Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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fehlte. Alles Dynamische fand im Bereich des spiritualisierten Mentals und des vital-physischen Bewusstseins statt. In diesem Yoga erhebt sich das Bewusstsein (nachdem der untere Bereich durch eine gewisse seelisch-spirituell-okkulte Erfahrung vorbereitet wurde) über den brahmarandhra zu den Bereichen darüber, die dem eigentlichen spirituellen Bewusstsein angehören, und anstatt nur von dort zu empfangen, muss es dort leben und von dort das untere Bewusstsein insgesamt verändern. Denn dort gibt es eine Dynamik des spirituellen Bewusstseins, dessen Natur Licht ist, Macht, Ananda, Frieden, Wissen, unendliche Weite; und all das muss erlangt werden und in das ganze Wesen herabkommen; andernfalls kann man wohl mukti erreichen, doch nicht Vervollkommnung oder Umwandlung (eine entsprechende seelisch-spirituelle Wandlung ausgenommen). Wenn ich dies nun ausspreche, wird sich ein großes Geschrei erheben gegen die unverzeihliche Anmaßung, ein Wissen zu beanspruchen, das die alten Weisen und Heiligen nicht besessen haben sollen, und vorzugeben, sie zu übertreffen. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass in den Upanishaden (besonders der Taittiriya) Andeutungen dieser höheren Ebenen und ihrer Natur zu finden sind sowie der Möglichkeit, das gesamte Bewusstsein in ihnen zu sammeln und in sie aufzusteigen. Doch dies wurde später vergessen, und man sprach nur noch von der buddhi als dem Höchsten mit dem Purusha oder Selbst unmittelbar darüber, aber eine klare Vorstellung von diesen höheren Ebenen gab es nicht. Ergo, ein Aufstieg zu unbekannten und unbeschreiblichen himmlischen Regionen im samadhi-Zustand ist möglich, doch kein Herabkommen – daher von dort auch keine Hilfe und keine Möglichkeit der Umwandlung auf Erden; nur Flucht aus dem Leben und mukti in Goloka, Brahmaloka, Sivaloka oder im Absoluten.

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      Es ist durchaus möglich, dass Menschen das Herabkommen empfangen können ohne zu bemerken, dass es ein Herabkommen ist, da sie nur das Resultat wahrnehmen. Der übliche Yoga geht über das spirituelle Mental nicht hinaus – man fühlt am höchsten Punkt des Kopfes die Einung mit dem Brahman, doch ein Bewusstsein über dem Kopf nimmt man nicht wahr. In gleicher Weise fühlt man im üblichen Yoga das Aufsteigen des erwachten niederen Bewusstseins (Kundalini) zum brahmarandhra, wo die Prakriti sich mit dem Brahman-Bewusstsein verbindet, doch fühlt man kein Herabkommen. Manche mögen diese Dinge erlebt haben, doch weiß ich nicht, ob sie deren Natur, Prinzip oder Stellung in einer vollständigen Sadhana erkannten. Zumindest habe ich nie über diese Dinge von anderen gehört, bevor ich sie in meiner eigenen Erfahrung entdeckte. Der Grund hierfür ist, dass die alten Yogis, sobald sie sich über das spirituelle Mental erhoben, in den samadhi-Zustand eintraten, was bedeutet, dass sie keinen Versuch machten, auf diesen höheren Ebenen bewusst zu sein; ihr Ziel war, in das Überbewusste einzutreten und nicht das Überbewusste in das Wachbewusstsein herabzubringen, welches das Ziel meines Yoga ist.

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      Im Veda gibt es nicht die Vorstellung oder Erfahrung einer persönlichen Emanation oder Inkarnation eines der vedischen Götter. Wenn die rsis von Indra oder Agni oder Soma im Menschen sprechen, dann meinten sie Gott in seiner kosmischen Gegenwart, Macht oder Funktion. Das geht deutlich aus dem Gesagten selbst hervor, nämlich wenn sie von Agni als dem Unsterblichen in den Sterblichen sprechen, vom unsterblichen Licht im Menschen, vom inneren Krieger, vom Gast im menschlichen Wesen. Ebenso ist es mit Indra oder Soma. Das Erschaffen der Götter im Menschen bedeutet ein Hervorbringen göttlicher Mächte in der menschlichen Natur, zum Beispiel Indra, die Macht des Lichts, Soma, die Macht des Ananda.

      Kein Zweifel, die rsis fühlten die unmittelbare Gegenwart der Götter über sich, ganz nahe, um oder in sich, doch war dies eine allgemeine Erfahrung aller, nicht etwas Besonderes und Persönliches, nicht eine Emanation oder Inkarnation. Man kann die Gegenwart des Göttlichen, eine göttliche Macht über dem Kopf oder im Herzen sehen oder fühlen, oder man kann die Gegenwart in einem oder allen Zentren fühlen, die lebendige Form dort sehen; man kann davon in seinem ganzen Tun, in seinen Gedanken und Gefühlen gelenkt werden; man kann seine gesonderte Personalität in ihr verlieren, kann sich mit ihr identifizieren oder mit ihr verschmelzen. Doch all dies macht keine Inkarnation oder Emanation des Göttlichen oder der Macht aus. Solche Dinge sind universale Erfahrungen, die jeder Yogi erreichen kann; einen solchen Zustand im Hinblick auf das Göttliche zu erlangen ist sogar ein allgemeines Ziel des Yoga.

