Todesluft. Thomas L. Viernau

Читать онлайн.
Название Todesluft
Автор произведения Thomas L. Viernau
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967525144



Скачать книгу

sog jedes kleine Detail auf, um daraufhin noch mehr Fragen zu stellen. Geduldig antwortete der Graf soweit es ihm möglich war. Spekulationen waren nicht seine Sache, er hielt sich an die Fakten. Und die Faktenlage war meist recht dürftig.

      Nach dem Tee begaben sich die beiden zu einem kleinen Spaziergang durch den mit hohen Hecken vor den Blicken Neugieriger geschützten Garten, der allerdings im Spätherbst wenig Erbauung bot. Das Laub raschelte unter ihren Füßen, die Gräfin hatte einen Schirm gespannt, um den unangenehmen Nieselregen abzufangen, doch der Wind trieb die feinen Wassertröpfchen fast waagerecht direkt ins Gesicht der Dame.

      Eine halbe Stunde hielt das Paar tapfer aus, bevor es sich wieder zurück ins Schloss begab. Der Tagesablauf war exakt geregelt, egal was für Wetter war.

      Der Graf war ein Mann von festen Prinzipien. Seine Disziplin war bewundernswert. Bedachte man, dass die selbstgewählte Abgeschiedenheit eher kontraproduktiv wirkte, war das Arbeitspensum, was er sich täglich auferlegt hatte, erstaunlich. Noch erstaunlicher war seine vollkommene Hingabe zu der Gräfin, deren Wünsche ihm Befehl waren.

      Im Dorf munkelte man, es sei gar nicht seine Ehefrau. Einige wollten wissen, dass es sich um seine jüngere Schwester handele, andere waren der festen Meinung, dass es eine jung verwitwete Anverwandte des Grafen sei. Ein paar Besserwisser glaubten in ihr eine verstoßene Prinzessin zu erkennen. Die edlen Züge, das sorgfältig gewahrte Geheimnis ihres wirklichen Aussehens und die aufwändige Garderobe sprachen für diese kühne These. Aber was für eine Prinzessin sollte es sein?

      Durch die napoleonischen Feldzüge waren viele Königshäuser vakant geworden. Exilierte Prinzessinnen gab es plötzlich überall. Ein Hofrat des Hildburghäuser Herzogs streute die Nachricht, dass die geheimnisvolle Gräfin eine Tochter des letzten französischen Königs sein sollte. Durch die Revolutionswirren wäre sie wohl in große Gefahr geraten, ebenso wie ihre Eltern guillotiniert zu werden, aber dank der Intervention einiger großherziger Männer wäre ihr die Flucht gelungen.

      Aus dem benachbarten Herzogtum Weimar kam die Kunde, dass die Gräfin eine illegitime Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. und seiner Maitresse, der Gräfin Lichtenau sei und ihre Jugend in Holland verbracht hätte. Auch hierfür gebe es allerdings keinerlei Beweise.

      Ein herzoglicher Geheimrat, der über gute Beziehungen zum Wiener Hofe verfügte, erkannte in der Gräfin die Tochter des Habsburger Kaisers Joseph II., der wohl eine Affaire mit der Hofdame Wilhelmine von Botta hatte und deren Folge eben eine Tochter sei, die außerhalb Österreichs bei Verwandten der Botta in Norddeutschland aufgewachsen wäre.

      Der Gothaer Hof erklärte, dass es eine geschiedene Generalsgattin sei, immerhin habe sie ja einige Zeit in Gotha zugebracht und es wären zahlreiche Briefe eines französischen Generals namens Berthelmy an sie adressiert gewesen. Die Empfängerin sei eine Agnès Berthelmy, eben die geheimnisvolle Begleiterin des Incognito reisenden Grafen.

      Spekulationen über das geheimnisvolle Paar gab es also zur Genüge. Dem Grafen kamen immer wieder Gerüchte zu Ohren. Doch er schwieg zu allen Vermutungen, ließ sich mit keinem Wort aus der Reserve locken und zog sich immer mehr zurück. Er mied den Kontakt zur hiesigen Bevölkerung, machte sich aber durch zahlreiche wohltätige Spenden einen guten Leumund, so dass die Leute stets mit einer gewissen Ehrfurcht von ihm sprachen. Viele sprachen vom »Gnädigen Herrn«, nur wenige nannten ihn den »Dunkelgrafen«, ein Wort, das sich entschieden unangenehmer anhörte und Spekulationen immer neue Nahrung zutrieb.

      Eine Begegnung bei Mohnkuchen

       Bessre Herz und Nerven! Geh nach Liebenstein!

