Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien. Tino Hemmann

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Название Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien
Автор произведения Tino Hemmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957440648



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Serben, das zur Landung ansetzen wollte!

      Ein Maschinengewehr hämmerte kräftig sein Lied. Die Melodie, die Todor längst kannte, kam vom Flugplatz, weniger als zweihundert Schritte entfernt. Der Junge rannte, das Rad schiebend, auf das Tor zu. Dabei rutschte ihm das Paket mit dem Essen vom Lenker und fiel auf den staubigen Boden. Er wendete hastig das Fahrrad. Ein Pedal schlug ihm gegen die nackte Wade und hinterließ eine blutende Schramme. Todor klaubte das Essenpaket auf und schaute erneut hinauf zum Himmel. Die dunklen, brummenden Punkte wurden rasch größer. Dem Lärm nach zu urteilen, musste es eine ganze Flotte von Kampfflugzeugen sein! Das waren garantiert keine serbischen Flieger! Dann brachten die Angreifer ihre tödliche Fracht auf den Weg. Raketengeschosse rauschten heran. Erste Detonationen erklangen, Dreck wurde aufgewirbelt und Rauchwolken stiegen über dem Flugplatz auf.

      Ein scharfes Zischen bohrte sich in Todors Ohren. Etwas kam auf ihn zu und verfolgte ihn! Keine zehn Meter über dem Boden! Er gab dem Fahrrad einen Stoß, es rollte in den Graben, dann sprang Todor hinterher. Wenige Sekunden später schlug die Rakete in das Werkstattgebäude ein. Der Boden bebte, Todors Beine wurden unter Erde und Geröll begraben. Er hörte nichts mehr und fühlte nur die eiskalte Druckwelle. Um ihn herum wurden alte Bäume wie Strohhalme geknickt, Steine flogen als tödliche Geschosse umher. Es krachte und dröhnte. Staub erstickte seinen Atem. Der Junge griff mit den Armen ins Leere, wollte den eigenen Körper aus der Geröllumklammerung ziehen, doch die Kräfte verließen ihn rasch. Dann traf ein heftiger Schlag Todors Kopf und ließ ihn besinnungslos werden.

      *

      Als er zum zweiten Mal erwachte, schrie Todor. Er brüllte und schlug wild um sich. Er hörte nicht die Stimme des Großvaters, die den kleinen Todor beruhigen wollte. Er hörte lange Zeit nur ein bestialisches Rauschen und Fiepen. Er sah die Rakete auf sich zukommen. Immer und immer wieder.

      Als dann das Rauschen in den Ohren endlich nachließ, weinte Todor nur noch leise.

      Der Großvater streichelte unablässig Todors Schultern. Der Kopf des Jungen war komplett mit einer mäßig sauberen Binde umwickelt.

      »Gott hab sie selig«, flüsterte der Großvater. »Sie sind alle tot, mein Junge. Gott hab sie selig.«

      Genau drei Stunden und vierundvierzig Minuten hatte der Angriff gedauert. Dreißig britische, französische, niederländische und US-amerikanische Kampfflugzeuge machten unter dem Deckmantel der Operation Deny Flight den Flughafen von Udbina dem Erdboden gleich. Ein Racheakt für serbische Angriffe – hieß es später. Serben hätten mit ihren Kampfflugzeugen aus der Luft die Stellungen von UNPROFOR-Truppen der NATO im dreißig Kilometer entfernten Bihać beschossen. Angeblich waren sie von dem kleinen Flugplatz Udbina gestartet. Und die Antwort der NATO fiel verheerend aus. Alle Gebäude auf dem Flughafen und in der Umgebung wurden zerstört, sogar Wohnhäuser und Stallanlagen in Udbina. Sämtliche Zivilbeschäftigte, die sich auf dem Flugplatzgelände aufhielten, mussten mit ihrem Leben bezahlen, wurden zerrissen, verschüttet oder verbrannt.

      Auch Todors Mutter. Und auch Todors Vater.

      Die Eltern ließen den Neunjährigen mit einem ruinierten Glauben und einem gewaltigen Hassgefühl zurück.

      Todors Djede starb nur einen Monat später, drei Tage vor Heiligabend, sein Körper und sein Geist waren nicht gewillt, die Trauer zu überleben.

      Tage später, mitten in einem kalten Wintersturm, fanden Soldaten der VRS (Vojska Republike Srpske), auch bekannt als »Armee der bosnischen Serben«, den fast verhungerten und völlig verwahrlosten Todor zwischen den Trümmern des ehemaligen Flugplatzes, lethargisch nach der eigenen Vergangenheit suchend.

      Der Mann in Uniform stand plötzlich vor dem, was von jenem Kind noch übrig war, er hielt eine Maschinenpistole im Anschlag und schwieg minutenlang.

      Der Junge vor ihm saß einfach nur da und hauchte ein Kinderlied durch seine verkrusteten, geschwollenen Lippen. Immer und immer wieder. Eines, das ihm die Mutter so oft zum Einschlafen vorgesungen hatte.

