Название | Der Kolonisator und der Kolonisierte |
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Автор произведения | Albert Memmi |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863935764 |
Gegenbeweis: die Italiener, die aufgrund ihrer Verwandtschaft zweiten Grades mit dem Kolonisator von der Kolonisation nur aus zweiter Hand profitieren, stehen den Kolonisierten sicherlich näher als den Franzosen. Sie unterhalten mit ihnen nicht diese gezwungenen, förmlichen Beziehungen, sie haben nicht diesen Ton an sich, aus dem immer der Herr herausklingt, der sich an seine Sklaven wendet, ein Ton, von dem sich der Franzose überhaupt nicht freimachen kann. Im Gegensatz zu den Franzosen sprechen die Italiener fast alle die Sprache des Kolonisierten, pflegen mit ihnen dauerhafte Freundschaften, und, ein besonders aufschlussreiches Merkmal, sie gehen auch Mischehen mit ihnen ein. Kurz gesagt, die Italiener, die darin keinen besonderen Vorteil zu sehen vermögen, halten nicht auf große Distanz zwischen sich und den Kolonisierten. Dasselbe Resultat würde sich, um nur einige Nuancen verschoben, auch bei den Maltesern ergeben.
Die Situation der Juden – ewig schwankende und erfolglose Anwärter auf eine Assimilierung – lässt sich unter einem ähnlichen Aspekt sehen. Ihr beständiger und nur zu berechtigter Ehrgeiz dient dem Ziel, ihrer Lage als Kolonisierte zu entrinnen, eine zusätzliche Last in einer ohnehin drückenden Situation. Deshalb bemühen sie sich, dem Kolonisator zu gleichen, in der offen geäußerten Hoffnung, dass er in ihnen nicht länger etwas anderes als sich selbst sehen möge. Daher ihre Versuche, die Vergangenheit zu vergessen und gemeinsame Gewohnheiten abzulegen, daher ihre enthusiastische Übernahme der Sprache, der Kultur und der Sitten des Okzidents. Der Kolonisator weist zwar diese Aspiranten auf einen Platz unter seinesgleichen nicht immer offen zurück, aber er hat ihnen auch noch nie gestattet, einen solchen Platz zu erobern. So leben sie in einem schmerzlichen und beständigen Zwiespalt. Vom Kolonisator nicht angenommen, teilen sie manches von der konkreten Situation des Kolonisierten und sind mit ihm tatsächlich in vieler Hinsicht solidarisch, aber im Übrigen lehnen sie die Werte des Kolonisierten ab, als gehöre dieser einer untergehenden Welt an, der sie mit der Zeit zu entrinnen hoffen.
Die seit kurzem Assimilierten sind im Allgemeinen weitab vom durchschnittlichen Kolonisator anzusiedeln. Jeder von ihnen möchte den anderen als Kolonisator übertrumpfen; sie tragen eine stolze Verachtung des Kolonisierten zur Schau und kehren beständig ihren erborgten Adel heraus, was häufig ihre bürgerliche Rohheit und ihre Gier kaschieren soll. Noch zu unsicher im Umgang mit ihren Privilegien, können sie diese nur in Angst genießen und verteidigen sie besonders erbittert. Und wenn die Kolonisation einmal in Gefahr gerät, so stellen sie deren tatkräftigste Verteidiger, ihre Stoßtruppen und hier und da auch ihre Provokateure. Jene Kolonisierten, die eine Position unter den Behördenangestellten, Führungskräften, Polizisten oder als Kaid* usw. erlangt haben, bilden eine Gruppe, die das Ziel verfolgt, ihrer politischen und gesellschaftlichen Situation zu entfliehen. Indem sie sich jedoch entscheiden, zu diesem Zweck in den Dienst des Kolonialherren zu treten und ausschließlich seine Interessen zu verteidigen, übernehmen sie am Ende auch seine Ideologie, sogar den eigenen Leuten und sich selbst gegenüber.
