Die Kunst und Philosophie der Osteopathie. Robert Lever

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Название Die Kunst und Philosophie der Osteopathie
Автор произведения Robert Lever
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783941523739



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tensegrische Struktur des Zellskeletts und seine Funktion beeinflussen die Effektivität und Qualität des Informationstransfers zu den tubulinen Polymeren und Mikrofilamenten einschließlich des Zellskeletts und ihrer Anordnung.66 Umgekehrt stehen sie unter dem Einfluss von Signalen aus der extrazellulären Matrix. Ob wir nun Muskelzellen, Epithelzellen, Immunzellen, Nerven- oder Knochenzellen betrachten, diese Aussage trifft auf alle zu.67

       Integrine oder integrale Membranproteine bilden eine physiologische und informative Verbindung zwischen extra- und intrazellulärem Raum. Dies betrifft den Proteinmetabolismus und seine Anpassung ebenso wie den Zellkern und die genetischen Mechanismen.

       Der molekulare Informationstransfer wird mittels Halbleiter-Eigenschaften des Gewebes und seiner kristallinen Gitterstruktur übertragen (Szent-Györgyi). Er unterliegt dabei ebenfalls den frei beweglichen und spannungsabhängigen Qualitäten des Körpers, die mittels Bewegung und mechanischer Balance oder Integrität via piezoelektrischer Eigenschaften vor allem des Kollagens und des Wassers ausgeübt werden.

       Ultraschneller Elektronentransfer – durch Gleichstrom – ist eine schnelle, körperumfassende Funktion des Perineuriums, der die gewöhnliche Impulsübertragungsfähigkeit des Nervensystems ergänzt.68

      Die extrazelluläre Matrix und das Bindegewebssystem stellen somit ein Medium dar, durch welches die Körper-Struktur direkt die Physiologie, bis auf Zellebene hinunter, beeinflusst – bioelektrisch, biochemisch und metabolisch (Pischinger). Sie senden globale Informationen zu sämtlichen Zellen im Körper, und dies weitaus schneller, als es neuroendokrine, zirkuläre und reflektorische Netzwerke könnten.

      Quantenmechanische Prinzipien, sei es auf funktioneller oder auf konzeptioneller Ebene, vereinigen Energie, Masse und Information. Sie bieten eine Sichtweise auf Substanz, die besagt, dass palpatorische Intention einen entscheidenden und strategischen Stimulus in Richtung Gewebe geben kann, so dass über einen Prozess, der als Einschwingen bekannt ist69, Kohärenz70 gefördert wird werden kann.71 Des Weiteren verändern feine taktile Stimuli, die spezifisch und klug auf das Körpergewebe angewendet werden, über die bioelektrische Reaktionsfähigkeit des lebendigen Gewebes das gesamtkörperliche tensegrische Arrangement bzw. die Formation der Bindegewebsmatrix. So werden die strukturelle Integrität beeinflusst und günstige Wirkungen auf die Physiologie ausgeübt. Das Zusammenspiel von Mentalem und Körper ist für viele immer noch umstritten, aber es ist eine Untersuchung wert. Hierbei sind uns die Arbeiten all jener Forscher, die Oschman so gut verständlich in seinen Texten zusammengefasst hat, von großer Hilfe. Wir werden später weiter darauf eingehen.

      Man sollte hier betonen, dass in Folge funktioneller reziproker Arbeitsabläufe unterschiedlicher Elemente der Körperstruktur tiefgreifende bindegewebliche oder fasziale Veränderungen eindeutig die Folge eines Behandlungsansatzes sind, der überwiegend auf Muskeln und Knochen fokussiert ist – was auch in umgekehrter Richtung gilt. Minimalste, sehr gezielte vertebrale Anpassungen haben beispielsweise eine durchdringende Wirkung auf globale strukturelle Funktionen, so wie auch auf neurophysiologische und zirkulatorische Dynamiken. Ähnlich können faszial und kranial orientierte Ansätze effektive muskuloskelettale Reflexe, Muskeltonus und vertebrale Beweglichkeit verändern. Holistisch angewendete Behandlungen haben eine holistische Resonanz, unabhängig von der Art des Gewebes, auf welches initial eingewirkt wurde.

       Anpassung

      Da das von mir vorgestellte Modell, welches besagt, dass Dysbalancen und Anomalien der zuvor genannten Parameter unausweichlich zu Fehlfunktion, Krankheit oder Leid führen, nicht wortwörtlich genommen werden sollte, wird es nun Zeit das universale Konzept der ‚Anpassung’ hervorzuheben. Dabei handelt es sich um einen wesentlichen Bestandteil beim Aufrechterhalen von Gesundheit bzw. beim Überwinden und Umkehren von Dysbalancen. Diese Anpassung arbeitet zusammen mit dem Prinzip der Homöostase, eben jener Tendenz des Körpers sein Equilibrium (funktionell und mechanisch) so gut als möglich zu erlangen und zu erhalten. In der Tat, der menschliche Körper ist ein Meister der Anpassung und der Kompensation vieler funktioneller Anomalien und Störungen. Eigentlich war Erwin Schrödinger 1944 der Begründer der Quantentheorie und derjenige, der die Antwort fand auf das Mysterium, was Leben an sich ist. Lebende Dinge zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Lage sind Ordnung aus Unordnung zu erschaffen, d. h. die Entropie gewissermaßen umzukehren. Dort wo dieser Prozess versagt oder zu kostspielig für die physiologischen (und manchmal psychologischen) Reserven des Individuums ist, entsteht ein Element des Zusammenbruches und Hilfe ist erforderlich. Dies sind die Menschen, die gewöhnlich zu uns kommen, vollkommen adaptierte tun dies in der Regel nicht.

      Der osteopathische Ansatz wurde in Stills geflügeltem Wort als das Gesetz von Mentalem, Materie und Bewegung festgehalten. Näher ausgeführt kann man sagen: Er basiert auf dem Konzept der Struktur-Funktion-Einheit; und er basiert auf der Vorstellung des Körpers als einer Organisation oder Inszenierung von Informationsfeldern, die zirkulatorische, neurale, biochemische und bioelektrische Signale wiedergeben und so das Potential für die Selbstregulation und Reparatur erzeugen. Letztlich besagt dies auch, dass diese über physikalische (manuelle) Interventionen zugänglich sind und angepasst werden können, insofern dies wissens- und intentionsbasiert geschieht.

      Im Großen und Ganzen ist das Ziel der Behandlung daher nicht so sehr die Auseinandersetzung mit Krankheit und Leid (auch wenn sich viele palliative Pfeile im osteopathischen Köcher befinden). Es ist eher der Zugang und die Stimulation wesentlicher Qualitäten von Gesundheit, sowie die Fazilitation ihres Ausdrucks, womit viele der Probleme unserer Patienten überwunden werden können – und das Ausmaß dieser Überwindungsfähigkeitist erstaunlich. Zunehmend finden sich Osteopathen in der Rolle des Hausarztes und in diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, bis zu welchem Ausmaß es den Osteopathen in England erlaubt werden kann, diese Rolle überhaupt einzunehmen, insbesondere wenn man bedenkt, dass sie nur einen begrenzten Zugang zu eben jenen Notfallverfahren, Hilfsmitteln und Einrichtungen, einschließlich des direkten Zugangs zu Krankenhäusern und den orthodoxen Kollegen besitzen, der in einigen kritischen Situationen erforderlich wäre. Im Grunde ist es der Zugang zur ärztlichen Nachversorgung, welcher die hausärztliche Versorgung unter gewissen Umständen so effektiv machen würde.

      Selbstverständlich hat unser Ansatz bezüglich seiner Wirksamkeit auch Grenzen. Schwere Pathologien und hoch virulente Infektionen können die durchschnittliche Konstitution eines Menschen in die Knie zwingen, und dies geschieht auch trotz osteopathischer Unterstützung. Dennoch können osteopathische Methoden bei einer hohen Anzahl menschlicher Leiden, vor allem bei jenen 80 Prozent, die funktionell bedingt sind, ein erstaunlich hohes Level an Wirksamkeit verzeichnen. Ausprägungen schlechter Gesundheit (mit den damit in Verbindung stehenden multiplen Symptomen, die häufig fälschlicherweise als unterschiedliche Krankheiten diagnostiziert werden) werden umgekehrt oder aufgelöst und Gesundheit kann sich erneut und mit größerer Kraft als zuvor behaupten.

       Caveat 72

      Für den Fall, dass Sie die Eleganz dieses Ansatzes dazu verführen sollte, dies als ultimatives Allheilmittel anzusehen, weise ich ausdrücklich darauf hin, dass es auch hier, wie bei allen therapeutischen Ansätzen, Grenzen gibt. Wie oft sind wir bei rätselhaften und hartnäckigen Fällen demütig in unsere Schranken verwiesen worden? Die familiären Bedingungen eines Patienten waren gut geklärt und ‚gelesen’. (oder diagnostiziert), es herrschte eine starke Patient-Behandler-Verbindung ohne versteckte psychologische Elemente, d. h. ohne symbiotische Patienten-Bindung, und nirgendwo war eine lauernde oder überwältigende Pathologie festzustellen. Und trotz all der treibenden Kraft der inneren Heilung kämpfte der Patient immer weiter. Diese Suche nach einem eindeutigen Verständnis und nach Gewissheit wird, trotz all unseres Engagements und unserer Erkenntnisse, uns stets daran erinnern, dass es noch immer mehr zu wissen gibt, vielleicht mehr als wir wissen können. Daher wird jedes Modell und werden alle ihre Vertreter stets in Grenzen bleiben. Jedoch, auch wenn es essenziell ist, sich seiner Grenzen und der Grenzen eines Systems bewusst zu sein, kann dies manchmal auch alles andere als eindeutig in Erscheinung treten. Denn, wie bereits gesagt, viele häufig gesehene Zustände