. Gemälde von unbekannter Hand.

      Österreichs Maschinenindustrie rangierte am Vorabend des Krieges unter den führenden Erzeugern der Welt, hinter den USA, Großbritannien und Deutschland. Die Zentren waren in Niederösterreich und im benachbarten Böhmen und Mähren: Die Nachfrage kam von den großen Treibern des wirtschaftlichen Wachstums, den Eisenbahnen, mechanischen Webereien, Hüttenwerken, Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Dampfmühlen und Papierfabriken und nicht zuletzt vom wachsenden Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen für den großen Agrarsektor der Monarchie.

      Böhmen und Niederösterreich beherbergten jeweils etwa ein Drittel des österreichischen Maschinenbaus. Die Maschinenindustrie ihrerseits beanspruchte etwa ein Drittel des österreichischen Stahlverbrauchs. Ihr Produktionswert lag 1912 in 21 Aktiengesellschaften und 259 Fabriken mit 34.000 Arbeitern bei etwa 640 Mio. Kronen. Es waren nicht nur die großen Maschinenfabriken, die Brünner Maschinenfabrik, Waagner-Biro in Wien oder die Andritzer Maschinenfabrik, sondern eine ganze Reihe von Nischenbetrieben, wo Wiener Produzenten Weltruf erlangt hatten.

      Maximilian und Louis Friedmann besetzten mit der Dampfstrahlpumpe und mit ihrer Armaturenfabrik solch eine Nische, ebenso der Techniker Alfred Collmann, der 1876 die erste zwangsläufige Steuerung für Kolbendampfmaschinen entwickelt hatte, die sogenannte Collmann-Steuerung. Die Maschinenfabrik der Brüder Josef und William Hardy profitierte von der Erfindung ihrers Vaters, der sogenannten Hardyschen Vacuumbremse. Anton Freissler war der erste Hersteller elektrischer Personen- und Lastenaufzüge in Österreich. Aber auch Franz Wertheim, der als Werkzeugproduzent und Erzeuger von feuerfesten Kassen Weltruf erlangt hatte, schuf sich im Aufzugbau ein weiteres Standbein. Karl Schember war der größte Waagenproduzent. Sein Vater, der 1836 als Lokomotivführer in den Dienst der Kaiser Ferdinands-Nordbahn eingetreten war, hatte sich 1852 selbständig gemacht und begonnen, eine Werkstätte zur Erzeugung von Brückenwaagen zu errichten.176 Schember & Söhne stellte 1888 erstmals auch Münzwaagen auf. Das Zeitalter der Münzautomaten war angebrochen: für Schokolade, Zigaretten und eben auch zum Abwägen der eigenen Körperfülle. Ein besonderes Geschäft waren feuerfeste Tresore, die Wertheim mit geschicktem Marketing anbot, oder die Soldkassen für das kaiserliche Heer, die Theodor Braun erzeugte. Später weitete er seine Fabrik für Briefkästen und Metallwaren auf Münzautomaten aus. In den 1980er Jahren wurde die inzwischen recht klein gewordene Firma von dem damaligen Automatenkönig Ferry Ebert übernommen, der von ihr seine Kondomautomaten bezogen hatte. 1993 wurde das Unternehmen liquidiert. Nicht immer waren es technische Wunderdinge: Auch so kleine Dinge wie der Priemsche Druckknopf-Verschluss oder mechanische Feuerzeuge konnten reich machen.

      Einige Unternehmen haben ihre Erfolgsgeschichte bis heute fortgesetzt. Aus den Patenterlösen für seinen Reflexions-Flüssigkeitsstandzeiger errichtete Richard Klinger 1893 die „Gumpoldskirchner Maschinen- und Metallwarenfabrik“, wo er ein neues, druck- und temperaturbeständigeres Dichtungsmaterial entwickelte, das später „Klingerit“ genannt wurde und noch heute hergestellt wird. Die Gumpoldskirchener Maschinen- und Metallwarenfabrik Richard Klinger, in der später auch Azetylen-Beleuchtungsanlagen, Stopfbüchsenpackungen sowie verschiedene Arten von Pumpen (Rundlauf-, Feuerlösch-, Öl- und Fettschmierpumpen) erzeugt wurden, wurde 1912 in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und hatte bei Klingers Tod 600 Beschäftigte. Heute arbeiten für die Klinger-Gruppe, deren Sitz inzwischen in der Schweiz ist, mehr als 1.800 Beschäftigte, davon etwa 400 in Gumpoldskirchen. Auch die Krauseco Werkzeugmaschinen GmbH, 1905 von Ernst Krause, Gesellschafter der Fa. Schuchardt & Schütte, gegründet, blickt inzwischen auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurück. Ihr Gründer, der aus Solingen gebürtige Ernst Krause, versteuerte 1910 bereits die Riesensumme von 304.000 Kronen.

