Lorettoberg. Volkmar Braunbehrens

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Название Lorettoberg
Автор произведения Volkmar Braunbehrens
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839241462



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Models natürlich und der ganze Regenbogenverein. Aber das wird ja nun vorbei sein. Eine solche Gesellschaft haben wir ja hier gar nicht. Zum Glück.«

      »Und so jemand will sich nun hier ansiedeln?«

      »Er ist schon da. Ich habe aber wenig von ihm bemerkt, an seinem Haus wurde lange renoviert, eine recht große, alte Villa. Er soll eine umfangreiche Kunstsammlung haben, moderne Kunst. Platz genug wird dort sein. Allein der Eingangsbereich mit einem riesigen Treppenhaus, – da lässt sich einiges unterbringen. Eine schöne Altersresidenz. Wissen Sie, dies ist eine beliebte Gegend. Das beste Wetter von ganz Deutschland, wenigstens das wärmste. Hervorragende Restaurants, gute Weine. Die Nähe zu Frankreich und der Schweiz. Hier haben sich schon immer vermögende Pensionäre gerne zur Ruhe gesetzt. Und um auf unsere Geschichte zurückzukommen: Mir liegt daran, dass es bei uns dort oben so ruhig bleibt. Deshalb möchte ich auch kein großes Aufhebens machen.«

      Die Frage blieb freilich im Raum und es dauerte recht lange, bis Graber sie beantwortet bekam, weil er sich nicht traute, sie direkt zu stellen: was er als Anwalt denn nun eigentlich dabei tun könne. Es lief darauf hinaus, die Sache mit der Versicherung zu regeln. Graber wagte nicht einzuwenden, dass dies vermutlich nur bedeute, den Schaden zu melden und bestenfalls einige Nachfragen zu beantworten. Gewiss, ein hochvermögender Wirtschaftsanwalt schlägt sich nicht gerne mit Versicherungen herum, das war Kleinkram, den man andere erledigen ließ. Und so fragte er zunächst nur, wie er denn auf ihn gekommen sei.

      »Sie wurden mir von einem Kollegen aus der Anwaltskammer genannt. Ich fragte nach einem jungen, handsamen Anwalt, der auf dem Quivive ist, auch Strafsachen bearbeitet und noch nicht überlastet ist.«

      Graber wunderte sich über die Ausdrucksweise. Vor allem das Wort ›handsam‹ überraschte ihn, es konnte nur so etwas wie ›zahm‹ bedeuten. Aber doch sicher nicht gegenüber der Versicherung? Da müsste er allerdings ›auf dem Quivive‹ sein. Also ›handsam‹ gegenüber Herrn von Hübner? Oder anders gesagt, er solle nach seiner Pfeife tanzen? Und dazu hatte man ausgerechnet ihn empfohlen? Einen Augenblick überlegte er, ob er diesen ohnehin lächerlichen Auftrag nicht ablehnen sollte. Andererseits konnte der Kontakt zu einem offenbar so bekannten und einflussreichen Herrn nur von Nutzen sein. Wofür auch immer, das ließ sich noch nicht absehen. Und so gab er sich ›handsam‹ und wartete ab, was weiter gemeint war.

      Mit einiger Umständlichkeit schälte sich heraus, dass er zunächst bei der Straßenverkehrsbehörde herausbekommen solle, – als Strafverteidiger habe man doch gewiss Kontakte dorthin (eine merkwürdige Unterstellung) –, wer hier oder in der näheren Umgebung ein solch ungewöhnliches Fahrzeug fahre. Er selbst kenne sich mit Autofabrikaten nicht aus. Er malte auf einem der leeren Notizzettel, die auf dem Schreibtisch lagen, ein Gebilde, das wie das Zeichen der Londoner U-Bahn aussah, und schrieb ›Pat…‹ dazu. Ob dann ein Strafantrag gestellt werden solle, müsse man sehen, je nachdem. (Was solche Herren sich nur vorstellen, er ist doch kein Detektivbüro.) Graber blickte etwas verlegen auf die ungelenke Zeichnung vor ihm, ließ sich das schwarze Auto noch einmal genauer beschreiben und meinte dann lakonisch:

      »Ein Nissan Patrol.«

      Der alte Herr sah ihn bewundernd an, lachte vergnügt auf und rief:

      »Großartig! Sie kennen sich offenbar bestens in dieser Szene aus. Sie sind der richtige Mann für mich.«

      Ob er Graber damit als einen Anwalt solch düsterer Gestalten wie der an seinem Überfall beteiligten identifiziert haben wollte, blieb unklar. Meinte er etwa, unter seinen Klienten könnten diese beiden zu finden sein? Wollte er ihn gar nur ausforschen? Graber wurde zunehmend etwas misstrauisch, worum es eigentlich ging, verscheuchte diese Gedanken aber wieder, als der Ehrfurcht gebietende Kollege unbekümmert fortfuhr, es könne sein, dass er mit der Zeit noch einige Aufträge mehr für ihn habe. Mit Alltagsdingen habe er keinerlei Erfahrung. (Was waren denn juristische Alltagsdinge?) Er brauche einen versierten Allrounder und wolle es gerne mit ihm, Graber, versuchen. (Ein etwas seltsames Mandat, aber, na schön.)

