Operation Terra 2.0. Andrea Ross

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Название Operation Terra 2.0
Автор произведения Andrea Ross
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783967525373



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seine Tochter in deren Arbeitsraum auf. Sie bearbeitete neuerdings Anregungen und Anfragen, die aus verschiedensten Sektionen an die Regentenfamilie gerichtet wurden. Es war höchste Zeit zu handeln, und Alanna junior war sein genauso wunderhübscher wie hochintelligenter Trumpf im Ärmel. Er benötigte dringend ihre Hilfe.

      Das inzwischen 1 KATUN und zwei TUN alte Abbild der älteren Alanna blickte hocherfreut von seiner Arbeit auf. Die junge Frau erkannte in dem unangemeldeten Besucher ihren verehrten Vater. Ihn und seine Tochter verband zum Leidwesen der eher kühlen Mutter eine innige, bedingungslose Liebe. Im selben Maße, wie die Ältere verblühte, wurde die jüngere Version jeden KIN attraktiver. Hingerissen betrachtete Kiloon ihr ebenmäßiges Antlitz.

      »Vater, wie schön … stimmt etwas nicht? Du guckst heute so verbissen drein«, bemerkte die Thronfolgerin besorgt.

      »Mir hat die Tragödie auf dem Mars einige schlaflose Nächte bereitet. Sicher, von unseren Leuten hat niemand Schaden genommen, aber die Terraner sterben wie die Fliegen. Es muss grausam sein, so hilflos dahin zu siechen, den sicheren Tod vor Augen. Gestern sah ich mich meinem Seelenheil zuliebe veranlasst, ein paar Recherchen anzustellen. Und siehe da, ich wurde fündig. Jemand hat das Unglück absichtlich herbeigeführt, ich bin mir ganz sicher.«

      »Absichtlich? Aber wer könnte … oh!« Alanna junior stockte mitten im Satz. Ihr fiel siedend heiß ein, wer sich momentan in der CydoniaRegion aufhielt. Sie wusste, wie sehr die terrestrischen Siedler ihrer Mutter ein Dorn im Auge gewesen waren. Ihre Miene verfinsterte sich. Ins Blau ihrer Augen mischte sich ein stählerner Grauton. Sie beugte sich vor.

      »Was hast du herausgefunden?«

      »Das Alarmsystem in der Metropole wurde ausgelöst, bevor die Messgeräte der Atomanlage anschlugen und den rapiden Strahlungsanstieg meldeten. Die Alarmfunktion war jedoch deaktiviert. Im Übrigen hat der Reaktor stets einwandfrei funktioniert, war zuletzt drei KIN vor dem Ereignis gewartet worden. Wieso hätte das Kühlsystem plötzlich ausfallen sollen?«

      Seine Tochter senkte den Kopf, wirkte sehr traurig. »Und die Atomtechnik gehört in Mutters Sektion. Sie war mit Sicherheit in der Lage, die Kühlung der alten Anlage herunterzufahren. Über ihre Motive brauchen wir sowieso nicht lange nachzudenken«, ergänzte sie Kiloons Ausführungen.

      »Du hast es erfasst. Nur sind wir die Einzigen, die es wagen, solche Rückschlüsse zu ziehen. Sie wird mal wieder ungeschoren davon kommen und weiter ihr Unwesen treiben können. Ich bedaure sehr, dass die uralten Statuten unserer Dynastie keine Regelung für den Fall enthalten, dass eine angeheiratete Regentin den rechtmäßigen Regenten übergeht und egozentrisch eigene Entscheidungen trifft. Was sie natürlich sehr genau weiß. Es gibt nur einen einzigen Weg, sie abzusetzen, bevor sie noch größeren Schaden anrichten kann. Und hier, meine Liebe, kommst du ins Spiel!«

      »Ich? Wenn ich irgendwie helfen kann, werde ich es tun!«

      »So kenne ich mein Mädchen«, lächelte Kiloon.

      »Also hör gut zu. Sobald man die Oberfläche in der verstrahlten Region wieder betreten kann, wird deine Mutter hierher zurückkehren. Gleich darauf wirst du zum Mars reisen. Mit der Begründung, dass jemand aus der Regentenfamilie dauerhaft vor Ort sein sollte, um den Fortgang der Arbeiten zu überwachen und Präsenz zu zeigen.

      Versuche, möglichst große Teile der dortigen Bevölkerung hinter dich zu bringen. Das sollte dir nicht schwer fallen. Du weißt ja, welche Bevölkerungsteile zuerst dorthin ausgesiedelt wurden. Auf dem Mars tummeln sich momentan genau Diejenigen, welche mit dem hiesigen Gesellschaftssystem unzufrieden waren und nach Veränderung lechzen.

      Außerdem nehme ich an, dass die Tiberianer dort ziemlich schockiert darüber sind, was mit den terrestrischen Nachbarn geschehen ist. Mutter hat bereits fleißig herumposaunt, dass es um die minderwertige Menschenrasse nicht schade sei. Das dürfte Vielen missfallen. Wenn nun eine jüngere Version dieser eiskalten Alanna daherkommt, die viel umgänglicher ist, sollte sie leichtes Spiel haben.

