Das Grimmingtor. Paula Grogger

Читать онлайн.
Название Das Grimmingtor
Автор произведения Paula Grogger
Жанр Исторические любовные романы
Серия
Издательство Исторические любовные романы
Год выпуска 0
isbn 9783990402641



Скачать книгу

Fürst Metternich einem Beschlusse zustrebten und, von der Kaiserin unterstützt, ihr Ziel zweifellos auch erreichen würden.

      Wie recht Pater Gabriel behalten sollte, zeigte sich bald. Und vom Beispiel sowie vom Aufrufe der guten Wiener angezündet, flammte der vaterländische Opfersinn um sich greifend in entlegensten Dörfern empor, und schon im Winter ging zugleich mit den Freiwilligen und den angeworbenen Rekruten mancher Schlitten über die verwehte Landstraße gegen Grätz zu, vollbepackt mit Messingpfannen, mit Mörsern, kupfernen Schnapskesseln und blanken Gugelhupfmodeln aus dem ehrwürdigen Hausrate der Bürgersfrauen und Bäuerinnen.

      Das Frühjahr, obwohl von Schneewehen, Sturm und Regengüssen heimgesucht, stand allbereits im Zeichen des Krieges. Und Vater Stralz verfolgte die Entwicklung desselben mit wachsender Teilnahme. Er saß abermals bis tief in die Nacht über die Zeitungen und Extrablätter geneigt, um so mehr, als diese stoßweise eintrafen und dann wieder durch die Unregelmäßigkeit der Post für Tage und Wochen ausblieben. Die meiste Bedeutung legte er den Vorgängen an der Donau bei. Als jedoch die Berichte darüber unklar wurden und schließlich jedes Abschlusses entbehrten, als er, auf dem Plane von Bayern nachprüfend, seinen Finger immer näher der österreichischen Grenze rücken mußte, fing er an, den Kopf zu beuteln, durchstrich in seinem Tagebuch diejenigen Stellen, welche er von Amts wegen erfahren und notiert hatte, und rechtfertigte sich im Anschluß daran folgenderweise:

      »Schreiber dießer Zeilen findt es für Geziement, Schein und Beschönigung aus sein Büchel zu entfernen; dieweil solches wohl zur Beruhigung der tumen Leuth zweckdienlich, eines aufmerkenten und Bedachtsamen Bürgers aber unwürdig ist. Er siehet ferners auch von Niederschrift der Gerücht und Lugen ab, so durch mancherley Abendtheurer in Umlauf gebracht werdent, und will zuwarten, bis er die Schlappen, denn sotane mögen es wohl seyn, aus der Perspektive beurtheilen kann.

      Mit Vergunst hätte Man dem Lauff der Welt nit sollen fürgreifen, sondern Bedenken, das auch dem Außland wird die Gal übergehen, insonderheit den bayrischen Brüdern, welche itzt, Gott verzeih Ihnen die Sünd, ihr teutsches Blut mißachtent, sich an Österreichischen Länden, nenne Tyrol vergreifent und den Hunden von Rothhosen ihner schäbiges Malzbier teuer anhängent. Die richtige Zeit für einen Vormarsch wär um Pfinzten gewest, wo das Summertraid ist gesäet und die Erdnudel und das Blaukraut gesezet. So manches Knechtel hätt der Bauer noch herlassen. Und kein solches Sau Wetter hätt sie nit aufhalten. Item! daß sie bei Alt Ötting schon steckengebliem, wird aber auch das Wetter nit verschuldt haben, vielmehr eine Lästerliche Schlamberey des Generalquartir Meisters Prochaska. Der Veitkramer, so bis Oberndorf Hausieren geht, weiß dießes, sintemahl es eine Bayrische Gräntzwach auf der Lauffner Brucken kund gethan hat.

      Und was ist es bei Hirschau und bei den Ort Ursensollen gewen? Mitte April, das die Unsern gerade auf die Stadt Regensburg sind losgereiset …

      Itzt weiß Man es …«, hatte Vater Stralz, wahrscheinlich zu Ende des Monats, noch beigefügt, » … in der Nahent von Avensberg, muthmaßlich auch in Thann oder Straubing habent die Österreicher einen Pluzer gemacht. Alsdann auch Regensburg ist in Verlur, und der Napoleon marschiret gegen den Inn. Also es wird Ernst. Doch ist zu verhoffen, daß dem zu Folge die Sach einen bessern Fortgang nimt, maßen der Mensch auf Eigenen Grunt und Boden mehrer Gewalt und Selbstvertrauen hatt.

      Es bedauert Einen nur, das die Leuth in Wirtshaus ihnere Brothladen weitmächtig aufreißent, und Trotz dessen die Franzosen schon zweymahl unser Dorf Heimgesucht haben, noch glaubent: der Herr Gott wird uns baß behütten. Ebenso Übel steht Ihnen das Kritisieren über den Generalissimus an. Maßen Man einen einzigen Menschen, eh daß sich der Ausgang gezeiget, keines Unrechts nicht zeihen soll und selbiger Karl sich vor dem Krieg ohnedem gewehrt hatt. Der Pfleger, welcher seine gantze Hoffnung auf sein Erzherzog Johann sezet, geht mir seit einer Wochen stätig aus den Weg, weil die nachricht von Italien nicht dazu angethan ist, neuen Muth zu schöpfen …«

