Frieden - eine verlorene Kunst?. Stephan Elbern

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Название Frieden - eine verlorene Kunst?
Автор произведения Stephan Elbern
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783943904895



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Die antiken Berichte über den Kallias-Frieden überliefern, dass der Großkönig die Unabhängigkeit der kleinasiatischen Griechenstädte anerkannte und einer entmilitarisierten Zone von drei Tagesmärschen (bzw. einem Tagesritt; diese Umrechnung geht wohl auf die abweichende Entfernungsmessung durch ein Reitervolk zurück) zu ihrem Schutz vor plötzlichen Angriffen zustimmte; die Ägäis wurde für persische Kriegsschiffe gesperrt.

      Aber handelte es sich bei diesen Absprachen um einen förmlichen Friedensvertrag – oder lediglich ein „Gentlemen’s Agreement“ zwischen den Athenern und dem Großkönig?1 Denn mit dessen herrscherlicher Würde war es kaum zu vereinbaren, wenn er mit den Vertretern griechischer Poleis „auf Augenhöhe“ verhandelte2; noch weniger konnte er sich zur Abtretung von Gebieten sowie der Einschränkung seiner militärischen Macht zwingen lassen – wohl aber diese „huldvoll“ gewähren. Dies mochte wiederum – als Wort eines Königs – den athenischen Gesandten genügen (in deren Vaterstadt war man dagegen mit dem Ergebnis der Verhandlungen nicht zufrieden; angeblich wurde Kallias beschuldigt, er habe persische Bestechungsgelder angenommen, und deshalb zu einer Geldbuße verurteilt). Unabhängig von seiner rechtlichen Form – das Abkommen ermöglichte die Blütezeit Athens als Vormacht in Griechenland und seinen Aufstieg zum Zentrum von bildender Kunst und literarischem Schaffen im Zeitalter des Perikles.

       Abb. 2 Susa, Palast des Großkönigs, Apadana.

      Der Abschluss des „Kallias - Friedens“ (oder zumindest die Verhandlungen, die der Athener mit dem Großkönig führte) hatte im Palast von Susa stattgefunden, der eigentlichen Hauptstadt des Achämenidenreiches (das berühmtere Persepolis war hingegen lediglich sein kultisches Zentrum). 1851 wurde der Ort identifiziert und von französischen Archäologen freigelegt; daher bewahrt der Louvre die wertvollsten Funde, darunter die berühmte Gesetzesstele des Hammurabi. Der weitläufige Palast umschließt eine riesige Apadana (110 m im Geviert), deren Dach auf 36 Säulen mit Stierkapitellen ruhte; in dieser wahrhaft königlichen Audienzhalle muss man sich wohl den Empfang für die athenischen Gesandten vorstellen.

      Eine katastrophale Niederlage beendet nach nahezu dreißigjährigem wechselvollen Ringen die Glanzzeit Athens; nie mehr wird die Stadt ihre einstige Bedeutung zurückerlangen.

      Wohl keinem anderen Volk verdankt die Menschheit vergleichbare Großtaten in nahezu allen kulturellen Bereichen wie den Griechen. In der bildenden Kunst blieben sie bis heute ebenso unerreicht wie in der Literatur und Philosophie. Dagegen hinderte sie die heillose Zerstrittenheit der einzelnen Stadtstaaten (Poleis), ebenbürtige Leistungen auf politischem Gebiet zu vollbringen – etwa ein gemeinsames Staatswesen aufzubauen, das durchaus die Rolle des späteren Imperium Romanum hätte übernehmen können. Allein angesichts der Bedrohung durch die persische Übermacht fanden sie für kurze Zeit zur Abwehr der tödlichen Gefahr zusammen – um sich nach dem Sieg erneut zu zerfleischen. Ihren Höhepunkt erreichten die fast ununterbrochenen innerhellenischen Kämpfe im Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v. Chr.), dem „Dreißigjährigen Krieg der griechischen Geschichte“.

      Durch ihren entscheidenden Anteil am Sieg über die Perser und die Gründung des Attischen Seebundes – der sich von einer Kampfgemeinschaft gegen die „Barbaren“ zu einem Kolonialreich Athens gewandelt hatte – war die Stadt gleichberechtigt neben die seit Jahrhunderten dominierende Hegemonialmacht Sparta getreten. Unter dem gemäßigten Staatsmann Perikles war sie zugleich führend auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet: Die hochragenden Bauten der Akropolis kündeten von ihrem Glanz, Dichter und Philosophen wirkten in ihren Mauern, die Demokratie erlebte eine erste Blütezeit.

