Название | Denken und Lernen |
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Автор произведения | Timo Storck |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170394940 |
Deshalb möchten wir mit dem vorliegenden Band einen Beitrag zur interdisziplinären Betrachtung der genannten Gegenstandsbereiche beitragen. Vor allem geht es uns darum, psychoanalytisches Denken auf eine Weise zugänglich zu machen, die Interesse weckt und zu kreativer Weiterentwicklung im klinischen und forscherischen Bereich anregt.
Bedanken möchten wir uns bei Cord Benecke, der den Anstoß für die Zusammenarbeit und die grobe inhaltliche Ausrichtung gegeben hat, sowie ihm und den weiteren Herausgebenden (Lilli Gast, Marianne Leuzinger-Bohleber und Wolfgang Mertens) für die Einladung zur Beteiligung an der Reihe »Psychoanalyse im 21. Jahrhundert«. Ferner gilt Guido Hesselmann unser Dank für eine kritische Durchsicht der Abschnitte zur Allgemeinen Psychologie. Außerdem danken wir Annika Grupp, Kathrin Kastl und Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer Verlag für die gewohnt angenehme Zusammenarbeit.
Heidelberg und Kassel, im Frühjahr 2021
1 Einleitung
Einführung
Freuds Anliegen ist es gewesen, in der Auseinandersetzung mit klinischer Erfahrung und durch die Untersuchung von Traum, Witz, Fehlleistung oder Symptom etwas über psychische Prozesse im Allgemeinen zu erfahren. Betrachtet man dies als Teil einer Theorie von Denkprozessen, dann ergeben sich auch in zeitgenössischer Perspektive Verbindungen zwischen Psychoanalyse und Allgemeiner Psychologie.
Lernziele
• Die Psychoanalyse mit und nach Freud nicht nur als Theorie psychischer Störungen und Methode zu deren Behandlung verstehen, sondern auch als eine allgemeine Theorie der menschlichen Psyche.
• Ein Verständnis der Berührungspunkte und Abgrenzungen zwischen Psychoanalyse und Allgemeiner Psychologie entwickeln.
Wie wir die Welt um uns herum und in uns erleben und wie wir sie psychisch handhaben, berührt alle Bereiche der Psychologie und alle Bereiche unseres täglichen Lebens, es ist – zusammen mit dem Gefühlsleben – die Grundlage für Beziehung, Kommunikation, persönliches Identitätsgefühl u. v. a.. »Denken« findet dabei nicht in einem personal-monistisch-innerlichen Rahmen allein statt, sondern beruht auf einem zuallererst wahrnehmenden Zugang zur personalen und apersonalen Umwelt. Wahrnehmungsprozesse leiten unser Erleben, sowohl im Hinblick auf sinnliche »Außen«-Wahrnehmung visueller, auditiver, taktiler, olfaktorischer u. a. Art, als auch bezogen auf die Interozeption/Introspektion, also das Wahrnehmen dessen, was »in« uns vorgeht, sowohl leiblich als auch kognitiv und emotional. Wie wir uns in der Welt erleben und wie wir darüber denken, ist neben solcher inneren und äußeren Wahrnehmung noch weiter darüber bestimmt, dass wir uns in unserer gedanklichen und der perzeptuellen Welt in einer zeitlichen Perspektive bewegen. In aller Regel stehen unser Denken und unsere (aktuelle) Wahrnehmung in einer Linie von personaler Identität über die Zeit – jeder Gedanke, jede Wahrnehmung hat insofern eine Geschichte, als Prozesse des Erinnerns (und Nicht-Erinnerns) sie steuern, hemmen, informieren oder ihr anderweitig eine Färbung geben.
Dass es sich dabei insbesondere in einem psychoanalytischen Zugang um Bewusstes und Unbewusstes dreht, wird sich im Durchgang durch die Darstellung immer wieder zeigen. Ebenso wird deutlich werden, in welcher Weise die Konzeption dessen, was unbewusst ist, sich zwischen Psychoanalyse und Allgemeiner Psychologie unterscheiden. Allerdings müssen wir im Kontext des vorliegenden Rahmens darauf verzichten, die Theorien zu Bewusstsein und Unbewusstheit den Bereichen Denken und Lernen, sowie Wahrnehmung und Gedächtnis im selben Umfang zur Seite zu stellen, auch wenn es sich um einen weiteren wichtigen Bereich der Allgemeinen Psychologie handelt (vgl. Leuzinger-Bohleber & Weiß, 2014, in der vorliegenden Reihe).