      Unter diesen Umständen das Beste war freilich, dass Herr von Hübner erklärte, nun gerne eine Kleinigkeit essen zu wollen, und fragte, ob Graber ihn nicht begleiten wolle. Vielleicht habe er ja auch eine Idee, wo man hier in der Nähe hingehen könne. Graber vermutete, dass dies auf eine Einladung hinausliefe und überlegte kurz, bevor er den Vorschlag machte, die ›Osteria Oporto‹ aufzusuchen. Er war sich sicher, dass dort um diese Zeit vor allem Anwaltskollegen verkehrten. Und mit Herrn von Hübner zusammen dort gesehen zu werden, machte sich sicher nicht schlecht fürs Renommee.

      Elfi wollte dem ungewöhnlichen Besucher in den Mantel helfen, aber der nahm ihn ihr dankend aus der Hand und zog ihn sich allein über. Dabei sah er sie so überaus freundlich an, als wollte er sagen, dass er solche Hilfe von einer so reizenden Dame nicht annehmen könne. Graber stand wie ein hilfloser Stoffel daneben. Schließlich verabschiedete er sich sogar noch mit einem feinfühligen Handschlag. So etwas kam in dieser Kanzlei höchst selten vor. Aber Elfi benahm sich dabei, als wäre es eine gewohnte Selbstverständlichkeit. Graber öffnete wenigstens mit komplimentierender Geste die Türe.

      *

      Noch während man ihre Schritte auf der knarzenden Treppe nach unten hörte, klingelte das Telefon. Elfi erkannte, bevor sie den Hörer abnahm, auf dem Display sogleich die Nummer und flötete los:

      »Das ist lieb, dass du anrufst. Gerade, als hättest du deine Augen überall. Eben sind alle gegangen und ich kann Pause machen.«

      »Schön für dich. Bei mir ist es wie im Taubenschlag. Ich kann auch nur ganz kurz sprechen. Sehen wir uns heute Abend?«

      »Wenn du magst.«

      »Ich möchte dich unbedingt sehen. Und vielleicht eine Kleinigkeit kochen. Du weißt, wie mir der Kantinenfraß zum Hals raushängt. Kannst du nicht schnell noch auf dem Markt vorbeigehen und etwas Gemüse besorgen? Was dir gefällt. Alles andere habe ich.«

      »Hast du spezielle Wünsche?«

      »Nun, irgendetwas für eine kleine Gemüsepfanne, wir werden schon etwas daraus zaubern. Ich möchte spätestens um sechs hier Schluss machen.«

      »Wenn nur nicht wieder etwas dazwischenkommt.«

      »Heute nicht.«

      »Bist du so sicher? Wenn wieder ein Mord passiert?«

      »Heute auf keinen Fall. Ich hab das im Gefühl. Heut ist kein Wetter dafür.«

      »Dein Wort in Gottes Ohr. Ich komme dann gegen halb sieben. Tschüs, mein Lieber.«

      »Ciao, Bella.«

      Elfi verstand dies weniger als schmeichelndes Kompliment, sondern als einen Ausdruck stiller Sehnsucht, der auch in ihr sogleich ein unbestimmtes Verlangen weckte. Ein stets präsentes Gefühl der Zugehörigkeit verband sie mit ihrem Freund Wolfgang Grabowski, etwas Selbstverständliches, das zu seiner Festigkeit keiner ständigen Beteuerungen und fortlaufenden Versicherungen durch schöne Worte bedurfte. Aus dem Alter waren sie beide heraus. Jedoch konnte sie – und er wahrscheinlich auch – aus allen gegenseitigen Worten, diesen vielstimmigen Akkorden des Alltags mit seinen Melodien aus Belanglosem und Bedeutungsvollem, stets die Grundstimme heraushören, die Nähe oder Weite ausdrückte, Wunsch oder Widerstreben, Begierde oder Erschöpfung. Dieser basso continuo begleitete sie beide und drückte eine Zugehörigkeit aus, die in ihrem realen Leben keineswegs für jeden sichtbar war. Denn sie lebten nicht zusammen, sondern jeder für sich und demonstrierten auch keine Auftritte als Paar. Das fiel ihnen leicht, denn gemeinsame Freunde hatten sie nicht, im Übrigen entgingen sie damit auch jeglichem Gerede. (Natürlich wusste Graber davon, der Uralt-Freund von Elfi, vor dem sie keinerlei Geheimnisse hatte.) Aber Grabowski schirmte sein Privatleben sorgfältig vor den Kollegen ab, er nannte das seine Berufshygiene. Sie beide genossen, ihren gereiften Jahren entsprechend, in ihrer Zuneigung auch ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, weil sie vielleicht ahnten, dass zu große Nähe dem gemeinsamen Band die Spannung genommen hätte. Sie mussten sich immer wieder zusammensuchen, aber darin lag nichts Beunruhigendes, weil sie sich insgeheim sicher waren, sich jederzeit erneut zu entdecken. Und es brauchte nie sehr viel, um aus Sehnsucht Begierde entstehen zu