      Schon lange schwelte die Rivalität zwischen den beiden so grundverschiedenen Staatswesen: Auf der einen Seite die geistig bewegliche demokratische Seemacht Athen, auf der anderen das starre oligarchische Sparta mit seinem starken Landheer. Schließlich löste ein Streit zwischen Korinth und Kerkyra (Korfu) den Peloponnesischen Krieg um die Vorherrschaft in Griechenland aus. Die erste Phase des gewaltigen Ringens endete nach zehn Jahren in einem „faulen Frieden“, der die Entscheidung lediglich vertagte. Inzwischen war Perikles einer verheerenden Seuche erlegen; sein Neffe Alkibiades – hochbegabt und tapfer, ehrgeizig und sprunghaft – führte die Vaterstadt in das sizilische Abenteuer: Die Eroberung von Syrakus sollte die Gründung eines attischen Großreiches einleiten. Das riskante Unternehmen endete jedoch in einer Katastrophe; das Expeditionsheer wurde vernichtet, die besiegten Feldherren nach dem ersten „Kriegsverbrecherprozess“ der Geschichte hingerichtet. Aber die Macht Athens war noch nicht gebrochen, auch wenn die Spartaner den Krieg im Mutterland erneuerten. Das politische Chaos in der Stadt, schwere militärische Fehler ihrer Heerführer, sowie die persische Unterstützung für die Feinde, führten jedoch schließlich zur Niederlage; mit der Vernichtung der athenischen Flotte bei Aigospotamoi (405 v. Chr.) durch den spartanischen Feldherrn Lysander war der Krieg entschieden. Der Seebund löste sich auf, zu Wasser und zu Lande wurde die einst so stolze Stadt eingeschlossen.

      Der Hunger zwang die Athener schon bald, Bevollmächtigte zu dem feindlichen König Agis zu entsenden, der das Belagerungsheer befehligte; dieser schickte sie nach Sparta, weil die Ephoren als höchste Staatsbeamte über Krieg und Frieden zu entscheiden hätten3. Bereits an der Grenze wurden die athenischen Gesandten zurückgewiesen – ihre Vorschläge seien inakzeptabel (sie hatten darauf bestanden, dass die Langen Mauern zwischen Athen und dem Hafen Piräus erhalten blieben). In der belagerten Stadt kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen; schließlich übernahm Theramenes – erfahren als Stratege und Politiker, aber bereits in der Antike als „Wendehals“ verspottet – eine Gesandtschaft zu Lysander. Geschickt zog er die Verhandlungen mit dem spartanischen Heerführer in die Länge – der Hunger sollte die Bereitschaft der Athener erhöhen, einem unvermeidlichen Verlustfrieden zuzustimmen (die Volksversammlung hatte sogar jede Beratung über eine Niederlegung der Befestigungen untersagt!). Als die Not erste Todesopfer forderte, wurde Theramenes an der Spitze einer zehnköpfigen Delegation nach Sparta entsandt, um mit unbeschränkten Vollmachten über ein Friedensabkommen zu verhandeln. Dort berieten die Vertreter der siegreichen Poleis über das weitere Vorgehen; vor allem die Thebaner und Korinther verlangten die Vernichtung des verhassten Athen. Angeblich wegen dessen Verdiensten um die Freiheit Griechenlands (tatsächlich wohl, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu bewahren), lehnten die Spartaner diese Forderung ab.

       Athen kapituliert – Sparta neue Vormacht in Griechenland

      Die Friedensbedingungen waren ohnehin hart genug: Athen musste die Langen Mauern sowie die Befestigungen des Piräus schleifen (und war damit faktisch wehrlos), alle auswärtigen Besitzungen und Stützpunkte aufgeben, die Kriegsschiffe bis auf zwölf ausliefern, den Verbannten die Rückkehr erlauben und den Siegern künftig Heerfolge leisten. Eine spartafreundliche oligarchische Regierung, die „Dreißig Tyrannen“, wurde in der Stadt eingesetzt, auf der Akropolis eine Besatzung stationiert. Die Hungersnot ließ den Besiegten keine andere Wahl; man musste die Bedingungen annehmen. Die Flotte Lysanders lief in den Piräus ein; unter Flötenklang begann der Abriss der Mauern, die athenischen Schiffe gingen in Flammen auf (404 v. Chr.).

      Zunächst besiegelte der Ausgang des Peloponnesischen Krieges die Hegemonie der Spartaner über Griechenland. In den folgenden Jahren zeigte sich jedoch, dass weder ihre politische Führung noch ihr bedeutendster Feldherr Lysander ein zukunftsweisendes Konzept besaßen. Überall in Hellas wurden oligarchische Regierungen installiert, gesichert durch spartanische Besatzungen. Aber schon bald waren die neuen Machthaber weitaus unbeliebter als die einstigen athenischen Herren; in einem Klima rigider Moral aufgewachsen, hielten sie sich im „Ausland“ für ihr früheres entbehrungsreiches Dasein schadlos und zogen sich durch Arroganz und schamlose Bereicherung den allgemeinen Hass zu; außerdem zeigten sie eine geradezu erschreckende politische Unfähigkeit. In Athen währte die blutige Herrschaft der „Dreißig Tyrannen“ – denen auch Theramenes zum Opfer fiel – nur ein Jahr. Zudem verlor Sparta die persische Unterstützung; nun floss das Gold des Großkönigs an den einstigen Kriegsgegner und ermöglichte einen Wiederaufstieg