Название | Mischpoche |
---|---|
Автор произведения | Andreas Pittler |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839237403 |
»Da hast schon recht«, pflichtete ihm Pataki bei, »und den gibt es ja auch.«
»Ah so?« In Bronsteins Stimme schwang eine gewisse Skepsis mit, die gleichwohl Pataki nicht zu beeindrucken schien. »Die Kommunisten«, erläuterte dieser, »haben Flugblätter verteilt, in denen sie zum bewaffneten Umsturz aufrufen. Das ist natürlich, wie du nur zu gut weißt, in höchstem Ausmaß illegal. Ein sogenanntes Revolutionäres Soldatenkomitee, hinter dem klarerweise die kommunistische Führung steckt, hat alle Wehrmänner der Volkswehr aufgefordert, samt ihrer Bewaffnung heute auf die Straße zu gehen.«
Heute!
Bronstein wurde blass. Davon musste Jelka gesprochen haben. Es konnte keinen Zweifel geben. Das war die Demonstration, an der sie, zumal sie ja der geplanten Verhaftung entgangen war, teilnehmen wollte. Und offensichtlich waren die Behörden bestens informiert. Jelka und ihre Genossen würden ins offene Messer laufen. Bronstein spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.
»Aber wir sind ja auch nicht von gestern, gell«, fuhr Pataki derweilen fort, »der Bauer persönlich hat sich mit dem Präsidenten ins Einvernehmen gesetzt, um alle nötigen Schritte in die Wege zu leiten, damit wir diesmal nicht wieder mit runtergelassenen Hosen erwischt werden wie damals im April.«
Bronstein wusste naturgemäß wie jeder in der Exekutive, dass die Geschichte vom Gründonnerstag die Polizeioberen immer noch wurmte, und nicht wenige sannen buchstäblich Tag und Nacht auf Revanche. Bronsteins Angst um Jelka wurde darob nicht geringer. »Vor allem arbeiten wir diesmal geradezu vorbildlich mit den Sozis zusammen«, unterstrich Pataki das bisher schon Gesagte. »Der Deutsch vom Arbeiterrat hat extra loyale Einheiten auf die 41er angesetzt, damit die auf keinen Fall einen Blödsinn anstellen können.«
Bronstein kannte die ›41er‹. Das war die Truppe von Leo Rothziegel gewesen, bei der sich auch sein Freund Egon Erwin Kisch herumgetrieben hatte, ehe ihm offenbar das Pflaster in Wien zu heiß geworden war.
»Aber stell dir vor, das hat den Sozis nicht gereicht. Der Eldersch hat unsere Behörde amtswegig angewiesen, alle bekannten Führer der KP zu verhaften. Und du weißt, was das heißt: Weisung ist Weisung, ganz besonders, wenn sie vom Minister kommt.«
Bronstein bezweifelte, dass eine solche Maßnahme mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen war, denn sogar in der Monarchie hatte es eines konkreten Vorwurfs an eine Person bedurft, um diese in Arrest nehmen zu können, doch keinesfalls bezweifelte er, dass ein Minister jederzeit bereit war, das Recht in seinem Sinne zu beugen.
»Wenn die heute also wirklich losmarschieren«, lautete inzwischen Patakis Resümee, »dann sind sie in jedem Fall führerlos, und so sollte es uns ein Leichtes sein, mit ihnen fertig zu werden.«
Ja, damit konnte er recht haben, der Pataki, dachte Bronstein. Instinktiv griff er sich an die Brust und versuchte, seine Atemfrequenz wieder unter Kontrolle zu bringen. Eigentlich wollte er Pataki noch fragen, für wann die Demonstration angesetzt war, doch er fühlte, dass ihm seine Zunge nicht länger gehorchen würde.
»Aha«, lallte er. Er hielt kurz den Hörer zu, sog lange und tief Luft ein, dann zwang er sich noch einmal zur Ruhe. »Ich dank’ dir schön. Das war’s auch schon.« Die letzten Worte hatte er regelrecht zwischen den Zähnen hervorgepresst.
»Na hallo, hallo, ned so gach!«, hörte er Pataki am anderen Ende der Leitung rufen. »Wozu willst denn das alles überhaupt wissen?«
»Ach, nur eine Anfrage von oben. Weißt eh, wie’s ist. Alsdern, danke und servus.«
Noch ehe Pataki abermals reagieren konnte, hängte Bronstein ein.
Er ließ seinen Körper zurück auf die Sessellehne plumpsen und fiel förmlich in sich zusammen. Jelka schwebte in höchster Gefahr, er musste sie unbedingt aus der Schusslinie bekommen. Nur, wie sollte er das bewerkstelligen? Er wusste ja nicht einmal, wo sie war.
