Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Группа авторов

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Название Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941
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Жанр Историческая литература
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Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534720613



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Daß dennoch eine Reihe der Mörder im Laufe der 1950er Jahre auf dem Gnadenweg freikam, resultierte aus dem westdeutschen Bestreben, die Remilitarisierung im Rahmen der NATO von einer Amnestie der „Kriegsverurteilten“ abhängig zu machen,59 und hatte nichts mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der EM zu tun.

      Das Gleiche gilt für die Spruchpraxis westdeutscher Gerichte. Wenngleich die Morde einer im Rahmen der Einsatzgruppen eingesetzten Sipo- und SD-Einheit – des sogenannten Tilsiter Sonderkommandos – 1957 für die Wiederaufnahme von NS-Ermittlungen in der Bundesrepublik eine erhebliche Rolle spielten, kamen Einsatzgruppenangehörige in aller Regel strafrechtlich glimpflich davon. Dabei kam ihnen die Berufung auf einen vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ ergangenen und von den Historikern damals weitgehend kritiklos angenommenen, in Wahrheit aber gar nicht existenten Judenvernichtungsbefehl Hitlers zuhilfe. Dr. Martin Sandberger – Chef des Sonderkommandos 1a und KdS in Estland – starb im März 2010, ohne daß ihm nach seiner Entlassung aus US-amerikanischer Haft im Jahre 1958 von deutschen Staatsanwälten mehr als oberflächliches Interesse entgegengebracht worden wäre.60

      Die Idee, relativ kleine, hochmobile Einheiten mit besonders qualifizierten Gestapo-, Kripo- und SD-Männern zur raschen Bekämpfung sicherheitspolizeilich gefährlicher Gegnergruppen einzusetzen, kam der SS-Spitze nicht erst im Krieg. Einsatzgruppen fanden beim „Anschluß“ Österreichs im März 1938 erstmals Anwendung und gehörten seitdem bis unmittelbar vor Kriegsende zum Standardrepertoire nationalsozialistischer Herrschaftspolitik, mit tödlichen Folgen für alle als „Reichsfeinde“ stigmatisierten Personen.61 Daß die Einsatzgruppen auf dem Boden der Sowjetunion im Zusammenwirken mit der Wehrmacht anders verfahren würden als 1940 in Westeuropa, wo Heydrich seine Untergebenen angewiesen hatte, „jederzeit und in jeder Lage, besonders der einheimischen Bevölkerung gegenüber, sich vollständig einwandfrei und zurückhaltend zu verhalten“,62 stand schon in der Planungsphase des „Unternehmens Barbarossa“ fest. In Osteuropa galten nach Einschätzung der deutschen Verantwortlichen – von überzeugten Nazis über nationalkonservative Militärs bis hin zu ordnungsliebenden Bürokraten – andere Regeln. Sipo und SD bildeten dort die Speerspitze im Kampf gegen all jene, die der deutschen Gewaltherrschaft gefährlich werden konnten, unabhängig davon, ob das eroberte Gebiet unter militärischer oder ziviler Verwaltung stand.

      Schon der Überfall auf Polen 1939 brachte massive, teilweise von Wehrmachtseinheiten, besonders aber von den Einsatzgruppen verübte Gewaltexzesse mit sich, denen allein in den annektierten Gebieten mehr als 60000 Menschen zum Opfer fielen.63 Himmler stellte durch die Etablierung von HSSPF sicher, daß im Besatzungsgebiet alle Teilinstanzen seines Apparats – Sipo, SD, Ordnungspolizei und Waffen-SS – über die Kontrolle durch die betreffenden Berliner Hauptämter hinaus funktional verschränkt wurden, auch wenn diese Doppelunterstellung gelegentlich für Unklarheiten sorgte. Auf schriftliche Anordnungen konnten und wollten sich die Einheitsführer vor Ort nicht verlassen, denn Realität und Rahmenbefehle klafften bereits 1939 weit auseinander. In den Richtlinien, die die Führer der fünf Einsatzgruppen vor Kriegsbeginn erhalten hatten, war von Massenerschießungen keine Rede, sondern lediglich von der „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente“; „Misshandlungen oder Tötungen festgenommener Personen“ waren „strengstens untersagt“ und, sofern von anderen geplant, „zu verhindern“.64 Die Kluft zwischen dem Wortlaut der Befehle und der Wirklichkeit im Umgang mit „Reichsfeinden“ blieb bestehen, wurde jedoch den Bedürfnissen angepaßt. Für den Feldzug auf dem Balkan im April 1941 nannte der Einsatzbefehl des Oberkommandos des Heeres erstmals „Kommunisten und Juden“ neben anderen „Gegnern“ als Zielgruppen sicherheitspolizeilicher Intervention.65 Entsprechend halfen in der Folgezeit Heydrichs Männer insbesondere im militärverwalteten Serbien mit, die dortigen Juden als Geiseln für Partisanenanschläge zu ermorden.66

