Название | Zwei Freunde |
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Автор произведения | Liselotte Welskopf-Henrich |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957840127 |
Dir … dir. Wie ein Blitzstrahl, leuchtend und erschreckend. Draußen intonierte die Musik. Die Klänge schwollen und schmolzen. Paare bewegten sich.
Wichmann zitterte, als er die Schultern aus der Verbeugung wieder hob.
Frau Grevenhagen hatte angenommen, daß er gekommen sei, sie zum Tanze aufzufordern er … sie … zum ersten Tanz … Wahnsinn! Schande des falschen Schritts! Er hatte geglaubt, daß sie mit ihrem Gatten oder einem der Würdenträger tanzen würde – und er wollte das Fräulein Sauberzweig … Fräulein Sauberzweig … und sie nur mit einem einzigen Blick streifen … Oskar Wichmann war nicht selbstbewußt genug und zu unerfahren, um zu durchschauen, daß Frau Grevenhagen ihn absichtlich mißverstanden hatte.
Sie erhob sich. Irgendein Tier, das den Platz auf ihrem Nacken lieben mußte, war herabgeglitten und hütete jetzt den Stuhl, bis sie wiederkam. Sie neigte den Kopf, eine Bewegung, in der Wichmanns Vernunft erstarb. Er sah den Gatten nicht, der lächelnd aufgestanden war und den Weg für die Tänzerin freigab. Er sah Boschhofer nicht, dem der Zwicker von der Nase fiel, so daß er ihn wieder aufsetzen mußte, um die Weinkarte weiterzustudieren. Nischan sah er nicht und nicht den halb offenen Mund der Silvia. Er sah das alles nicht und sah es doch; es waren nur die Hintergründe, die dem Schöpfer heute zu ihrem Bild gefielen.
Er ging neben ihr, den Rhythmus ihres Schrittes in den Nerven. Im Saale blieben sie einander gegenüber stehen. Die Musik spielte die Takte aus bis zum Ende eines Satzes und brach ab. Eine kurze Stille trat ein, die Tänzer stockten verwirrt. Der erste Geiger hatte sein Instrument abgenommen, sein nachtfarbenes bleiches Gesicht wandte sich dem neu antretenden Paar zu. Er verneigte sich tief und setzte das Instrument wieder an – Diener der Schönheit und Grazie. Nur für ein Paar spielte jetzt die Musik. Schmarotzer waren die anderen.
In Wichmanns Fingerspitzen pulste das Blut bei der ersten Berührung der Hände. Er legte den Arm um den Frauenkörper, andeutend, scheu, die Tanzschritte gingen im Gleichmaß. Sein Wille leitete sie. Er spürte einen unbekannten Hauch, vielleicht hatte eine Blüte im ewigen Baumschatten des Amazonas so geatmet. Die Instrumente sangen fremdartig, langgezogen und schwül.
Tango.
Es wurde gemurmelt, Paare traten ab. Nur die gewandten der Tänzer wagten zu bleiben, und es waren ihrer nicht viel. Frei bot sich das Parkett der gebändigt-lüsternen Bewegung. Das Gesicht ohne Lächeln lag nahe an Wichmanns Wange, ein Atem streifte den seinen. Er begriff, daß Zeit nicht nur eine lange Straße eilte. Wenn sie ihre Tiefen öffnete, schwand das Vergehen, und Jahre füllten den Augenblick. Mit der Sicherheit des Traumes schritt das Paar; reglos blieben die Schultern. Die Zeit schien stillzustehen. Namen, Wissen sanken dahin. Schwermütig, unveränderlich lagen zwei braune Augen zwischen den Ufern perlfarbener Lider. Das grenzenlose Moor konnte nicht stiller, nicht unheimlicher sein.
Die Figur des strengsten und leidenschaftlichsten der Tänze schloß in verhüllter Deutung. Unter dem Manne bog sich ein weicher Körper; das Antlitz mit verschlossenen Lippen wich zurück und ergab sich in der Beugung des Nackens; Haar fiel aus der Stirn, zwei Lippen öffneten sich, ohne zu sprechen. Die Hand im Rücken der Tänzerin fühlte die Wärme des Blutes.
Ein Strich der Geigen klang aus; die Körper lösten sich, um das erregende Spiel noch einmal zu beginnen. Das Haar seiner Tänzerin war Wichmann näher, stärker der Duft des Unbekannten. Götter der Wildnis … Zauberer …
Eine Unberührbare lag in seinem Arm. Wenn sie des Nachts sprach, mußte sie mit Schlangen und Sternen sprechen können. Nicht mehr er selbst, führte der Mann die Tänzerin zur Ruhe zurück. Ein Tier, mit glasglänzenden Augen, legte sich wieder um ihren Nacken.