Denken und Lernen, Wahrnehmung und Gedächtnis sind also große Bereiche der Psychologie, sie gehören neben Motivation, Emotion oder Bewusstsein zu den Hauptfeldern der Allgemeinen Psychologie, deren Forschungsbereich sich über diejenigen psychischen Prozesse erstreckt, die allen Menschen gemein sind. Auch die Psychoanalyse beschäftigt sich seit Freuds Zeiten mit ihnen. Zwar ging Freud in seiner nervenärztlichen Praxis bei der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie und Behandlungsmethode von der klinischen Arbeit aus, aber neben der Entwicklung eines Verständnisses der psychodynamischen Grundlagen psychopathologischer Symptome ging es ihm von Beginn seiner psychoanalytischen Arbeiten an darum, etwas über das Funktionieren der menschlichen Psyche herauszufinden. Die Betrachtung von Träumen etwa dient daher nicht nur der Deutung von Träumen, die neurotische Patienten1 in Behandlungen einbringen, sondern immer auch der Erkundung der Mechanismen der Traumarbeit, von denen Freud – zurecht – annahm, dass es keine prinzipiell anderen seien als die des Wachbewusstseins und auch keine prinzipiell anderen als die psychisch gesunder Menschen. Freud studierte am Beispiel der Traum- oder der Symptombildung die allgemeinpsychologischen Grundlagen menschlichen Erlebens (noch deutlicher betont dies beispielsweise Hartmann, 1927).
Eine Theorie des psychischen Apparates und der Prozesse des Denkens, Lernens, Wahrnehmens und Erinnerns steht also am Ausgangspunkt und im Zentrum der psychoanalytischen Theorie. Alle vier für sich genommen große Bereiche, werden in der Psychoanalyse dadurch noch größer, dass meist ein recht weit gefasstes Verständnis vertreten wird. »Denken« ist nicht nur Kognition und umfasst nicht nur Prozesse, sondern auch Gegenstände des Denkens, also die psychische Repräsentation und die psychischen Repräsentanzen. »Wahrnehmen« bezieht sich nicht nur auf Perzeption, sondern auch auf die Introspektion. »Erinnern« (ebenso wie »Vergessen«) sind Bestandteile jedes psychischen Vorgangs, jedes psychische Erlebnis ist beeinflusst durch vorangegangene.
So sehr auch die Felder und Anliegen der Allgemeinen Psychologie des Denkens und Lernens, Wahrnehmens und Erinnerns und die Felder und Anliegen der Psychoanalyse sich also in wichtigen Bereichen ähneln und deshalb einen interdisziplinären Austausch sinnvoll erscheinen lassen, so sehr muss auch konstatiert werden, dass von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt sehr unterschiedliche Wege genommen wurden. Von beiden Seiten sind teils scharfe Abgrenzungen erfolgt und nur in Einzelfällen und spät ist es zu wirklichen interdisziplinär-wissenschaftlichen Dialogen gekommen (zu nennen sind die Arbeitsgruppe um Leuzinger-Bohleber & Pfeifer, z. B. 1998; oder auch die Arbeiten Buccis, z. B. 1997).
Die Gründe für die Abgrenzung liegen vermutlich auf Seiten der Allgemeinen Psychologie und Kognitionswissenschaften im hohen Abstraktionsgrad der psychoanalytischen Konzepte, der es traditionellerweise aufwändig bis unmöglich macht, sie in testbare Untersuchungsdesigns zu überführen. Von Seiten der Psychoanalyse sind die Gründe der Abgrenzung in einem anderen Wissenschaftsverständnis zu sehen sowie vermutlich auch in einer Vorstellung, die Verbindung würde weniger dazu führen, eine psychodynamische Perspektive stärker in akademische Diskurse einzubringen und so letztlich zu profilieren, sondern zu einem Verlust der Eigenständigkeit führen.
Unsere Perspektive ist es, dass eine konstruktive Annäherung von Psychoanalyse und Allgemeiner Psychologie für beide Disziplinen nützlich ist. Einerseits für die Allgemeine Psychologie, etwa in Form einer Ausweitung ihres Forschungsbereiches auf dynamisch unbewusste Denkvorgänge, und andererseits für die Psychoanalyse durch eine kognitionspsychologische Anreicherung und möglicherweise Konkretisierung ihres theoretischen Gerüsts. Nach Granzow (1994) kann eine Integration der beiden Disziplinen auf vier Ebenen geschehen (a. a. O., S. 197):
• auf einer deskriptiven Ebene (bzgl. der Befunde)
• auf der Ebene der (gemeinsamen) Modellbildung
• auf der Ebene einer Reformulierung der psychoanalytischen Gedächtnistheorie angesichts kognitionspsychologischer Befunde
• auf der Ebene einer Reformulierung