Название | Das Geheimnis von Karlsruhe |
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Автор произведения | Bernd Hettlage |
Жанр | Языкознание |
Серия | Lindemanns |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783881908351 |
Während Birkenmeyer anfing zu schwitzen und seine Rede mit ausholenden Gesten unterstrich, hörte ihm das Publikum aufmerksam zu.
Der Regisseur lächelte: „Die Freimaurer, meine Damen und Herren. Zirkel und Dreieck sind die Symbole der Freimaurer.“
Er blickte einmal rundum über die Menge und nickte befriedigt. Manch einer im Publikum blickte sich zum Schloss um, als sähe er es zum ersten Mal.
„Auch das Pentagramm spielt bei den Freimaurern keine ganz unwichtige Rolle. Denn die Vorläufer der Freimaurer waren ja die Bauhütten, die verantwortlich für den mittelalterlichen Kirchenbau, aber auch die Errichtung der Stadt Karlsruhe waren. Die Baumeister und die Handwerker, die zu den Hütten gehörten, hüteten eine Menge altes Wissen. Geheimwissen zum großen Teil, das sie nur an die jeweiligen Mitglieder ihrer Hütte weitergaben. Wissen, das bis in ägyptische Zeiten zurückreichte, manche behaupten, bis ins sagenhafte Atlantis. Dazu gehörte auch der Goldene Schnitt. Sie haben vielleicht schon davon gehört.“
Einige in der Menge nickten, jemand rief: „Leonardo da Vinci!“
„Richtig.“ Birkenmeyer kratzte sich am Kopf und strich sich dabei möglichst unauffällig über die Haare, um ihren Sitz zu prüfen. „Man findet ihn bei Leonardos berühmter menschlicher Proportionsstudie, die übrigens auf viel ältere Darstellungen zurückgeht. Ich will Sie jetzt nicht mit Mathematik langweilen, aber beim Goldenen Schnitt geht es, kurz gesagt, um ein bestimmtes Verhältnis, das zwei Streckenlängen zueinander haben. Dieses Verhältnis beträgt ungefähr 1 : 1,6 und wird mit dem griechischen Buchstaben Phi bezeichnet. Phi ist eine in vieler Hinsicht magische Zahl mit einer unendlichen Anzahl von Ziffern hinter dem Komma. Was darüber hinaus das Interessante daran ist: Man findet dieses Verhältnis in der Natur vielfach wieder, bei der Anordnung der Blätter von Pflanzen, bei der Außenhaut von Früchten wie der Ananas, ja sogar bei der Struktur von Galaxien.“
Birkenmeyer streckte theatralisch einen Arm in den Himmel. Nicht wenige Blicke folgten ihm, obwohl von hier aus, mitten in der hell erleuchteten Stadt, nur wenige Sterne zu erkennen waren. Arnold blickt auch kurz nach oben, dann wieder nach vorne und sah dabei den großen Schweißfleck unter der Achsel auf Birkenmeyers weißem Hemd.
Der nahm, als spürte er Arnolds Augen auf sich, den Arm schnell wieder nach unten.
„Auch in der Architektur, in der Malerei, ja sogar in der Musik findet man Strukturen nach dem Goldenen Schnitt. Man findet sie in der Königskammer der Cheops-Pyramide. Und im Pentagramm. In diesem fünfeckigen Stern lässt sich wirklich überall der Goldene Schnitt beobachten, jede einzelne Teilstrecke darin steht im Verhältnis der Zahl Phi zueinander. Und, meine Damen und Herren, wenn wir jetzt zusammen weitergehen ...“
Birkenmeyer beugte sich bei diesen Worten nach vorne, sodass sein Gesicht fast völlig verschattet wurde. Nur seine Augen wurden von einem der Bodenscheinwerfer beleuchtet.
Er hat das bestimmt vorher geprobt, dachte Arnold.
„ ... dann werden sie sich den Goldenen Schnitt im Stadtpan Karlsruhes sozusagen erlaufen. Denn alles hier auf dem Weg vom Schlossturm bis zum Ettlinger Tor steht im Verhältnis des Goldenen Schnitts zueinander. Zum Beispiel teilt die Kaiserstraße den Weg vom Schlossturm zum Obelisken am Rondellplatz direkt nach dem Goldenen Schnitt.“
Birkenmeyer richtete sich wieder auf.
„Das war Weinbrenners Werk. Das Werk Friedrich Weinbrenners, der diese sogenannte Via Triumphalis zwischen Schloss und Ettlinger Tor mit Pyramide, Obelisken, Rathaus und Stadtkirche geschaffen hat. Und, meine Damen und Herren, der Goldene Schnitt war durchaus auch zu Zeiten Weinbrenners, also Anfang des 19. Jahrhunderts, noch Geheimwissen. Das fand man in keinem der damals erhältlichen Lehrbücher. Aber ...“, er beugte sich wieder nach vorne, als wollte er dem Publikum flüsternd ein Geheimnis verraten, das nicht jeder hören sollte, „ ... auch damals waren die Freimaurer in unserer Stadt aktiv. Nicht wenige badische Honoratioren bis hin zum Markgrafen Carl Friedrich selbst hatten zuvor der geheimnisumrankten ägyptischen Loge des Grafen Cagliostro in Basel angehört.“
Birkenmeyer hob den Kopf und klatschte in die Hände. „Folgen Sie uns.“ Er stieg schwungvoll und mit wehender Jacke vom Sockel des Markgrafen herunter, der sich dies alles mit hatte anhören müssen, zur Stummheit verdammt. Die Menge folgte.