      Eine Inkarnation ist etwas mehr, etwas Spezielles und Individuelles für ein individuelles Wesen. Es ist die Ersetzung der menschlichen Person durch die Person eines göttlichen Wesens und sein Eindringen in alle Regungen, wodurch diese und die gesamte menschliche Natur eine dynamisch-persönliche Wandlung erfahren; und zwar nicht nur eine Wandlung des Bewusstseins-Charakters oder eine allgemeine Überantwortung, sondern eine subtile, innere, persönliche Wandlung. Doch sogar bei einer Inkarnation von Geburt an müssen die menschlichen Elemente mit einbezogen werden, bei einem Herabkommen jedoch findet eine totale, bewusste Ersetzung statt.

      Dies ist ein langer, subtiler und anhaltender Vorgang. Die sich inkarnierende Person wirft ihre Schatten zunächst als Einfluss, dann tritt sie in die Zentren, eines nach dem anderen ein, manchmal in der gleichen Form, manchmal in verschiedenen Formen, und erfasst dann die gesamte Natur und ihre Tätigkeiten. Was du beschreibst, stimmt mit diesem Vorgang nicht überein; es scheint sich um ein Bemühen zu handeln, die Götter im vedischen Sinn und auf die vedische Weise in dir zu formen. Das kann, wenn es Erfolg hat, ihre Macht und eine Empfindung ihrer Gegenwart mit sich bringen, doch kann es keine Inkarnation herbeiführen. Eine Inkarnation ist vorherbestimmt, für dich erwählt; die menschliche Person kann eine Inkarnation weder wählen noch durch ihren persönlichen Willen für sich erschaffen. Dies zu versuchen hieße, eine spirituelle Katastrophe herbeizuführen.

      Eines muss gesagt werden – eine Inkarnation ist nicht das Ziel dieses Yoga; sie ist lediglich eine Gegebenheit oder ein Mittel zum Zweck Das eine und einzige Ziel, das wir vor uns haben, ist, das supramentale Bewusstsein und die supramentale Wahrheit in die Welt herabzubringen; die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist unser Ziel, und wenn wir die Wahrheit nicht verkörpern können, zählen hundert Inkarnationen nicht. Doch das wahre Supramental herabzubringen und allem mentalen Wirrwarr zu entkommen, ist nicht einfach. Das reine Herabkommen der Sonnen in die Zentren, selbst aller sieben Sonnen in alle sieben Zentren ist nur ein Anfang; es ist nicht die vollbrachte und beendete Sache selbst. Man mag das Herabkommen der Sonnen fühlen, man mag eine Inkarnation versuchen oder beginnen und doch am Ende scheitern, wenn sich ein Makel in der Natur findet oder man im Bestehen von Prüfungen und in der Erfüllung all der harten Bedingungen für einen vollkommenen spirituellen Erfolg versagt. Nicht nur die ganze mentale, vitale und physische Natur des unwissenden menschlichen Wesens muss überwunden und gewandelt werden, sondern auch die drei Bereiche des mentalen Bewusstseins, die zwischen dem menschlichen und supramentalen Bewusstsein liegen und die, wie das gesamte Mental, große und entscheidende Fehler zulassen können. Bis dahin mag der supramentale Einfluss herabkommen, das Licht, die Macht, der Ananda, doch die supramentale Wahrheit kann nicht in Besitz genommen und geordnet und in die gesamte menschliche Natur gebracht werden. Zuvor aber ist nicht einmal daran zu denken, das Supramental zu besitzen, denn das wäre eine Täuschung und würde die Erfüllung verhindern.

      Und noch eines: je intensiver die Erfahrungen sind, je höher die Kräfte, die herabkommen, umso größer werden die Möglichkeiten des Abweichens und Irrens. Denn gerade die Intensität und Höhe der Kräfte erregen und vergrößern die Bewegungen der niederen Natur und lassen alle widersetzlichen Elemente sich in ihrer vollen Stärke erheben, häufig in der Verkleidung der Wahrheit und die Maske einer einleuchtenden Rechtfertigung tragend. Große Geduld wird benötigt, Besonnenheit, Ernsthaftigkeit, Gleichgewicht, ein unpersönliches Losgelöstsein und eine Wahrhaftigkeit, die frei von jedem Makel durch das Ego oder persönliches, menschliches Begehren ist. Es darf kein Verhaftetsein mit einer eigenen Idee geben, mit einer Erfahrung, mit irgendeiner Einbildung, mit einem mentalen Gerüst oder einem vitalen Begehren; der Lichtstrahl der Unterscheidung muss immer spielen, um diese Dinge aufzudecken, wie richtig und einleuchtend sie auch erscheinen mögen. Andernfalls wird sich die Wahrheit in ihrer Reinheit in der menschlichen Natur nicht festigen können.

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      Die beschriebenen Methoden sind die gut fundierten Methoden des Jnana-Yoga. 1. Eingleisige Konzentration, der die Loslösung vom Denken folgt, 2. die Methode, das wahre Selbst zu unterscheiden oder zu entdecken, indem man es vom Mental, Leben und Körper trennt und zu dem reinen „Ich“ dahinter gelangt; dieses [Selbst]