Sie alle schließlich, die mehr oder weniger mystifiziert, mehr oder weniger Nutznießer sind, sie werden so weit missbraucht, dass sie das ungerechte System akzeptieren (indem sie es verteidigen oder sich damit abfinden), das so schwer auf dem Kolonisierten lastet. Ihre Verachtung kann nur eine Entschädigung sein für ihr Elend, so wie auch der europäische Antisemitismus nur allzu oft eine bequeme Ablenkung ist. Das also ist das Prinzip der Pyramide der kleinen Tyrannen: jeder wird von einem Mächtigeren gesellschaftlich unterdrückt und findet immer einen weniger Mächtigen, auf den er sich stützen und dem gegenüber er selbst Tyrann sein kann. Welche Genugtuung und welcher Stolz für einen kleinen Schreiner, der nicht kolonisiert ist, neben einem arabischen Hilfsarbeiter einherzugehen, der auf dem Kopf eine Bretterdiele und ein paar Nägel trägt! Für alle existiert zumindest jene tiefe Befriedigung, im Schlechten besser dazustehen als der Kolonisierte: sie sind niemals so ganz und gar in jene Erniedrigung verstrickt, in die sie durch die koloniale Tatsache gedrängt werden.
Vom Koloniebewohner zum Kolonisator
Den Koloniebewohner gibt es nicht, da es nicht vom einzelnen Europäer in den Kolonien abhängt, ob er Koloniebewohner bleibt, selbst wenn er die Absicht dazu hätte.
Ob er es ausdrücklich gewünscht hat oder nicht, er wird durch die Institutionen, die Sitten und die Menschen als Privilegierter empfangen. Vom Zeitpunkt seiner Ankunft oder von Geburt an befindet er sich in einer Situation vollendeter Tatsachen, in der sich jeder Europäer befindet, der in der Kolonie lebt, und die ihn zum Kolonisator macht. Tatsächlich stellt sich jedoch das moralische Grundproblem für den Kolonisator nicht auf dieser Ebene, nämlich das der Verpflichtung seiner Freiheit und damit seiner Verantwortung. Er hätte zweifellos auch die Wahl gehabt, das koloniale Abenteuer nicht zu wagen, aber sobald das Unternehmen gestartet ist, hängt es nicht mehr von ihm ab, dessen Bedingungen abzulehnen. Wir müssen noch hinzufügen, dass er sich vielleicht als Opfer dieser Bedingungen gefunden hat, unabhängig von jeder vorherigen Wahl, wenn er in der Kolonie als Kind von Kolonisatoren geboren wurde oder wenn er zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den realen Sinn der Kolonisation wirklich nicht gekannt hat.
Das eigentliche Problem des Kolonisators stellt sich auf einer zweiten Ebene: wenn er einmal den Sinn der Kolonisation erkannt und sich seine eigene Lage sowie die des Kolonisierten und die notwendige Beziehung zwischen beiden bewusst gemacht hat, wird er dann diese Bedingungen akzeptieren? Wird er sich als Privilegierten verneinen oder bejahen und so das Elend des Kolonisierten, dieses zwangsläufige Korrelat seiner Privilegien verstärken? Wird er Usurpator bleiben und damit die Unterdrückung und das Unrecht gegenüber dem eigentlichen Einwohner der Kolonie bestätigen, diese notwendigen Bedingungen der eigenen weitgehenden Freiheit und des eigenen Prestiges? Wird er sich schließlich als Kolonisator bejahen, dieses Bild von ihm, das bereits auf ihn wartet, von dem er spürt, wie es bereits Gestalt annimmt unter der beginnenden Gewöhnung an das Privileg und die Unrechtmäßigkeit, ständig unter den Blicken der Usurpierten? Wird er sich mit dieser Situation abfinden, mit diesem Blick und mit seiner eigenen Verurteilung, der er bald nicht mehr entgehen kann?
*Höherer arabischer Beamter im Dienst der Kolonialmacht (A.d.Ü.)
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