Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz

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Название Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990
Автор произведения Heinz Scholz
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867775649



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um den Sozialismus oder geht es um die feste Verankerung und Festigung der sowjetrussischen Machtposition in Mitteleuropa? – Oder um beides?

      Andererseits fiel es mir auch schwer, damals der Deutschlandpolitik Adenauers zu folgen. Hätte man nicht doch das sowjetische Angebot zu einem Friedensvertrag unter der Bedingung einer Neutralisierung Deutschlands und ohne Wiederbewaffnung annehmen sollen? Die Sowjets wenigstens beim Wort nehmen müssen? Demokratie für ganz Deutschland unter Verzicht auf Einbindung in einen Militärpakt, weder nach Ost noch nach West – wäre das nicht eine annehmbare Perspektive gewesen? Und Aussicht auf eine „bessere Freiheit“ für uns hier im Osten?

      Dann störten mich auch die Alten Nazis in den Bonner Ämtern und Behörden. Oder war das nur üble Propaganda der SED – diese „Globke“ und „Oberländer“?

      In starken inneren Konflikt geriet ich, wenn ich zu einem Agitationseinsatz beordert wurde. Ich erinnere mich, wie wir Lehrer am Wochenende mit einem LKW zu einem „Aufklärungseinsatz“ nach Haina, einem Dorf im Kreis, gefahren wurden. Dort erhielten wir zu zweit oder zu dritt einen Straßenabschnitt zugewiesen, wo wir von Haus zu Haus die Leute aufsuchen und „aufklären“ sollten. Vielleicht über das „Wahlprogramm der Nationalen Front“ oder irgendwelche Parteitagsbeschlüsse oder auch über die „Friedensvorschläge“ der Sowjetunion. Jedenfalls zu dem Thema einer aktuellen ideologischen Kampagne. Ein andermal – so weiß ich noch – mussten wir in Gierstädt von Haus zu Haus gehen und die Bauern für irgendeine politische Aktion oder bevorstehende „Volkswahl“ agitieren. Wenn das Hoftor geschlossen blieb nach mehrmaligem Klopfen, zogen wir zufrieden weiter. Natürlich gab es bei solchen Gesprächen, zu denen die Gesprächspartner beider Seiten gedrängt wurden, keinen echten Meinungsaustausch. Die Fremden, die da aus der Stadt gekommen waren, trugen pflichtgemäß, formal oder gekürzt und abgeschwächt die phraseologischen Parolen und Erklärungen vor; wenn möglich beschränkten sie sich auf die Überreichung einer „Aufklärungsschrift“. Die Angesprochenen standen da und nickten vorsichtig. Mancher Bauer wagte einen gemäßigten Einwand, gab aber sicherheitshalber zu verstehen, dass er die „Friedenspolitik von Partei und Regierung“ selbstverständlich unterstütze. Nur in wenigen Fällen zeigte man offen und unverkennbar eine ablehnende Haltung. Meistens entstand eine peinliche Heuchelei, die höchstens dann erträglich wurde, wenn sie in einen verschmitzt ironischen Dialog überging. – Es war ein widerliches Theater, weil alles erzwungen. Doch die Schule, sagen wir Partei- und Schulleitung, hatte einfach auf Anweisung der übergeordneten Parteiorgane eine bestimmte Anzahl von Kollegen/​innen „zu mobilisieren“, diesen den politischen Auftrag „zu erklären“, das heißt ihnen einfach zu sagen, was sie zu tun hätten. Wer von uns wollte eine ehrliche Verweigerung oder Ablehnung dieses unwürdigen Auftrages wagen? Dann als „Feind unseres Friedenskampfes“ und der „Arbeiterklasse“ dastehen? Unsere Kolleginnen konnten freilich Samstag nachmittags stichhaltige Gründe vorweisen oder vortäuschen: großer Haushalt, kleine Kinder oder Krankheit in der Familie; doch wir jungen Männer, zumal noch Genossen der SED, wir standen ganz oben auf der Liste, wenn es um die Auswahl geeigneter Einsatzkräfte ging. Und immer, wenn man sich letztendlich doch fügte, folgte man auch einer gewissen Angst, die – so empfand ich das –von den Parteimächtigen zur Machtausübung ganz bewusst genährt wurde.

      Dazu diente, meines Erachtens, auch die öffentliche „Entlarvung“ und Verurteilung von „Klassenfeinden“ in Presse und Rundfunk. Ich erinnere mich, wie wir im Kollegium Schauprozesse, z. B. den Slanski-Prozess von Prag, auswerten mussten. Einmal sogar waren wir Mitglieder der SED-Gruppe der Schule in unseren Patenbetrieb, ins RAW, bestellt. Gemeinsam mit der Parteigruppe dieses Patenbetriebes mussten wir uns in einem Saal die Rundfunkübertragung einer „bedeutsamen“ Gerichtsverhandlung bzw. Urteilsverkündung gegen eine Gruppe von „Staatsfeinden“ anhören. Warum das? Ich meinte zu spüren, dass all die großen und kleinen Berichte von Prozessen gegen „Klassenfeinde“ bei der Bevölkerung Einschüchterung, Abschreckung und Angst erzeugen sollten.