      Der deutsche Überfall auf den sowjetischen Verbündeten war von vornherein als Vernichtungskrieg geplant. Hitler gab die Marschrichtung vor, indem er im März 1941 nach den Aufzeichnungen von Generalstabschef Franz Halder den „Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander“ mit der „Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz“ verknüpfte; daß diese Gruppe dominant aus Juden bestand, verstand sich innerhalb der Funktionseliten des Regimes von selbst.67 In der Folgezeit einigten sich Wehrmacht und Sicherheitspolizei darauf, für nicht näher spezifizierte „Sonderaufgaben im Auftrag des Führers“ im Interesse der nachhaltigen und raschen „Befriedung“ des von der Wehrmacht zu erobernden Gebietes Einsatzgruppen zu verwenden, die „in eigener Verantwortung Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung“ ausführen sollten.68 Mit der Wehrmacht vereinbarte Heydrich im März 1941, daß die für das „Unternehmen Barbarossa“ vorgesehenen Einsatzgruppen im Rücken der Front operieren sollten – die Sonderkommandos in den rückwärtigen Armeegebieten, die Einsatzkommandos in den weiter westlich gelegenen rückwärtigen Heeresgebieten –, ohne dem Militär in mehr als logistischer Hinsicht unterstellt zu sein. Absprachen mit den in den jeweiligen Regionen zuständigen Militärkommandeuren erfolgten über die Ic-Offiziere der Wehrmacht. Zu den Aufgaben der Kommandos gehörten im rückwärtigen Armeegebiet die „Sicherstellung“ von Akten und anderen Materialien sowie von „besonders wichtigen Einzelpersonen (führende Emigranten, Saboteure, Terroristen usw.)“, im rückwärtigen Heeresgebiet die „Erforschung und Bekämpfung“ ziviler „Reichsfeinde“ und die „Unterrichtung“ der militärischen Befehlshaber „über die politische Lage“.69

      Ähnlich detaillierte Absprachen, wie sie die RSHA-Führung mit der Wehrmacht traf, sind innerhalb von Himmlers Apparat vor dem Überfall am 22. Juni 1941 sonst nicht dokumentiert. Wesentlich konkreter als in den Vereinbarungen mit Generalquartiermeister Eduard Wagner scheint Heydrich im Vorfeld des Krieges gegenüber seinen Männern in der Beschreibung ihres Auftrags nicht geworden zu sein, auch wenn er bei der Zusammenfassung dessen, was ihm Hermann Göring aufgetragen hatte, deutliche Worte wählte. Aus einem Vermerk Heydrichs über seine Besprechung mit diesem am 26. März 1941 geht hervor, daß der Reichsmarschall ihm gegenüber angeregt habe, „eine ganz kurze, 3–4seitige Unterrichtung“ für „die Truppe“ – gemeint waren in erster Linie Wehrmachtssoldaten, aber wohl auch Angehörige anderer Einheiten – zu erstellen zum Thema „Gefährlichkeit der GPU-Organisationen, der Polit-Kommissare, Juden usw., damit sie wisse, wen sie praktisch an die Wand zu stellen habe“.70 Soweit bekannt, ging Heydrich über diese Formulierung in seinen mündlichen oder schriftlichen Weisungen an die Einsatzgruppen nicht hinaus, sondern blieb im Gegenteil vage. Nachdem Himmler mit der Wehrmachtsführung vereinbart hatte, „zur Durchführung der mir vom Führer gegebenen Sonderbefehle für das Gebiet der politischen Verwaltung“ HSSPF einzusetzen, die – analog zu den Einsatzgruppen – der Armee wiederum lediglich in logistischer Hinsicht unterstanden, teilte Heydrich in einem wahrscheinlich kurz vor dem Überfall in 75 Exemplaren verteilten „Merkblatt für die Führer der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der Sipo und des SD für den Einsatz ‚Barbarossa‘“ mit, daß diese den HSSPF unterstanden und „loyalste Zusammenarbeit mit der Wehrmacht sicherzustellen“ hatten.71 Über die praktische Arbeit der Kommandos finden sich dort einige knappe Sätze unter der Überschrift „Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen“. Des weiteren wurden die Männer „eindringlichst unter Androhung schwerster Strafen auf tadelloses, diszipliniertes, kriegsmäßiges Verhalten“ hingewiesen, wobei „alle Alkoholexzesse“ ebenso untersagt wurden wie „jeder Umgang mit fremdrassigen Frauen“.72

      Ende Juni forderte Heydrich die Einsatzgruppen angesichts der bereits im Abklingen befindlichen Pogrome zwar auf, die „Selbstreinigungsbestrebungen“ der einheimischen Bevölkerung gegenüber Juden unauffällig zu fördern,73 schwieg sich aber ansonsten über das Vorgehen der eigenen Truppe aus. Noch in seinem Schreiben an die HSSPF vom 2. Juli 1941 – zehn Tage nach Beginn des Krieges, als die EM bereits umfangreiche Massenerschießungen vermerkten – beschrieb Heydrich die Zielgruppe derer, die – in Görings markigen Worten – „an die Wand zu stellen“ seien, wie folgt: „Zu exekutieren sind alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre