Zuagroast. Martina Parker

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Название Zuagroast
Автор произведения Martina Parker
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839270141



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Dann hatte sie nach mehreren Fehlgeburten Carla bekommen, und jetzt war es ohnehin zu spät für eine Karriere. Sie wusste, dass sie in ihrer Rolle der verzweifelten Hausfrau ein wandelndes Klischee war, und trotz ihres brillanten Intellekts betrübte sie diese Erkenntnis noch mehr als die Tatsache selbst.

      Die Türglocke riss sie jäh aus ihren Grübeleien. Der Chef der »Pannonia Bau« und seine Frau waren eingetroffen. »Immer herein in meine bescheidene Hütte«, tönte Paul. Das mit dem »bescheiden« war pure Komplimenthascherei. Denn natürlich fühlte sich der Besuch dadurch genötigt, einen Lobgesang auf das Raumschiff und dessen Kommandanten anzustimmen. Paul sonnte sich in dem Lob. »Seht her, wer ich bin! Seht her, was ich erreicht habe!« Und dann immer die subtile Message: »Als meine Verbündeten könnt ihr Teil dieses Glanzes sein.«

      Eva wusste genau, wie es nun weiterging. Nach der obligatorischen Hausführung würde Paul den Champagner aufreißen, und aus Herrn Direktor Zieserl und Gattin würden Harald und Sylvia werden.

      Bis zum Plopp des Champagnerkorkens hatte sie Zeit, um die Vorspeisen vorzubereiten.

      Sie bestrich kleine Blunzenpogatscherl mit Leberaufstrich von der südburgenländischen Weidegans und träufelte etwas Uhudlergelee darüber. Das Walderdbeeraroma der Uhudlertrauben passte gut zum erdig-würzigen Leberaufstrich aus der Region. Paul mochte fleischbetonte Küche mit dem gewissen Extra. Veganismus hielt er für eine Krankheit.

      Eva servierte die Vorspeise gerade rechtzeitig zum Anstoßen und zum Bruderschaftskuss. Die Lippen des Herrn Direktor waren weich und fleischig auf ihren Wangen. Sylvia verteilte nur spitzlippige Luftküsse.

      Sie reichte die Platte mit den Pogatscherln herum. Harald Zieserl griff begeistert zu und lobte den Geschmack dieses »innovativen Schmankerls«. Eva musste innerlich lachen: Hatte er gerade wirklich »Schmankerl« gesagt? Gab es tatsächlich Menschen, die dieses Unwort des Gastromarketings in den Mund nahmen?

      Der Bauch des »Pannonia Bau«-Direktors wölbte sich über seiner Anzughose, er hatte ein freundliches Gesicht mit Hamsterbacken und einem leichten Doppelkinn, und seine Augen blitzten jovial. Er sah aus wie einer, der sich gerne anfüttern ließ. Wahrscheinlich hatte er sich sein Übergewicht auf Dutzenden Besprechungen, Veranstaltungen und politischen Events angefressen.

      Seine Frau Sylvia war deutlich jünger, und alles an ihr wirkte hart. Ihr gestählter Body, der in Stretchhose und hochhackigen Boots steckte, ihre Fake-Brüste, die unter dem engen Top fast waagrecht von ihr wegstanden, der Zug um ihren Mund. Ihre grauen Augen hatte sie mit viel schwarzem Kajal umrandet. Auch ihre Haare waren pechschwarz gefärbt. Eva hätte wetten können, dass die Frau auch irgendwo ein schwarzes Tattoo aus ihrer wilden Zeit hatte, bevor sie die Frau Baudirektor wurde, vielleicht sogar ein Arschgeweih. Altersmäßig könnte das hinkommen. Eventuell würde Paul dieses Geheimnis lüften. Den interessierten Blick, mit dem er Sylvia aus dem Augenwinkel taxierte, kannte Eva nur zu gut. Aber Paul war viel zu schlau, um sein Interesse offen zu zeigen. Das konnte warten. Seine heutige Priorität war nicht, die Frau anzubraten, sondern den Mann einzukochen. Und das tat er gerade nach allen Regeln der Kunst.

      Und schon lenkte Paul das Gespräch geschickt auf das Thema, auf das er schon den ganzen Abend hinsteuerte. »Ehrlich gesagt erinnern mich die Wohnungen im Pinkatal ein bisschen an mein letztes Werk. Ihr wisst schon, das ›Inselparadies‹ am Neusiedlersee. So etwas können wir auch hier schaffen. Mit einem attraktiven Wohnprojekt wie diesem bringen wir die Menschen in unsere Region, stärken die südburgenländische Wirtschaft und schaffen zusätzliche Arbeitsplätze.«

      Paul hätte echt in die Politik gehen können. Er sagte bereits »unsere Region«, obwohl er gerade mal ein paar Monate hier lebt, überlegte Eva. Aber dem »Pannonia Bau«-Typen schien das runterzugehen wie Öl. »Ich bin in meiner Funktion natürlich ein großer Freund der Regionalentwicklung«, sagte er und biss begeistert in das fünfte Blunzenpogatscherl.