      Solches schrieb Vater Stralz und legte in seiner Art die Ereignisse zurecht, wie sie sich eben ins Gebirge heraufverschlugen. Es war sicher ein unvollständiges und einseitiges Bild, welches er und die Öblinger empfingen, zumal ihnen ja eine wirkliche Berührung mit der Welt mangelte, jedoch darum nicht weniger innig und ernsthaft; denn in Bruchstücken liegt oft mehr Gründlichkeit als in einem wirbelnden Ganzen. Immerhin belebte die meisten noch eine bewundernswerte Spannkraft. Sie hatten das sichere Gefühl, eine heilige Sache auszutragen. Und im Taumel des Außergewöhnlichen dahinlebend, vergaßen sie vielfach der Entbehrungen und Opfer, die ihnen täglich auferlegt wurden. Sie vergaßen aber auch den einzelnen; und ihren Blick auf die Oberfläche der Ereignisse richtend wie auf eine schwebende Gewitterwolke oder ein Meer, beachteten sie abertausend verschwindende Schicksale nicht, ausgenommen jene zunächst Betroffenen, welche durch einen Bruder, Freund oder Sohn gerufen, geistig, vielleicht sogar augenscheinlich seiner Qual beiwohnten; ausgenommen auch die wenigen, welche ein unbedecktes Herz haben, alle fremden Wunden und Tränen fühlen … auch wenn selbe nicht offenbar sind. Item, es litt jeder für sich allein, starb jeder seinen Tod, und es ist nicht auszudenken, um wieviel schrecklicher die Vorstellung eines Krieges ist, wenn gleichsam nicht die Wolke, sondern die Tropfen betrachtet werden.

      Durch Flüchtlinge, kranke Soldaten, teilweise schon durch französische Patrouillen, welche auf Vormarsch und Streifzügen begriffen in weiterer Umgegend, hauptsächlich jenseits des Mitterberges, zu treffen waren, weil dortselbst die Poststraße vom Salzburgischen herein durch das ganze Ennstal führte, vernahmen die Öblinger eines Tages zu ihrem Schrecken, daß Kaiser Napoleon mitsamt seinen Generalen schon in Linz wäre.

      Das begab sich zu Anfang Mai.

      Zuerst liefen die Leut alle aus den Türen wie bei einem Erdbeben, stellten sich schockweise zusammen, und insbesondere die Weibsbilder zeterten bänglich. Die Kinder aber, wie dieses gemeinhin der Fall ist, empfanden ein Grauen, mit unsäglicher Lust vermischt, und Raimund Winkler hatte seine liebe Not mit ihnen. Wohlgemerkt, die älteren von ihnen, welche sich um ein paar Jahre zurückerinnern konnten, erzählten während der Schulstunde überlaut, wie es bei einem französischen Durchmarsch zugehe, und die blühende Einbildungskraft stattete solche Berichte ganz höllisch aus.

      Winkler ging mit finsterem Gesicht zwischen den Bankreihen, hielt sein Stäbchen auf dem Rücken und dachte über die Beschwerlichkeiten des Lebens nach. In Stunden, wo es sich darum handelte, die kleinen Habseligkeiten und Ersparnisse zu beschützen, fehlte ihm seine selige Ehefrau noch mehr. Er bewegte sich hilflos durch das wachsende Geschrei und wußte augenblicklich nicht, gegen welche peinigende Anfechtung er sich wehren sollte. Es sang und surrte in der Stube wie ein Bienenschwarm. Und er riß das Fenster auf, wobei er seines sonnigen Gemüsegärtleins ansichtig ward und auch im Stall die graue Ziege meckern hörte; wie ihn deuchte, aus Angst um ihr zaundürres Leben. Da wußte er plötzlich klar, daß alles Eigentum ganz entblößt dastund, und daß die Franzosen, insofern sie kamen, an seinem schön geschichteten, auffallend weißen Fichtenholz, an seinen gelben Salatpflanzen, an Geiß und Ferkel sich vergreifen mußten.

      Und jählings fuhr er mit dem spanischen Stäbchen zwischen die lärmenden Kinder, teilte Batzen aus, fürnehmlich seinen eigenen Sprößlingen, und hieß sie den ersten Glaubensartikel zur Straf und Buße auf der schwarzen Schiefertafel niederschreiben. Aber noch hatten die Flinksten damit nicht angefangen, als er sie sammentlich aus dem Häusel jagte.

      Die Kinder hatten alsbald ihren Ranzen weggeworfen, und was nicht von besorgten Müttern oder Kindsfrauen rechtzeitig gefaßt und in der Schlafkammer eingesperrt wurde, rannte stracks nach Gstatt und Strimitzen, ja selbst auf den Mitterberg, und paßte; wie nun ein Busch im Winde rauschte und raschelte, wie von fern ein Mensch oder ein Pferd sich blicken ließ, schrien sie:

      »Die Franzosen kömmen!«

      Und so geschah es, daß der Pfleger von Gstatt des öftern einen Boten nach Öblarn sandte zur Warnung und Verständigung, und daß dieser Bot, laufend und schwitzend, schon den Feind hinter sich wähnte. Der Torschuster rief, von solcher Kunde aufgeregt, dem Bäcken durchs Fenster zu, übers Steffel marschiere ein ganzes Bataillon; und der Bäck schrie es dem Schlosser hinüber, daß der Franzos in kurzer Weil müsse bei der Ennsbrücke sichtbar sein. Da zeigten sich auch schon in den Dachluken des Verweserhauses etliche Knappen mit Pistolen und Vorderladern bewaffnet. Georg Staudacher ließ Pulver stampfen.