      Mit anderen Worten: Du sollst über kurz oder lang die Regentin auf dem Mars werden, während sich Tiberia nach und nach entleert und die Bevölkerung so ganz automatisch zu dir überläuft. Ehe es sich meine liebe Gattin versieht, hat sie nichts mehr zu melden, weil ich selbstverständlich hinter dir stehen und die Vorgänge billigen, ja, mehr noch, im richtigen Augenblick freiwillig abdanken werde.«

      Die junge Frau war baff. »So sehr vertraust du mir?«

      »Ja. Du hast ein gutes Herz. Ich weiß, dass du die Rettung für unsere Gesellschaft bist. Mir selbst liegt nichts an Macht, ich würde lieber ein ruhigeres Leben führen. Wahrscheinlich habe ich damals deswegen in übergroßer Duldsamkeit zugelassen, dass Alanna mir das Ruder aus der Hand nimmt. Es war, jetzt im Nachhinein betrachtet, ein riesengroßer Fehler.

      Es tut mir in der Seele weh, dass du ihn nun an meiner Stelle ausbügeln sollst. Und doch denke ich, Tiberia und unsere Familie werden letzten Endes von diesem Schachzug profitieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns in ihrer Egomanie alle samt in den Abgrund reißt. Eine CALABTUN alte Zivilisation steht auf dem Spiel. Du bist die Zukunft, mein Schatz.«

      Alanna sprang auf, flog ihm gerührt in die Arme. Vater und Tochter hielten sich lange fest, ehe die designierte Thronfolgerin mit Tränen in den Augen nickte und ihm feierlich zusicherte, dass sie sein Vertrauen zu schätzen wüsste.

      *

      Mit jedem KIN, der nach diesem innerfamiliären Gespräch ins Land ging, verlor Alanna senior an Rückhalt, ohne es zu ahnen. Sie freute sich diebisch, dass ihre fiese Aktion augenscheinlich prima funktioniert hatte. Auf dem Mars kamen zurzeit keine terrestrischen Kolonisten mehr an. Das scheinbare Erfolgserlebnis lullte sie ein, trübte ihre sonst so scharfen Sinne.

      Die Regentin bemerkte lange nichts von den Vorgängen auf dem Mars, schon weil sie sich mit den dortigen Untertanen kaum befasste. Auf Tiberia umgab sie sich die meiste Zeit über mit ihren Getreuen, mit willenlosen Speichelleckern und den nüchtern denkenden Wissenschaftlern aus ihrer angestammten Sektion. Wie eine Spinne in ihrem Netz saß sie im Regentenpalast, glaubte alles im Griff zu haben.

      Noch immer galt es, zahllose technische Probleme zu lösen, die mit der Besiedlung einer komplett unterirdisch gelegenen Stadt zwangsläufig einhergingen. Eines musste ihr der Neid lassen: Die Vorderste der Sektion Wissenschaft, Geschichte, Archiv und Schrift verstand es meisterlich, stets kompetente und hoch motivierte Leute aufzutreiben, die sich unter ihrer Federführung darum kümmern konnten. Etliche neue Städte entstanden in der neuen und alten Heimat, die, gleich einem reanimierten Patienten, frische Lebensfreude ausstrahlte.

      Das Marsklima stabilisierte sich zunehmend, es entstand ein leistungsfähiges Ökosystem. Sauerstofferzeugende Grünflächen und Wettersysteme bildeten sich aus. Schon bald würde man die Atmosphärenkraftwerke abschalten können, weil der Planet selbst in der Lage wäre, seine Lebewesen zu erhalten.

      Ein TUN nach der Nuklearkatastrophe kamen wieder neue Siedler von Terra. Sie wagten es nicht mehr, in der CydoniaRegion zu siedeln, sondern wählten einen Ort namens Hypanis Vallis. Er lag in der Xanthe TerraRegion, unweit der tiberianischen Atmosphärenkraftwerke.

      Die Bevölkerungszahl auf Tiberia reduzierte sich innerhalb weniger TUN spürbar. Unablässig rauschten monströse Raumfrachter durch den gekrümmten und damit stark verkürzten Raum zwischen Tiberia und dem Mars. Längst handelte es sich nicht mehr nur um lästige Unruhestifter und Glücksritter, die man elegant loswerden wollte.

      Mittlerweile konnten in einigen der insgesamt dreihundert Distrikte mehrere Untersektionen aus personellen Gründen nicht mehr aufrechterhalten werden, so dass man sie mit denen angrenzender Distrikte zusammenfassen musste. Die logistischen Schwierigkeiten bei der Versorgung des halb verlassenen Himmelskörpers nahmen kontinuierlich zu.

      Inzwischen war abzusehen, dass nicht alle Einwohner Tiberias zum Mars umzusiedeln gedachten. Am Ende sollte also eine Kolonie bestehen bleiben, die das bisherige Leben unverändert weiterhin aufrechterhalten würde. Diese eingeschworenen Traditionalisten hielten partout nichts von Familienverbänden und dem monetären System, das Alanna auf dem Mars installieren