Während sie den sogenannten Platz der Grundrechte betraten, der aus Dutzenden Lampen, die im Boden eingelassen waren, beleuchtet wurde, diskutierten die Besucher leise miteinander. Der kleine Mann, der vorhin das Gruftipärchen über den Theaterabend aufgeklärt hatte, befand sich wieder an Arnolds Seite. Er schnaubte unwillig und murmelte vor sich hin.
„So kann man das doch nicht machen“, verstand Arnold.
Birkenmeyer drehte sich am Ende des Platzes noch einmal zur Menge um. „Wir stehen jetzt auf dem Platz der Grundrechte. Karlsruhe ist ja die Stadt des Rechts, hier befindet sich der Sitz der höchsten Gerichte Deutschlands. Wir lassen jetzt einmal außer Acht, warum das so gekommen ist. Stattdessen reden wir von Recht und Gerechtigkeit. Das sind ja zwei ganz verschiedene Dinge, wie jeder weiß, der schon einmal mit Gerichten zu tun hatte.“
Der Regisseur schmunzelte. Im Publikum gab es vereinzelte Zustimmung.
„Dem armen Kaspar Hauser jedenfalls ist weder Recht noch Gerechtigkeit widerfahren. Dort im Schloss wurde er vor beinahe zweihundert Jahren geboren als Sohn des Großherzogs Karl und seiner Frau Stéphanie de Beauharnais, der Adoptivtochter Kaiser Napoleons. Sie wurde auch ‚fille de France‘ genannt, die Tochter Frankreichs. Als ihr Sohn nur zweieinhalb Wochen nach seiner Geburt angeblich schwer erkrankte und dann rasch innerhalb weniger Stunden verstarb, ließ man sie nicht zu ihm. Auch die Amme hielt man fern vom Kind. Die beiden Personen, die dem Säugling am nächsten standen und ihm wohl am besten hätten beistehen können, durften nicht zu ihm. Warum? Weil es gar nicht Stéphanies Sohn war, der dort angeblich ganz überraschend so schwer krank wurde, obwohl er doch, als ihn die Amme am Vortag sah, noch ganz gesund war. Stattdessen lag in den markgräflichen Gemächern der kranke Sohn des Hofbediensteten Christoph Blochmann, Ernst mit Namen, den man mit dem Erbprinzen vertauscht hatte. Eine Intrige, eingefädelt von der Gräfin von Hochberg, der Stiefmutter des Großherzogs Karl und zweiten Ehefrau des verstorbenen Markgrafen Carl Friedrich: Sie wollte alle legitimen Nachfolger des Markgrafen zu Tode bringen, um ihre eigenen Söhne in die Erbfolge einzusetzen – was ihr letztlich ja auch gelang, wie wir alle wissen.“
Gemurmel hob an in der Menge.
„Ja, meine Damen und Herren, eine Intrige, eine sehr böse Intrige. Stéphanie und die Amme des kleinen Thronfolgers hätten den Schwindel mit dem vertauschten Kind natürlich sofort entdeckt, deshalb konnte man sie nicht zu dem sterbenden Säugling lassen. Eine Tragödie für die Mutter, sie sah ihren Sohn nie wieder. Nicht einmal seine Leiche, denn die gab es ja nicht. Stattdessen hatte man den Sohn Stéphanies, den rechtmäßigen Erben des badischen Thrones, längst an einen anderen Ort gebracht, nämlich zunächst einmal zur Familie Blochmann, als Austauschkind für deren in der Tat todkranken Säugling. Der Thronerbe tauchte erst 16 Jahre später in Nürnberg wieder auf und ist uns heute als Kaspar Hauser bekannt. Das Kind, das damals starb, liegt dagegen heute in der Schlosskirche Pforzheim begraben. Gehen Sie nur mal hin. Sie werden nicht hineinkommen, die Kirche ist fast immer verschlossen, obwohl sie mitten in Pforzheim liegt. Sie gehört bis heute dem Haus Baden und in deren Gruft kommt schon mal gar niemand hinein. Warum wohl? Eine DNA-Analyse des Kindes im Sarg würde sofort Klarheit schaffen, dass es nichts mit dem Haus Baden zu tun hat. Und warum erzähle ich Ihnen all das ...?“
Der Regisseur schaute wieder verschmitzt in die Menge.
„Recht und Gerechtigkeit. Der badische Erbprinz und der Gral. Was ist denn der Gral, frage ich Sie?“
„Halt,