      Die Königin der Maschinen des 19. Jahrhunderts war die Dampfmaschine. Doch ihr Stern war bereits im Sinken. Ein neuer Stern tauchte am Industriehimmel auf: die Fahrrad- und Automobilindustrie. Die ersten inländischen Fahrräder stammten von der Wiener Firma K. Greger, die 1884 die Erzeugung von Hochrädern und 1886 auch von Niederrädern aufgenommen hatte. Greger wurde Millionär. Um 1900 zählte man mehr als 20 Fahrraderzeuger im Land. Doch eine Weltmacht im Fahrradbau wurde Österreich nie. Die österreichische Jahresproduktion wurde 1900 mit etwa 175.000 Stück angegeben. Das waren nur etwa 3 Prozent der damaligen Welterzeugung.177 In Wien war der Kutschen- und Pferdewagenbau, der auf dem Land ein einfaches Gewerbe darstellte, zu einer auf einen überregionalen Markt orientierten Industrie geworden. Jacob Lohner & Comp. war die größte Fuhrwerksfabrik Wiens und das Aushängeschild des österreichischen Kutschenbaus. Es wundert nicht, dass Jakob Lohners Sohn Ludwig die Chancen des Automobilbaus ganz frühzeitig erkannten. Nach einem Technikstudium übernahm er 1887 die Unternehmensleitung und begann nach dem Tod des Vaters mit der Umgestaltung der damals größten Pferdewagenfabrik Österreich-Ungarns auf Automobile und später Flugzeuge. Er setzte auf Elektroautos, denen er wie viele damalige Experten eine wesentlich größere Zukunftschance einräumte als den Verbrennungsmotoren. Elektromobile vermieden zweifellos manche Anfangsschwächen der Benzinkutschen: das Starterproblem, die Lärm- und Geruchsbelästigung und die große Störungsanfälligkeit der Motoren. Sie waren Mobile für kurze Distanzen und gemütliche Fortbewegung. Daher wurden sie auch als „Frauenautos“ beworben.

      Der junge Ferdinand Porsche, dem der Maffersdorfer Industrielle Wilhelm Ginzkey 1893 eine Stelle beim Wiener Elektropionier Béla Egger vermittelt hatte, begann für Lohner Elektrofahrzeuge mit Radnabenmotoren zu bauen. 1900 wurde der Lohner-Porsche mit Elektroantrieb auf der Weltausstellung in Paris vorgestellt. Als Lohner-Porsche „Mixte“ und ab 1906 als „Mercedes Electrique“ brachte Ferdinand Porsche sein Konzept des Hybridantriebs zur Serienreife. Der Geschäftserfolg der Elektromobile blieb aber aus. In den Jahren 1900 bis 1904 verkaufte Lohner nur 33 Elektromobile. Damit erreichten sie etwa 15 Prozent des Lohnerschen Jahresumsatzes. Der durchschnittliche Jahresumsatz bei Lohner in den Jahren 1900 bis 1904 betrug 547.000 Kronen. 1906 entschied sich Lohner für den Rückzug aus der Automobilproduktion und verkaufte seine Patente an Emil Jellinek und die Oesterreichische Daimler-Motoren-Gesellschaft in Wiener Neustadt. Ferdinand Porsche wurde deren Direktor und setzte nunmehr auf schnelle Rennautos und Militärfahrzeuge. Lohner selbst widmete sich nur mehr dem Karosseriebau und den elektrischen Oberleitungsbussen. 1909 stieg er mit einem Doppeldecker, der mit einem 40-PS-Anzani-Motor ausgestattet war, in den Flugzeugbau ein. Die k. u. k. Heeresleitung bestellte bei ihm 36 Flugzeuge