ÜBERLEBT - Infiziert mit dem Superkeim MRSA. Ezra Pierpaoli

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Название ÜBERLEBT - Infiziert mit dem Superkeim MRSA
Автор произведения Ezra Pierpaoli
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954889716



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Bald lag ich auf einer Bahre festgezurrt in der Ambulanz auf dem Weg nach Aarau. Dort wurde ich in ein Ambulatorium gebracht und auf eine Untersuchungsliege gebettet, die so unbequem war, dass sich mein Rücken bald total verspannte.

      Nach einer Weile warten wurde ich vom Stationsarzt befragt und untersucht. Besonders die starke Gesichtsschwellung war augenfällig. Er untersuchte meine Nase und vermutete einen Abszess in der Nasenhöhle. Darauf führte er eine feine Lanzette tief in das rechte Nasenloch, worauf mir ein Schwall Blut und Eiter über Schnurrbart und Mund lief. Es zeigte sich, dass sich tatsächlich ein großer Abszess an der Schleimhaut der rechten Nasenscheidewand gebildet hatte. Ich war froh, dass er diesen so schnell entdeckt hatte und problemlos öffnen konnte. Eine Lascheneinlage, d.h. ein wattierter Verband wurde unter der Nase von einem Ohr zum anderen angelegt, da weiterhin ständig eitrige Flüssigkeit aus der Nase floss. Nach einer Röntgenuntersuchung des Brustraumes musste ich wieder erbrechen. Endlich, nach einem zweiten speziellen Computertomogramm des Schädels, wurde ich in ein Stationsabteil der Überwachungsstation gebracht, wo ich die Nacht verbringen sollte, abgetrennt nur durch einen Stoffvorhang von anderen Patienten.

      Zu meiner Freude kam ein Freund und Arbeitskollege zu Besuch, der extra die Fahrt nach Aarau auf sich genommen hatte. Ich glaube, er war von meinem Zustand und Aussehen ziemlich schockiert, obwohl er sich nichts anmerken ließ. Ich erzählte ihm, wie es mir bis dahin gegangen war und wie miserabel ich mich vor dem Spitaleintritt gefühlt hatte. Es war schön zu sehen, dass er sich um meine Gesundheit kümmerte. Bald ging er wieder. Ich wusste nicht, dass ich ihn für viele Monate nicht mehr sehen würde.

      In der Station war es heiß und laut. Gegenüberliegend war ein Mann in erbärmlichen Zustand mit seltsam verdrehten und bandagierten Beinen und einer übergestülpten Sauerstoffmaske, der furchtbar schnarchte. Trotzdem konnte ich einigermaßen gut schlafen.

      Nach der Nacht in der Überwachungsstation und einem Frühstück wurde mir der Befund meiner Krankheit mitgeteilt, von dem ich nicht wusste, was er eigentlich bedeutete. Das Resultat meiner Blutuntersuchung durch das Diagnostiklabor Viollier war eingetroffen und hatte ergeben, dass ich mit dem Bakterium MRSA infiziert war. Ich hatte eine Blutvergiftung!

      Vom Zeitpunkt, in dem ich mich in der Notfallstation angemeldet hatte und mir die Blutproben entnommen wurden, hatte es also ganze 48 Stunden gedauert, um diese Diagnose zu stellen. Im Nachhinein frage ich mich, warum dies so lange brauchte, da gemäß dem heutigen Stand der Diagnostik auch ein MRSA-Schnelltest zur Verfügung steht, mit dem die Diagnose in wenigen Stunden gestellt werden kann. Gerade bei dieser Erkrankung ist eine schnelle Diagnose essentiell und unter Umständen lebensrettend. Wo, wann und warum diese Entzündung aufgetreten war, war mir ein Rätsel. Was MRSA überhaupt bedeutete, war mir nicht bekannt. Zugegebenermassen waren meine Kenntnisse zu Infektionskrankheiten sehr beschränkt. Es wurde mir erklärt, dass dies eine Abkürzung für die Bakterienstämme des Typs Methicillin-Resistenter Staphylococcus Aureus war.

      Aus meinem Studium der Biochemie schwante mir, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte. Ich konnte mich erinnern, dass damals mein Diplombetreuer, der selbst Mikrobiologe war, erwähnte, dass er für ein Experiment „Staphen“ züchtete und dass diese sehr ansteckend seien. Methicillinresistent hieß, dass das Antibiotikum Methicillin bei diesem Stamm nicht wirkte. War dies etwa einer dieser „Superkeime“, also Bakterien, bei denen viele Antibiotikaklassen wirkungslos waren, von denen man ab und zu in den Medien hörte?

      Fragen über Fragen, zu denen ich keine Antwort wusste. Und besser ging es mir in der Zwischenzeit immer noch nicht. Nachdem die Diagnose gestellt war, wurde ich sofort isoliert, d.h. von den anderen Patienten getrennt und in ein Zimmer für Privatpatienten gebracht, obwohl ich allgemein versichert bin. MRSA ist als „Klinikkeim“, der zu den berüchtigten Spitalinfektionen führen kann, in den Krankenhäusern gefürchtet und eine weitere Verbreitung auf andere Patienten und das Personal musste unbedingt verhindert werden. Es erfolgte eine ausführliche Befragung und nachfolgende Instruktionen durch eine Spezialistin für Spitalhygiene und einen Infektionsspezialisten. Ein erster Verdacht kristallisierte sich heraus: hatte ich mich etwa in den Sommerferien in Istrien, Kroatien angesteckt, wo wir zwei Wochen vom 4.-15. Juli 2011 weilten?

