So war es in der DDR und nicht anders. Gerd Leonhardt

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Название So war es in der DDR und nicht anders
Автор произведения Gerd Leonhardt
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954888115



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in Dollars. Wir büßten zwar etwas ein, doch für ein paar gute Rasierklingen und ein Parfüm für die Frauen war uns der Tausch schon wert. Diese Möglichkeit aber hatten nur wenige Menschen bis auf jene, deren Verwandte im freien Teil Deutschlands lebten. Und nicht jeder, der Verwandte „drüben“ hatte, bekam auch selbst Pakete in die DDR geschickt.

      Vielen Bürgern waren speziell die Libyer ein Dorn im Auge. Extra ihretwegen wurde eine spezielle Mensa gebaut. Diese Gruppe bildeten Studenten mit Privilegien. Wahrscheinlich nur deshalb, weil sie hartes Geld hatten, bekamen sie auch Silberbesteck und keines aus Aluminium wie die anderen Kommilitonen. Ja, und eine Ärztin war immer für sie in Bereitschaft. Daran sieht man schon den traurigen Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Während die Bürger der „Bruderländer“ in die großen preiswerten älteren Tanzlokale gingen, bevölkerten die Bürger aus westlichen Staaten die teureren Bars dieser Stadt und ließen es sich auch anmerken, dass sie dank der richtigen Währung weitaus beliebter waren. Ein reinweg unzumutbarer Zustand!

      Nun gut, eine Währung hatten wir auch. Zum Beispiel lag der Einzelhandelsumsatz pro Kopf der Bevölkerung der DDR für Nahrung und Genussmittel bei 3.400 Mark der DDR. So wenig? Das Brötchen kostete ja auch nur 5 Pfennig. Und nach drei Tagen konnte man es als Hammer benutzen. Aber für zwei Tage war es verzehrbar. Das Brot schnitt mit 52 Pfennig ebenso gut ab. Nur nach fünf Tagen begann es schon zu schimmeln, da es sehr schlecht gebacken wurde und zu frisch war. Außerdem war der Laib nicht doppelt gebacken, wie dies bei einem guten Bäckerbrot üblich ist. Das Viertel Kaffee kostete 8,75 Mark, und das war nicht nur zu teuer, sondern er hatte auch eine grauenvolle Qualität. Kaffee musste auf den Weltmarkt für Dollar eingekauft werden, und dafür hatten die Genossen kein Geld übrig. Bier nannten wir „Sterbehilfe“, da selbiges nach drei Tagen aussah, als schwämmen Hunderte von Wasserflöhen darin.

      Also, bei denen da oben sparte man nicht. Wir kommen noch später darauf zurück.

      Für Industrieerzeugnisse gaben die DDR-Bürger 3.200 Mark aus im Schnitt. Der Durchschnittslohn lag bei etwa 850 bis 900 Mark. Viele Menschen in der DDR waren es jedoch gewohnt, „nebenbei“ noch ein paar Kleinigkeiten zu „erledigen“. Ein Spruch hieß nicht umsonst: „Man war gelernter DDR Bürger.“

      Churchill gebrauchte als erster den Spruch vom „Eisernen Vorhang“. Nur wenn man in einer sozialistischen Mangel- und Betrugswirtschaft aufwächst, bekommt man Ideen, das nicht Vorhandene trotzdem aufzutreiben. Erwartung in der DDR – das war ein Geisteszustand, dem auf der Skala menschlicher Gefühle die Hoffnung vorausgeht und die Verzweiflung folgt.

      In der Musik gibt es den „Trugschluss“, der die kadenzierende Dominante nicht immer zur Tonika zurückführt, sondern vielleicht die Tonikaparallele zum Schluss behält. Genauso verhielt es sich mit dem gelernten DDR-Bürger. Der normale Weg in das Geschäft war sinnlos, um fünf Sack Zement zu kaufen. Also machte man dem Nachbarn, Freund oder Bekannten ein Angebot für etwas, das jener eben nicht hat. Man tauschte eben wie zur Hamsterzeit.

      Zur Erklärung: Die Hamsterzeit begann nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Menschen, vor allem Frauen, fuhren mit dem, was man noch besaß, um es in anderen Gegenden einzutauschen, damit die Kinder, die größtenteils keinen Vater mehr hatten, etwas zu essen bekamen. Nur als Hinweis: In meiner Klasse, ich bin 1950 eingeschult worden, waren wir 26 Kinder. Davon hatten ganze drei einen Vater! Noch im Jahr 1989, also kurz vor „Ladenschluss“, war die Hamster- und Tauschzeit in der DDR aktueller denn je!