      Irgendwann in den Jahren 1952 – 54 schickte mich die Partei für zwei Wochen auf die Kreisparteischule Langensalza. Ich war vorher beauftragt worden, innerhalb der Schulparteiorganisation das „Parteilehrjahr“ zu leiten (… da ich ja Geschichtslehrer sei). Nun meinte man, mich auf dieser Parteischule darauf vorbereiten zu müssen. Dieser Lehrgang gab mir den Rest. Untergebracht in einem Internat, zu 5 oder 6 Personen auf dem Zimmer, hatten wir täglich einem 10-stündigen militanten Schulungsprogramm zu folgen und nach dem Abendessen „organisiertes Selbststudium“ zu betreiben. Um 22 Uhr Zapfenstreich – Bettruhe. Ich wollte abends mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Das wurde nicht erlaubt. Zwei Wochen kein aufrichtiges Wort, unentwegt Heuchelei und ernsthaft verkrampfte Gesichter – das war quälend und niederdrückend.

      Mit solchen massiven politischen Erfahrungen belastet, begann für mich die Zeit, in der ich mich von dieser SED innerlich immer weiter entfernte und darüber nachzudenken begann, wie ich mich von der Partei trennen könnte. Manchmal fühlte ich mich unter dem Druck dieser Parteidisziplin schlechter als auf dem Kasernenhof. Ich blieb auch fest entschlossen, mich nicht zum gewissenlosen Handlanger eines unerbittlichen Machtapparates herabwürdigen zu lassen, hatte ich mich doch schon einmal als junger Mensch einbinden lassen in eine Diktatur, die ich nachher als Schreckensherrschaft erkennen musste.

      Ich wollte mich nicht gegen die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft sträuben. Nein, mir wäre – nach meinem damaligen marxistischen Verständnis – eine sozial gerechte oder sozialistische Neuordnung schon recht gewesen, aber unter demokratischen Bedingungen! Hier aber in der SED-Wirklichkeit wieder Zwang, Angst und Gesinnungsterror – im Namen einer sozialistischen Idee! Nein – das konnte nicht besser sein. Oder waren es, wie gut meinende Genossen beschwichtigend sagten, lediglich die „Kinderkrankheiten einer neuen sozialistischen Gesellschaft“?

       Tageszeitungsblatt vom 19. März 1953.

      Hinzu kam, dass das, was ich vom „Westen“ hörte, von jenem Kapitalismus mit den vielen „tüchtigen Leuten“ aus alter Zeit, natürlich auch Misstrauen erregte. Dann wiederum war ich von der freien, kritischen Berichterstattung im westdeutschen Rundfunk und den übertragenen kontrovers geführten Bundestagsdebatten sehr angetan. Wenn ich (z. B.) im Radio hören konnte, wie der SPD-Abgeordnete Erler im Plenum des Bundestages gegen die Adenauer-Regierung loswetterte! War das nicht Demokratie?

      Doch wir, die wir in der DDR lebten und hier arbeiteten, mussten wir uns nicht danach richten, wie uns die SED-Parteitage, das „Neue Deutschland“ und unsere „sowjetischen Freunde“ die Welt erklärten? Konnte man sich da als Mensch oder vor allem als Schullehrer heraushalten? Oder gar unberührt lassen von allen Skrupeln gegenüber dem totalitären Diktatur- und Machtgetriebe? Wäre es möglich oder zur Selbsterhaltung besser gewesen, das ganze ideologische Getöne samt Klassenkampf-Gelärme einfach zu überhören und sich damit abzufinden, dass wir Deutschen eben die Verlierer sind und dass uns – ganz nüchtern und realistisch gesehen – nichts anderes übrig bleibt, als sich bedingungslos zu fügen und mitzumachen – also mit den Wölfen zu heulen?

      Doch ich stand nun mal nicht außerhalb oder auf zeitliche Distanz, sondern mittendrin! Mal dafür – mehr dagegen. – Und gab es da einen Weg, herauszufinden aus diesem Druckkessel?

      Nun war dieses „Parteileben“ nur die eine Seite meines Lehrerdaseins. Das Wichtigere – mittendrin – das waren die Kinder, die Mädchen und Jungen, die täglich vor mir saßen. Die wussten selbstverständlich kaum etwas von meinen politischen Sorgen. Sie fühlten sich als Schulkinder und erwarteten von ihrem Lehrer, dass er sich ihnen zuwandte, mit Autorität, aber möglichst auch in ausgeglichener Freundlichkeit, der sie auf verständliche Weise lehrte, was sie auch lernen wollten, und der sie vertrauensvoll und helfend begleitete in ihren Kinder- und Jugendjahren.

      Und das zu leisten, mich vor allem den Kindern zu widmen, sie zu lehren und pädagogisch im humanen Sinne zu lenken, mich für sie verantwortlich zu fühlen und mit den Eltern zusammenzuarbeiten – das war meine Hauptaufgabe!