Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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ist das grundlegende Instrument der Manifestation, und ohne sie wäre die Manifestation etwas Unvollständiges. Das Formlose geht logischerweise der Form voran, und dennoch kann man annehmen, dass die Form dem Formlosen innewohnt und bereits in mystischer Latenz besteht – wie könnte sie sonst manifestiert werden? Denn jeder andere Vorgang wäre die Erschaffung des Nicht-Existenten und keine Manifestation. In diesem Falle wäre es gleicherweise logisch anzunehmen, dass es eine ewige Form Krishnas gibt, einen Geist-Körper. Was die höchste Wirklichkeit anbelangt, so ist sie zweifellos ein Absolutes Sein, doch ist sie nur das? Absolutes Sein als Abstraktion kann alles andere ausschließen und auf eine Art sehr positiver Null hinauslaufen; doch Absolutes Sein als Wirklichkeit – wer vermöchte zu bestimmen und zu sagen, was in seinen unergründlichen Tiefen, in seinem grenzenlosen Mysterium enthalten ist oder nicht? Das Mental vermag das Absolute Sein nur als Negation seiner eigenen räumlichen, zeitlichen oder anderen Vorstellungen aufzufassen. Doch kann es nicht wissen, was sich am Grunde der Manifestation befindet, was die Manifestation ist oder warum es überhaupt eine Manifestation dieser positiven Null gibt – und die Vaishnavas, das dürfen wir nicht vergessen, stimmen dieser Auffassung als absoluter und ursprünglicher Wahrheit des Göttlichen nicht zu. Es ist daher strenggenommen nicht unmöglich, dass das, was wir als räumliche Form auffassen und wahrnehmen, mit einer Macht des raumlosen Absoluten korrespondiert. Ich behaupte dies nicht als letzte Definition der Wahrheit, ich versuche lediglich darzulegen, dass der Standpunkt der Vaishnavas weit davon entfernt ist, logisch oder metaphysisch zu sein.

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      Die Vaishnavas anerkennen die Welt als lila, doch die wahre lila ist woanders, im ewigen Brindavan. Alle Religionen, die an eine persönliche Gottheit glauben, betrachten das Universum als Wirklichkeit, als lila oder Schöpfung, die durch den Willen Gottes entstand, doch auf Zeit und nicht auf ewig. Das Ziel ist der ewige Zustand darüber.

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      Die Vorstellung eines zeitweiligen Königreichs des Himmels auf Erden ist in den Puranas enthalten und wurde von einigen Vaishnava-Heiligen oder Dichtern übernommen; das ist aber eine Vorstellung des Glaubens, die einer philosophischen Grundlage entbehrt. Ich glaube, die tantrische Überwindung der Unvollkommenheit ist eine individuelle und keine kollektive Verwirklichung.

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      Du beschreibst das reiche, menschlich egoistische Leben, das du hättest führen können, und sagst „nicht gerade ein armseliges Leben, wie du zugeben wirst“. Auf dem Papier, so wie du es beschreibst, klingt es sehr erhebend und befriedigend. Doch es enthält keine echte oder endgültige Befriedigung, außer für jene, die zu gewöhnlich oder unbedeutend sind, um etwas anderes zu suchen, und selbst sie sind nicht wirklich zufrieden oder glücklich – und schließlich erschöpft es sich und wird schal. Sorge und Krankheit, Zusammenstöße und Streit, Enttäuschung, Desillusionierung und alle Arten menschlicher Leiden stellen sich ein und lassen des Lebens Glanz verblassen – und am Ende dann Verfall und Tod. Dies ist das vitale, egoistische Leben, das der Mensch in allen Zeitaltern vorfand und dem ein Teil deines Vitals nachtrauert. Du legst soviel Wert auf das Wünschenswerte eines rein menschlichen Bewusstseins und übersiehst, dass Leid sein Kennzeichen ist. Wenn sich das Vital der Wandlung vom menschlichen ins göttliche Bewusstsein widersetzt, dann verteidigt es sein Recht, sich zu sorgen und zu leiden und all das Übrige, das zweifellos in einigen vitalen oder mentalen Vergnügungen und Befriedigungen seine Abwechslung und Erleichterung findet, doch nur eine sehr teilweise Erleichterung auf beschränkte Sicht. In deinem eigenen Fall begann es bereits schal zu werden, und das ist der Grund, weshalb du dich davon abwandtest. Kein Zweifel, da waren die Freuden des Intellektes und des künstlerischen Schaffens, doch ist ein Mensch nicht nur Künstler, sondern in ihm ist auch der äußere, ganz menschlich niedere vitale Teil, und in allen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist er der ungestümste und beharrlichste. Doch was in dir war unbefriedigt? Es war vor allem die innere Seele und durch sie das höhere Mental und Vital. Warum also beschuldigst du das Göttliche, dich in die Irre geführt zu haben, als sie [die Seele] sich dem Yoga zuwandte und dich hierher brachte? Du folgtest einfach der Forderung deines inneren Wesens und höheren Teils deiner Natur. Deine Schwierigkeit und Rastlosigkeit rühren daher, dass du noch immer gespalten bist und etwas in deinem niederen Vital dem nachtrauert, was es verloren hat; und als sofort zu entrichtenden Preis für seine Einwilligung oder als Gegenleistung fordert es etwas Ähnliches oder Gleichwertiges im spirituellen Leben. Dein niederes Vital weigert sich, daran zu glauben, dass es eine größere Entschädigung gibt, ein größeres vitales Leben, das auf es wartet, etwas Sicheres, in dem es nicht die alte Unzulänglichkeit und Unruhe und zuletzt Unzufriedenheit gibt. Die Torheit liegt nicht bei der göttlichen Führung, sondern in dem unvernünftigen und hartnäckigen Widerstand dieses verworrenen, dunklen Teils in dir gegen die Forderung, die nicht nur dieser Yoga, sondern alle Yogasysteme erheben – gegen die Bedingungen, die erforderlich sind, damit die Sehnsucht deiner Seele und höheren Natur befriedigt werde.