      »Unser Gast hat Hunger, was macht die Hauptspeise?« Das »Tua weiter«, sparte er sich in Gegenwart der Gäste. Aber Eva hörte es, auch wenn es unausgesprochen blieb.

      »Kommt sofort!«, sagte sie mit einem strahlenden Fake-Lächeln und verzog sich in die Küche.

      Sie selbst hatte null Appetit. Sie hatte schon mit Carla eine Kleinigkeit gegessen, die nach dem Tanzen ausgehungert gewesen war und nun vermutlich in ihrem Zimmer lag und Serien schaute. Eva hätte sich gerne zu ihr ins Bett gelegt und ihr dabei Gesellschaft geleistet.

      Dabei roch die Daube köstlich. Das Fleisch war butterweich, die Soße sämig. Ein Duft von Thymian, Rosmarin, Lorbeer und Wacholder erfüllte die Küche, als sie kurz den Deckel lüftete. Die angebrochene Flasche Kochwein stand noch neben der Abwasch. Eva genehmigte sich einen kräftigen Schluck. Anders würde sie diesen Abend nicht durchstehen. Als Beilage hatte sie weiße Polenta und Bittersalate mit Apfel-Wacholder-Vinaigrette gemacht. Die Gäste würden zufrieden sein.

      Sie trug das Essen auf. Der Champagner war schon leer. Paul öffnete gerade eine Flasche Desiderius 2013. Die Gäste mussten ihm wirklich wichtig sein, wenn er mit dermaßen großen Geschützen auffuhr.

      »Ah, der Wein vom Szemes. Ich dachte, der Jahrgang ist längst ausverkauft«, sagte Harald Zieserl anerkennend.

      »Nicht, wenn man die richtigen Leute kennt«, grinste Paul verschwörerisch. »In unserem Geschäft sind gute Beziehungen doch alles.« Er zwinkerte dem »Pannonia Bau«-Chef zu. »Soll ich dir eine Kiste besorgen?«

      Eva kaute betont langsam an einem Bittersalatblatt. Sie kam sich an solchen Abenden immer öfters vor wie die Zuschauerin in einem bizarren Theaterstück. Nicht nur Paul und Harald, auch Sylvia Zieserl ließ sich ordentlich auftischen. Diese Sylvia isst viel zu viel für ihre Figur, dachte Eva. Entweder sie macht Intervallfasten, oder sie ist Bulimikerin. Bitte, lieber Gott, lass sie nicht in mein Klo speiben.

      »Würmchen, träumst du schon wieder, der Herr Direktor sitzt auf dem Trockenen, schenk ihm doch nach.« Eva hasste es, wenn Paul sie Würmchen nannte. Ein Spitzname, den er ihr wegen ihrer Gartenleidenschaft gegeben hatte. Sie war Landschaftsarchitektin und kein Kompostwurm. Aber das jetzt auszudiskutieren, wäre sinnlos gewesen.

      Sylvia Zieserl grinste belustigt. »Würmchen? Wie originell.« Und dann nach einer kleinen Pause: »Darf ich hier rauchen?«

      Nein, dachte Eva, sie hatte keine Lust, dass das Raumschiff danach wie ein Aschenbecher stinken würde.

      »Natürlich«, sagte Paul, griff zum Feuerzeug, das neben dem Kamin lag, und gab Sylvia lässig Feuer. Eva sah, dass er dabei mit dem kleinen Finger ihre Hand streifte. Sylvia zog überrascht die Augenbraue hoch, wirkte aber eher geschmeichelt als brüskiert. Harald Zieserl kriegte davon nichts mit.

      Paul war bereits beim Hauptakt seiner Aufführung angelangt. »Wir sollten hier im Süden wirklich über so ein Projekt wie das ›Inselparadies‹ nachdenken. Die Lafnitzer Auen wären ideal dafür. Wohnen in und mit der Natur. Attraktive Wochenendhäuser für die urbanen Bobos, die mehr Geld als Verstand haben und sich nach Entschleunigung sehnen.«

      Harald Zieserl nickte interessiert. »Was ist ein Bobo?«, fragte Sylvia gelangweilt.

      »Na, so ein bürgerlicher Pseudoidealist, der wegen der Klimakrise nicht mehr nach Mauritius fliegt und dem es in seinem Wochenendhaus im Waldviertel zu kalt ist. Hier im Südburgenland ist das Wetter fast so schön wie in der Toskana. Der Bobo kann hier am Wochenende seinen Traum vom Landleben zelebrieren und ist dank der guten