      Am besten war derjenige im Ostteil Deutschlands dran, der „Westgeld“ sein Eigen nannte, denn damit konnte man alles erwerben. Nach dem Bau der Mauer brauchte die Führung der DDR wahre Unmengen guten Stahls, um die Grenzanlagen auszubauen mit Selbstschussanlagen und vielen anderen netten Überraschungen. Genau das kostete dem Staat viel Geld, also mussten Devisen ran. Wer Westgeld besaß, musste es sofort eintauschen, sonst konnte er wegen Devisenvergehen bestraft werden. Also rannte jeder, der harte Währung hatte, in die sozialistische Bank und erhielt für sein Geld so genannte „Forumschecks“. Damit hatten die Genossen einen klugen Schachzug gemacht! Die Bürger horteten das gute „Westgeld“ nicht mehr zu Hause wie bisher, und der Staat konnte sofort darüber verfügen. In dieser Zeit gab es auch den bezeichneten Ausspruch für den Fall, wenn jemand etwas brauchte, das es wenig oder gar nicht zu kaufen gab: „(W)Forum handelt es sich?“ Das hieß so viel wie: „Hast du Forumschecks, kriegst du, was du brauchst.“ Beispiel: An meinem Wartburg war der Auspuff kaputt. Der volkseigene Reparaturbetrieb hatte natürlich keine. Also ab zu einem der letzten privaten „Krutscher“, wie das so hieß.

      „Mein Auspuff hat ein Loch.“

      „Na ja, wir schauen mal nach und machen das Loch zu. Da fällt mir ein, mein Mitarbeiter kennt jemanden, der einen neuen Auspuff hat!? Aber ich glaube, der braucht etwas ‚anderes‘ dafür!“

      Genau das war DDR-Originalmusik. Unsere Philosophie war die Richtung vieler Straßen, die von nirgendwo ins Nichts führten. Tolle Zukunft.

      Für mich ist es deshalb nicht nachvollziehbar, wie man Menschen heute zur Faulheit erzieht. Wer nicht arbeitet und mitunter genauso viel an finanziellen Zuwendungen bekommt wie jemand, der jeden Tag schaffen geht, wird ein Berufsfaultier und für die Gesellschaft nutzlos und parasitär. Doch das ist meine persönliche Meinung, und die muss nicht geteilt werden.

      Es gab eben niemanden in der DDR, der gesagt hätte wie hier im öffentlich-rechtlichen Anstalts-Fernsehen: „Die Bundesrepublik Deutschland bietet an, dass man nicht arbeiten muss, aber trotzdem allerhand Geld bekommt. Warum soll ich das nicht ausnutzen?“ Worte eines jungen ausländischen Mitbürgers in einer Fernsehgesprächsrunde, oder auch im Ersatzdeutsch „Talkshow“ genannt. Intelligenter wird die ganze Sache auch nicht, selbst wenn man es englisch nennt! Welch grauenvolle Politik!

      Trotz einer katastrophalen „Subventionswirtschaft“ brachte es die DDR zum 10-stärksten Industriestaat der Welt. Und dies bei einem Anteil am Territorium der Erde von 0,03 Prozent! Da kann man sich ausmalen, wenn die Bürger der DDR hätten wirklich frei arbeiten dürfen, was aus diesem Teilstaat geworden wäre.

      Andererseits hätte es auch umgedreht geschehen können. Die USA wären die „Armen“ gewesen und nicht die Russen. Ja, und das reiche Russland hätte in Ostdeutschland den tollen „Stalinplan“ statt des Marshallplans gebracht. Dann dürften im Jahr 1989 die „Ossis“ zu den „Wessis“ gesagt haben: „Jetzt müsst ihr erst einmal richtig ‚arbeiten‘ lernen!“ Genauso, wie sich ein paar Hirnlose gegenüber den Ostdeutschen äußerten. Mit dem Begriff „Neue Bundesländer“ habe ich meine Probleme, nur um Sachsen herauszunehmen. Sachsen ist älter als die meisten westdeutschen Bundesländer. Von der Kulturtradition, dem Fleiß dieses großen, pünktlichen und stolzen Volkes ganz zu schweigen.

      Mein erster Vertrag am Opernhaus in Karl-Marx-Stadt, den ich 1970 unterschrieb, hatte mir einen „Zweitwunsch“ erfüllt. Endlich Berufskünstler!?

       Der Verfasser im „Tannhäuser“, drittes Bild, in Karl-Marx-Stadt

      Ein Herzenswunsch ging endlich in Erfüllung. Geträumt hatte ich schon als kleiner Junge in der Schule, als wir eine Schülerinszenierung vom „Stülpner Karl“ aufführten. Darinnen spielte ich jenen Hauptmann, der den „Karl“ verhaftete, und stellte für mich fest, dass mir das lag; auf der Bühne vor einem Publikum zu spielen. Ich hatte schon gesagt, dass ich innerhalb der Familie keine passenden Vorbilder hatte – bis auf meinen Großvater, der neben der musikalischen auch sonst eine sehr große Allgemeinbildung hatte.

      Der staatliche Abschluss wurde mir kurze Zeit darauf schriftlich bestätigt. Mir selbst hat der Beruf als Chorsolist sehr großen Spaß gemacht, doch leider gab es als Chorist nicht sehr viel zu verdienen. Unsere sehr guten Solisten erhielten monatlich knapp 1.000,00 DDR Mark in Karl-Marx-Stadt und mussten mitunter gar 5- bis 6mal pro Woche eine längere Soloparty singen. Viele von ihnen gaben Unterricht, um noch etwas Geld dazuzuverdienen. Wir bekamen als Choristen um die 600,00 Mark brutto. Nebenbei hatte ich noch einige kleine Soloaufgaben, die extra bezahlt wurden, und dazu etwas Schminkgeld, doch letztendlich wurde es nicht viel mehr. Gut, ich habe das ja vorher gewusst.