Das andere war unwirklich. Er hatte sich verbeugt und wurde gebeten zu bleiben. Dienstbeflissen eilende Befrackte mit weißen Servietten unter dem Arm brachten Stuhl und Glas, der Wein ging über die Zunge, aber das Herz vermochte nicht mehr schneller zu hämmern. Stimmen sprachen Worte … fern … fern … wie solche, die man vom Berge herab in tiefen Tälern hört.
»Juarez hat dich erkannt, Marion, und deinen Lieblingstanz gespielt. Es sollte eine Aufmerksamkeit für dich sein. Hat sie dich sehr belästigt?«
»Nein.«
Sie hatte eine dunkle Stimme und sprach langsam und immer noch, ohne zu lächeln. Ihre Hand legte sich sanft um den Stiel des Kelches, der den Wein zu ihrem Munde führen durfte.
Die Äderchen in Boschhofers Haut waren rot; Nischan glotzte aus seinem farblosen Gesicht unter den immer frisch gewaschenen Lockenhaaren.
Auch das war nur eine sehr undeutliche Wahrnehmung, daß der Assessor Wichmann im nächsten Tanze mit Silvia Sauberzweig über das Parkett ging und daß er sie veranlaßte, sich am Tische zu verabschieden, damit er sie zu Pöschko und ihrer Freundin Anneli hinüberbringen könne. Wichmanns Stuhl am Tische Grevenhagens nahm der Staatssekretär ein, der das Fest mit seiner Anwesenheit beehrte.
Als Wichmann wieder zu seinen Kollegen kam, glaubte er in einem sehr fernen Lande gewesen zu sein, aus dem er fremd und verwundert zurückkehrte, um die Seinen kaum mehr wiederzuerkennen.
»O du mei lieb’s Herrgöttle von Biberach! Da ischt er wieder … leibhaftig! Oder ischt’s nur Ihr Geischt? Wir haben den unsern alle aufgegeben vor Schreck und Erstaunen. Jetzt bestellen Sie uns nur eine gute Flasche. Des ischt die mindeste Straf. Herrgott, was es alles gibt!«
»Hören Sie, woher kennen Sie denn Frau Grevenhagen? Haben Sie nicht immer getan, als wüßten Sie von nichts? So ein heimtückisches Gemüt haben Sie? Den ersten Tanz, das grenzt ja schon an Skandal! Und der Juarez spielt eigens für Sie und sie. Aber jetzt müssen Sie Geständnisse ablegen, sonst ist’s aus!«
»Wichmann – ich bin platt wie ein Eierkuchen. Sie … das war ja nun tatsächlich sehr … sehr … na sagen wir mal: erstaunlich. Der Staatssekretär stand mit offenem Mund an der Tür.«
»Wo ham Sie so gut tanzen gelernt? Das hätt’ ich Ihnen gar nicht zugetraut. Sie können mir nicht mehr erzählen, daß Sie ein Philister sind. Wie Sie den Tango hingelegt haben – famos. Wollen Sie es nicht auch einmal mit mir probieren?«
Die Maske, die Wichmann aufhatte, konnte sprechen. Er war froh darüber.
»Gern.«
Fräulein Hüsch plauderte während des gleichgültigen Onestep, den die Beinmuskeln absolvierten.
»Sie ist eine phantastische Frau, einfach phantastisch. Jetzt geben Sie doch zu, daß Sie das auch finden?«
Wichmann war wie einem Tempeltänzer zumute, der in der Ekstase gestört werden soll. Matt und feindselig schloß er die Lippen und machte eine gewagte Kurve mit seiner plappernden Dame.
»Morgen wird das Sandsteinhaus zittern vor Gerüchten! Machen Sie sich nichts draus! Mich freut’s eigentlich, wenn Sie die Rasselbande auch einmal kennen und verachten lernen!« Das Paar kam dicht an einigen Tischen vorbei.
»Sie … da hat Ihnen einer was zugesteckt, einen kleinen Zettel? Kommen Sie, wir tanzen unauffällig zum Saalende, dann können Sie nachschauen.«
Wichmann folgte mechanisch. Am Türende des Saales gab er mit seiner Dame den Tanz auf und stellte sich unter einen Wandleuchter, scheinbar als einer der Zuschauer. Seine Rechte griff in die Tasche.
»Nein – da links.«
Er suchte, zog ein kleines Papier heraus und reichte es achtlos Fräulein Hüsch. Sie las vor.
»Der Ball wird pikant,
wenn man mit Verstand
die Fäden erkannt,
in denen Kollegen
sich zappelnd bewegen,
in den Händen zum Schein
ein Sauberzweiglein.«
»Unverschämt. Typisch Nathan oder Borowski. Hauen Sie doch gleich beiden eine