Schnee von gestern. Florian Asamer

Читать онлайн.
Название Schnee von gestern
Автор произведения Florian Asamer
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990403327



Скачать книгу

schinden als Urlaubsziel

       36 Fotos für die Ewigkeit

       Die Eroberung der Welt

       Schwarze Flecken im Lebenslauf

       Es fährt ein Zug nach nirgendwo

       HERBST

       Vom Jausenbrot zum Brotstudium

       Schutzanzüge gegen Scharlach

       Die Einsamkeit der Schlüsselkinder

       Ein Stamperl mit der Oma

       Immer schön aufessen

       Vom Verhungern und Verdursten

       Die Klassenbucheintragung

       Die Welt in Fächer geteilt

       Der Geruch nach Schularbeit

       Nur keinen Ganztagswandertag

       In der Bubenschule

       Als der Schulatlas nicht mehr stimmte

       Pünktlich oder Hausarrest

       TV-Voting per Klospülung

       Luftpost, Poesiealben und Tagebuch

       Als Brockhaus unser Google war

       Mag. rank. xerox

       Tausche Sparschwein gegen Werkzeugset

       Der Geruch von Feuer

       Nebelschwaden und Weltschmerz

       Danksagung

       Impressum

      Für die Buben

      Vielleicht war nicht alles genau so, wie wir es beschreiben. Aber vieles könnte genau so gewesen sein. Wir wurden beide Anfang der 1970er-Jahre geboren. Der eine wuchs im Westen Österreichs auf, in einer Stadt. Die andere im Osten, am Land. Trotz der Unterschiede hat sich vieles ähnlich angefühlt: Die Gemeinsamkeiten bilden die Basis für dieses Buch. Im Text sind wir nicht immer wir. Und Vater und Mutter sind nicht immer unsere Eltern. Irgendwo zwischen dem Immer und dem Nie dürfte das Lebensgefühl der 1970er- und 1980er-Jahre zu finden sein. Danach haben wir gesucht.

      Winter

       ZUM LETZTEN SCHWUNG

      Mit den Erinnerungen an unsere Kindheit ist es wie mit allen Erinnerungen: Sie halten einer Überprüfung nur selten stand. Es war immer kalt und es lag sehr viel Schnee. Hat man zum Beispiel in einer Stadt in Westösterreich gewohnt, in einem Haus mit Hof, dann kann man sich vielleicht noch daran erinnern, in diesem Hof Schneehöhlen gebaut zu haben. Also Gänge mit Ausgängen oben und seitlich, in denen man herumkriechen und spielen konnte. In der Mitte sogar mit einem Iglu. Müssen also Mordswinter mit wahnsinnig viel Schnee gewesen sein damals, oder? Es existiert sogar ein Foto davon. Allerdings sind Schneehöhlen für einen Sechsjährigen etwas anderes als für einen erwachsenen Beobachter. Betrachtet man das Foto genauer, ist nur ein großer Schneehaufen zu sehen, der durch das Schneeschaufeln entstanden ist.

      Es gab sehr schneereiche Winter in den 1970er- und 1980er-Jahren. Es gab aber auch schneearme. Wenn wir uns recht bemühen, so können wir uns vielleicht auch an endlose Spaziergänge erinnern, zu denen uns die Eltern während der wenigen Stunden mit Tageslicht zwangen, um „auszulüften“, wie sie es gern nannten. Dann schleppten wir uns über festgefrorene Ackerfurchen und tote Wiesen und kein Tüpfelchen Schnee war zu sehen. Aber diese Winter sind überdeckt von den glorreichen, schneeweißen Wochen, die für uns die Winter unserer Kindheit sind. So hätte es immer sein können.

      Am schönsten war es, wenn der Schnee über Nacht kam. Am schönsten war es, wenn der Schnee über Nacht kam. Wir liefen zum Fenster, und statt dem braun-grünen Gatsch und den traurigen, nackten Baumwedeln, die uns noch ein paar Stunden zuvor eine gute Nacht gewünscht hatten, sagte nun eine dicke Schneetuchent guten Morgen. Alles lief in Zeitlupe. Der Schnee schaltete einen unwirklichen Filter vor unsere Sinne. Die Verlangsamung war nicht nur Einbildung: Auf den nicht geräumten Straßen bewegten sich alle tatsächlich vorsichtiger als sonst.

      Winter, das waren Eiszapfen an Dachrinnen, die wir abzubrechen versuchten, um daran zu lutschen. Überhaupt hat man uns erst viel später abgewöhnt, Schnee zu essen. Sich als Kind gut eingepackt ungebremst in den Schnee fallen zu lassen (nach hinten, um dann mit den Armen einen Engelabdruck zu hinterlassen) haben wir bis heute als Zeichen von bedingungslosem Vertrauen abgespeichert. Winter war auch, den Atem vor dem Mund sehen, Eis von Fenstern kratzen oder auf Autoscheiben Namen in die Raureifschicht ritzen. Schneebälle auf Verkehrsschilder werfen oder den Mitschülern in den Nacken stecken. Auch das „Einreiben“ mit Schnee gehörte als fixer Bestandteil zum Winter.

      Dass uns ständig kalt war, damals, lag auch daran, dass nicht flächendeckend geheizt wurde. Es war üblich, in einem Haus nicht alle Zimmer gleich warm zu machen, sondern eben nur jene, die ständig benützt wurden. In den öffentlichen Verkehrsmitteln und in der Schule war es auch drinnen kalt, wenn es draußen kalt war. Wollpullover waren, abgesehen davon, dass sie kratzten und gerne dunkelbraun waren, kein modisches Bekenntnis, sondern pure Notwendigkeit. Im Winter mit kurzen Ärmeln im Klassenzimmer sitzen? Undenkbar. Sweatshirts gab es erst später in unserem Leben. Wie erstaunt waren wir, dass Pullover auch weich und angenehm sein konnten! Von „Fruit of the Loom“ waren diese ersten Segensbringer beispielsweise.

      Hauben waren ohne Ausnahme unschick und juckten am Haaransatz. Sie waren selbst gestrickt und in Form, Farbe und Material grauenvoll. Aber auch die gekauften waren nicht