Er sah sich zur Tatenlosigkeit verurteilt, und das war jener Zustand, den er am meisten hasste. Jeder Versuch, sich abzulenken, war in solchen Momenten von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und dass er das Unabänderliche einfach hingenommen hätte, lag ohnehin jenseits jeder Vorstellung. Den grausamen Wechselfällen des Schicksals wehrlos ausgeliefert zu sein, erschien ihm wie eine schwere Erkrankung, und die einzige Medizin, die ihre Symptome wenigstens teilweise zu lindern vermochte, war hochprozentiger Alkohol.
Bronstein fuhr hoch, verließ fluchtartig sein Büro und stürzte sich förmlich in die Kantine, die ob der Uhrzeit nahezu völlig verwaist war.
»Schani, an Doppelten, aber schnell a no«, keuchte er.
»Ja, was ist denn dir g’scheh’n, dass d’ dich gar so echauffierst?« Verwundert studierte Johann, der Kantinenwirt, Bronsteins Äußeres auf der Suche nach besorgniserregenden Anzeichen.
»Ah, nix, schlecht is’ mir. Ich glaub’, das Beuschel gestern war nimmer ganz astrein«, log Bronstein.
»Wenn’s wirklich ein Beuschel war, dann sicher ned«, replizierte Johann, »wer kriegt heutzutag’ schon ein Beuschel? Wenn, dann haben s’ das irgendwo in Schönbrunn g’funden, wo’s von der Sisi im 97er Jahr z’ruckg’schickt worden ist.« Dabei lachte der Wirt glucksend.
Innerlich musste ihm Bronstein beipflichten. Wie war er nur auf Beuschel gekommen? In den letzten fünf Jahren hatte er derlei nicht einmal mehr in einem Druckwerk gesehen, geschweige denn in natura. Eine blödere Ausrede war ihm wohl nicht eingefallen.
Zu seinem Glück war’s Johann egal, und so stand wenige Sekunden später ein doppelter Slibowitz auf der Schank.
»Dank dir recht«, murmelte Bronstein und steuerte einen der Tische an, um nicht länger mit dem Wirt Konversation machen zu müssen. Umständlich kramte er sein Zigarettenetui aus dem Inneren seines Sakkos, fingerte mit zittriger Hand einen Glimmstängel heraus und steckte ihn an. Der Rauch beruhigte ihn einigermaßen. Gleich danach kippte er den Schnaps in einem Zug hinunter, und erstmals seit dem morgendlichen Streit mit Jelka wich dieses flaue Gefühl in seinen Eingeweiden. Ein Glaserl noch, und er würde direkt in der Lage sein, sich ein klein wenig zu entspannen, der katastrophalen Lage zum Trotz.
»Heute geben wir’s ihnen«, hörte er einen der Uniformierten am Nebentisch sagen.
»Genau! Dieses Mal erwischen wir sie, und nicht sie uns. Und wir erwischen sie mitten zwischen den Augen.«
Und schon war dieses flaue Gefühl wieder da. Möglichst unauffällig drehte er sich nach den Sprechern um. An dem Tisch saßen drei Polizisten, vor ihnen befanden sich drei Bier, was Bronstein ob seines Slibowitz’ nicht verurteilen wollte. Doch schon auf den ersten Blick erkannte er das ungute Flackern in den Augen der Wachmänner. Kein Zweifel, da war jemand auf Rache aus.
»Sechs von uns haben die Hundling am G’wissen. Und das zahlen wir ihnen heute heim«, bestätigte der erste Uniformierte Bronsteins Verdacht.
Er erinnerte sich. Am Gründonnerstag waren an die 30 Demonstranten, aber eben auch sechs Polizisten Opfer der Gewalttätigkeiten rund um das Parlament geworden. Offensichtlich hatte die Sicherheitswache diese Tatsache noch nicht vergessen.
Es ging also um Vergeltung. Schon den großen Krieg hatte man geführt, weil man nach Rache schrie. Und alle Welt hatte gesehen, wohin eine solche Haltung führte. War die Welt denn immer noch nicht klüger geworden?
»Also es bleibt dabei«, schwor der Rädelsführer seine Kollegen ein, »es wird scharf g’schossen, egal, was die Großkopferten sagen.«
Plötzlich blickte er direkt auf und fixierte Bronstein. Offensichtlich war ihm erst jetzt aufgefallen, dass seine kleine Ansprache belauscht worden war.
»Is’ wos?«, fragte er in aggressivem Ton in Bronsteins Richtung.
»Na, eh nix«, wiegelte dieser ab, »haut’s es den Kummerln ane eine?«
Der Polizist traute ihm sichtlich nicht.
»I