      Rückblick:

      Etwas Sonderbares war in diesen Ferien passiert. Am vierten Tag des Urlaubs hatte meine Frau plötzlich Schmerzen in der Schamgegend. Was zuerst wie ein Mückenstich aussah, begann bald anzuschwellen, zu eitern und entwickelte sich innerhalb weniger Tage zu einem hässlichen Abszess. Auch mein Sohn hatte an der Leiste eine ähnliche, wenn auch kleinere Pustel, die Eiter zu enthalten schien.

      Nachdem nach einigen Tagen Selbstbehandlung mit einer milden Kortisonsalbe und später einer Zugsalbe diese Stellen nicht zu heilen schienen, war es dringend Zeit geworden, einen Arzt zu konsultieren. Zum Glück gab es gleich in der Nähe der Feriensiedlung ein Ambulatorium, das wir aufsuchten und in dem wir vom Arzt und seiner Assistentin, auch einer Ärztin, sofort empfangen wurden. Dem Arzt war der Fall offensichtlich sofort klar. Es handelte sich anscheinend um eine bakterielle Infektion, die zuerst zu einer Art eitrigem Pickel führte, welcher sich leicht zu einem Abszess entwickeln konnte. Gemäß dem Arzt war diese Art Hautinfektion in dieser Region bei Touristen ziemlich verbreitet, rief jedoch bei der einheimischen Bevölkerung keine Erkrankung hervor, da diese den Keimen von Kind an ausgesetzt waren und eine Immunität dagegen ausbildeten. Bei Touristen hingegen kamen solche Infektionen recht häufig vor, und verrückterweise hing das Ganze auch noch von der Nationalität ab. Die Touristen in dieser Region Kroatiens waren vor allem aus dem nahen Österreich und Italien, aber auch aus den Niederlanden. Bei Holländern traten solche Hautinfektionen viel häufiger auf als bei italienischen Touristen. Dieser Sachverhalt machte später auch durchaus Sinn.

      Unsere Familie war häufig und in vielen Ländern herumgereist, jedoch hatten wir noch nie etwas Ähnliches erlebt. Um die Infektionen zu kurieren, erhielten meine Frau und mein Sohn ein Antibiotikum in Tabletten-, bzw., Sirup- und Salbenform, das sie für den Rest der Ferien, d.h. zehn Tage lang, anwenden mussten. Es war eine starke Medikation, die beide müde machte.

      Eine Woche später hatte meine ältere Tochter auch einen kleinen Abszess an der Leiste und musste zum selben Arzt gebracht werden. Auch sie wurde mit einem Antibiotikum behandelt. Einzig bei unserer jüngsten Tochter und mir schienen diese Keime keine Wirkung zu haben. Der Arzt erklärte dies damit, dass wir ein starkes Immunsystem besäßen.

      Doch zurück zum Bericht:

      Aufgrund der bestehenden Diagnose konnte im Kantonsspital Aarau endlich die korrekte Antibiotikatherapie mit Vancocin begonnen werden, einige der wenigen Antibiotika die gegen MRSA wirken.

      Am Abend besuchte mich in Aarau wieder meine Frau Joy. Wir redeten lange. Meine Frau machte damals noch einige Fotos von mir mit meinem Handy, die ich allerdings erst viel später im Dezember 2011 entdeckte.

      Es war wieder sehr heiß im Zimmer. Vom vielen Liegen hatte ich Rückenschmerzen und schaute fern, um mich abzulenken.

      Ich hatte eine weitere schlimme Nacht verbracht. In der Nacht werden die Schrecken und Ängste ja meist noch stärker und irrationaler. Ich glaube ich begann zu diesem Zeitpunkt zu verstehen, in welch gefährliche Situation ich geraten war, obwohl ich natürlich nicht ahnen konnte, was noch alles auf mich zukommen würde.

      Am Vormittag bat ich eine Pflegerin, ob ich mit einem Seelsorger sprechen könne. Das war möglich, und bald darauf erschien ein jüngerer Herr, der sich als Spitalseelsorger vorstellte. Leider habe ich keine Ahnung mehr, was ich mit ihm besprach. Dies ist Teil einer retrograden Amnesie, also eines Gedächtnisverlustes, der bis zu diesem Datum zurückreichte, wie ich später feststellen musste. Ich hatte jedoch große Angst und besprach vermutlich meine Befürchtungen mit ihm. Im Kontrast dazu war es draußen ein schöner Hochsommertag mit viel Sonnenschein.

      Am frühen Nachmittag kam meine Mutter zu Besuch. Wir setzten uns im Zimmer an das kleine Tischchen und unterhielten uns über die letzten Tage. Ich hatte Durst und fragte meine Mutter, ob sie mir ein Bier bestellen könne.