      Das „menschlich“ vitale Bewusstsein bewegte sich immer zwischen diesen beiden Polen, dem gewöhnlichen vitalen Leben, das nicht befriedigen kann, und der Abkehr davon, der Askese. Indien ist voll durch dieses Auf und Ab gegangen, Europa beginnt wieder einmal, nach schwerer Prüfung das Versagen eines rein vitalen, egoistischen Lebens zu empfinden. Die traditionellen Yogasysteme, auf welche du anspielst, gründen auf dieser Bewegung zwischen den beiden Polen. Einerseits gehen Shankara und Buddha und die meisten anderen wenn auch nicht den gleichen Weg, so doch in diese Richtung; andererseits sind Vaishnavismus oder Tantrismus Richtungen, die Asketentum mit einer Sublimierung des vitalen Impulses zu verbinden suchen. Und wo enden sie alle? Sie fallen zum anderen Pol zurück, zu einer Überflutung durch das Vital, ja zu einer Entartung und einem Verlust ihres Geistes. Die allgemeine Tendenz heutzutage läuft auf den Versuch hinaus, einen Ausgleich zu schaffen: du hast einige Male auf die Vertreter solcher Versuche angespielt und mich dabei um meine Meinung befragt und zum Ausdruck gebracht, dass die deine ungünstig sei. Doch diese Menschen sind nicht reine Scharlatane, und wenn mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist (was ich nicht behaupten will), dann nur dies, dass sie nicht fähig sind, dem magnetischen Sog des unteren Pols der egoistisch-vitalen Begierden-Natur zu widerstehen. Und sie sind deshalb nicht fähig zu widerstehen, da sie die wahre Kraft nicht gefunden haben, die nicht nur diesen Sog neutralisieren und Verfall und Niedergang verhindern könnte, sondern die auch die Lebenskraft und die Verkörperung in der Materie, statt sie zu zerstören und wegzuwerfen, in ihre tiefere Wahrheit umwandelte, sie nutzbar machte und ihr Genüge täte; denn dies kann nur durch die Macht des Supramentals geschehen und durch keine andere. Du spielst auf die vaishnavisch-tantrischen Traditionen an; auf Chaitanya, Ramprasad, Ramakrishna. Ich kenne sie recht gut, und wenn ich nicht versucht habe, sie nachzuahmen, dann nur, weil ich bei ihnen jene Lösung, jenen Ausgleich nicht finde, den ich suche. Dein Zitat von Ramprasad hilft mir nicht im geringsten, und es stützt auch deine These nicht. Ramprasad spricht nicht von einem verkörperten, sondern von einem körperlosen und unsichtbaren Göttlichen – oder sichtbar nur der inneren Erfahrung in feinstofflicher Form. Wenn er davon spricht, seine Forderung oder Klage der Mutter gegenüber aufrechtzuerhalten, bis sie ihn in ihren Schoß nehme, meint er keinen äußeren vitalen oder physischen Kontakt, sondern eine innere, seelische Erfahrung; genau gesagt, protestiert er dagegen, dass sie ihn in der äußeren vitalen und physischen Natur belässt, und beharrt darauf, sie müsse ihn auf die seelisch-spirituelle Ebene, in die spirituelle Einung mit ihr erheben.

      All das ist gut und schön, doch es ist nicht genug; die Einung muss tatsächlich zuerst in der inneren seelisch-spirituellen Erfahrung verwirklicht werden, denn ohne sie kann nichts Vernünftiges oder Dauerndes geschehen; es muss aber auch eine Verwirklichung des Göttlichen im äußeren Bewusstsein und Leben stattfinden, auf den vitalen und physischen Ebenen, in ihrem spezifischen Ausgerichtetsein. Dies ist es, worum du bittest, ohne dass dein Mental es versteht oder weiß, wie es geschehen soll – und ebenso ich; allein ich erkenne die Notwendigkeit der vitalen Umwandlung an, während du zu denken und zu fordern scheinst, dass es ohne radikale Umwandlung geschehen soll und man das Vital belassen kann, wie es ist. Am Anfang, bevor ich das Geheimnis des Supramentals entdeckte, versuchte ich, den Ausgleich durch eine Verbindung des spirituellen Bewusstseins mit dem Vital zu finden, doch meine Erfahrung und jede Erfahrung zeigt, dass dies zu nichts Gesichertem und Endgültigem führt – es endet, wo es begann, auf halbem Weg zwischen den beiden Polen der menschlichen Natur. Eine Verbindung ist nicht genug, eine Umwandlung ist