      »Spavaj u miru, dete moje …« – Schlaf in Frieden mein Kindchen …

      Der Soldat der VRS trug den Namen Stokan Vujasinović. Er setzte sich erst neben das Kind und hörte lange zu. Dann drückte er den Jungen an sich und fragte laut, um das Fauchen des Windes zu übertönen: »He, Junge! Bist du ein Serbe?«

      Erst Sekunden später kam die Frage bei Todor an. Er schaute den fremden Mann lange an, betrachtete dessen Waffe, dann die Stiefel, dann das Gesicht und schließlich nur noch die Augen. Letztendlich fiel sein Kopf auf die Schulter des Soldaten, lag darauf wie auf einem wärmenden Kissen. Und die Lippen hauchten in das Ohr des Mannes: »Ich wurde mit Myron gesalbt. Also muss ich wohl ein Serbe sein.«

      *

      Bereits sieben Monate später war der nun zehnjährige Todor davon überzeugt worden, dass all die muslimischen Bosniaken zweifelsfrei mit den NATO-Mördern unter einer Decke steckten. Ihm wurden immer wieder Geschichten über die Gräueltaten der Kroaten, Bosniaken und NATO-Soldaten erzählt, die unzählige Serben aus ihrer Heimat vertrieben und viele ermordet hätten.

      Viele, viele Kilometer führte der Krieg den Jungen von der Heimat fort. Die Einheit, der Stokan angehörte, fuhr immer weiter gen Osten, fast bis zur neuen Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und dem regulären Serbien. Hier gab es ein von Bosnien beanspruchtes Außengebiet der VRS, das von den Vereinten Nationen zur Schutzzone erklärt worden war und von NATO-Soldaten kontrolliert wurde.

      Todor lachte übertrieben herzlich und scheinbar zufrieden, als ihm eines Tages Stokan, einer der VRS-Soldaten, in einem Lager ganz in der Nähe von Potočari auf die Schulter klopfte und meinte: »Jetzt werden wir die bosnischen Mörderbanden endlich auslöschen! Ein für alle Mal! Diese verfluchten holländischen NATO-Soldaten scheißen sich ins Hemd. So groß ist ihre Angst. Wir kehren unsere Heimat sauber. Und du darfst uns dabei helfen, Todor.«

      Wenige Tage später kam Stokan vorbei und winkte den Jungen zu sich. Todor fuhr daraufhin mit Stokan, dem er vertraute, in einem VW-Bus einem Tross aus Lkws und einem Linienbus hinterher.

      Sie standen am Rand eines Wäldchens auf dem Feld, als Todor sich die Ohren zuhielt, denn mehrere ratternde Maschinenpistolen zersägten die nächtliche Ruhe.

      Ein Mann, welcher kontrolliert hatte, ob die Gefangenen wirklich alle tot waren, näherte sich. »Da, nimm!«, forderte er plötzlich und reichte dem Zehnjährigen seine Waffe. »Schnell!«

      Er zog den Jungen mit sich durch die Dunkelheit. Todor erblickte im Mondschein viele graue Körper von Männern, die mit aufgerissenen Mündern und Augen an Erdhaufen angelehnt saßen oder auf dem Boden lagen. Fast alle regten sich nicht, sie waren vermutlich tot. Todor sah sickerndes Blut, zerschossene Leiber, zerfetzte Köpfe oder aber bleiche Gesichter.

      Ein bestialisches Brüllen ertönte! Der Junge sah sich für einen Augenblick um. Ein Radlader mit leuchtenden Scheinwerferaugen näherte sich mit gewaltigem Lärm.

      Stokan Vujasinović ergriff Todors Jacke und zerrte ihn mit sich. »Es ist die Zeit deiner Rache! Da kommt schon der Bagger!« Er schob Todor vor sich her. »Hier! Der da!«, sagte er und zeigte auf einen jungen Burschen, welcher heulend seine zerfetzte Wange zeigte, zerrissen von einem Streifschuss, der den Jungen nicht hatte töten können. »Gib ihm den Gnadenschuss!«

      Todor legte das Gewehr an die Schulter, entsicherte es und zielte auf den Kopf des Feindes. Er wartete noch, denn Kimme und Korn zitterten. Dann tauchten die Scheinwerfer des Radladers Todor und das Opfer in grelles Licht.

      Einen Augenblick lang sah ihn dieser Fremde mit einem bekannten Gesicht an. Die Augen waren voller Schmerz. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Tränen rannen über sein Gesicht. Er trug eine Jeans und ein buntes Kinder-T-Shirt. Erst jetzt begriff Todor, dass dieser Junge nicht viel älter war als er selbst.

      »Denk an deine Eltern und schieß endlich!«, rief Stokan.

      Todor schloss für einen Moment die Augen und bewegte den Finger. Der Rückschlag des Kolbens warf ihn fast um. Der andere Junge gab keinen Ton von sich. Er starb einfach.

      »Das hast du nun davon!«, brüllte Todor den toten