      

       Spruch auf einem Liebensteiner Notgeldschein von 1921

      I

      Bad Liebenstein

      Sonntag, 6. Mai 2007

      Die Wochenenden waren frei. Linthdorf war ganz überrascht, plötzlich so viel Freizeit zu haben. Der Kurbetrieb hatte ihn die ersten Tage ziemlich ausgefüllt. Er hatte zu tun, die jeweiligen Örtlichkeiten zu finden, zwischendurch sich immer wieder rechtzeitig im großen Speisesaal zu den Mahlzeiten einzufinden und abends den zahlreichen Veranstaltungen im Foyer zu entgehen.

      Es war alles ein bisschen zu viel des Guten. Linthdorf war so viel Regelmäßigkeit nicht gewöhnt.

      Gestern hatte er eine erste Erkundungstour durch das Städtchen gemacht. Eigentlich wollte er ja zu der alten Burgruine hinauf. Aber davon rieten ihm die Kurärzte noch ab. Später, wenn er wieder fit genug sei, könne er gern den Liebenstein erobern, aber im Augenblick wären ein paar geruhsame Spaziergänge im Kurpark doch wohl förderlicher.

      Linthdorf spürte auch bald, dass sie recht hatten. Mit seiner Kondition war es nicht zum Besten bestellt, der Kreislauf war anfällig. Nach einer Viertelstunde unstetem Herumtapsens merkte er, dass er weiche Knie bekam und Schweißperlen im Gesicht kleine Bäche bildeten.

      Erschöpft suchte er ein kleines Café auf. Reger Betrieb herrschte hier. Die kleinen runden Tische waren fast alle besetzt. Nur ein einziger Stuhl an dem kleinen Ecktisch neben dem Tresen war noch frei. Mühsam schleppte sich der Riese dahin.

      Am Tisch saß bereits jemand. Vor sich ein Kännchen Kaffee und einen kleinen Kuchenteller. Ein Mann undefinierbaren Alters, wettergegerbt, durchtrainiert, eher einem gerade in die Zivilisation entlassenen Indianerkrieger denn einem friedfertigen Thüringer ähnlich, verbarg sich hinter einer Zeitung.

      Linthdorfs vorsichtige Frage, ob der Platz noch frei sei, wurde mit einem unwilligen Knurren beantwortet. Etwas ratlos, ob das Knurren nun eine Zustimmung oder doch eher ablehnenden Charakter habe, verharrte er für ein paar Sekunden vor dem Tischchen.

      Wahrscheinlich hatte er dem Indianer das Licht genommen. Langsam senkte sich die Zeitung und ein dunkler Bass ertönte.

      »Setzen Sie sich doch! Ich beiße nicht.«

      Wortlos ließ sich Linthdorf auf dem freien Platz nieder. Eine junge Kellnerin kam auf ihn zugeeilt.

      »Sie haben schon etwas ausgesucht? Unserr Kuchenangebot ist vorrn am Buffet ausgestellt. Heute haben wirr wiederr unserren Mohnkuchen im Angebot«, dabei strahlte sie Linthdorf an, als ob sie ihm ein Staatsgeheimnis anvertraut hätte.

      Irritiert lauschte Linthdorf dem Klang der Sprache. Seltsamer Dialekt war das hier. Der Buchstabe R wurde auf der Zungenspitze gerollt, so dass fast jedes Wort mit R wie eine heilige Vokabel klang.

      »Möchten Sie auch ein Heißgetrränk? Vielleicht ein Kaffee? Kännchen? Grroße Tasse? Oderr einen Geschäumten?«

      Automatisch nickte Linthdorf. Ja, ja, sie solle einfach diesen Mohnkuchen und dazu ein Kännchen …

      Sein Gegenüber lupfte die Zeitung, setzte ein diabolisches Grinsen auf und schnarrte im selben Singsang wie die Kellnerin: »Au, derr Mohnkuchen ist genial.«

      Linthdorf nickte.

      »Sie sind wohl neu hierr?«

      »Auf Kur.«

      »Au, was Schlimmes?«

      »Nein, nein, alles wieder im Lot. Das Herz …«

      »Ja, da sind die Leute drrauf spezialisiert, gerrade mit dem Herrz …, da ist nicht mit zu spaßen. Aberr unserre gute Luft, die macht Tote wiederr lebendig. Gell?«

      Linthdorf schaute dem Indianer unvermittelt ins Gesicht.

      »Was heißt denn Gell?«

      Wieder erschien das diabolische Grinsen im Gesicht des Indianers. »Au, das heißt eigentlich goarr nix. Das hängen wir zur Bekrräftigung einfach hintenan.«

      »Ach so«, Linthdorf war froh, dass sein Gegenüber die eigenartige Frage nicht als Beleidigung empfand. Indianer, selbst zivilisierte, kennen eigentlich keinen Humor.

      »Hab